Rezension: “Wallensteins Tod” von Friedrich Schiller

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Schiller’s Wallenstein.

Bekanntlich erstieg Schiller durch die Vollendung seines Doppel-Dramas, die Piccolomini und Wallenstein’s Tod, die zweite Stufe seiner dramatischen Vollendung, die historisch-ethische. Nachdem er in seinen frühern Dramen, im Kampfe mit der rohen Masse und in der Opposition gegen alles Herkömmliche, nur zu oft zum Abentheuerlichen, Ungeheuern und Ueberspannten fortgerissen worden war, hatte er in der zweiten, später entstandenen Hälfte des Don Carlos sein individuelles Leben und Wirken schon der Idee aufgeopfert, aber nicht der poetischen, sondern der philosophischen. Eine lange Pause trat ein. Er weihte sich ganz historischen Vorstudien, gewann in Fülle der Welt- und Menschenkunde, erstarkte in Studien der griechischen Meister im Trauerspiel. Nun erst wendete er sich ganz zum historischen Trauerspiel, mit möglichster Entäußerung seiner Persönlichkeit, wie A. W. Schlegel richtig bemerkt, zur wahrhaft objektiven Darstellung durchdringend, ohne doch selbst nach einer dreimaligen Umarbeitung dieses Stoffes vollkommen Meister zu werden. Es kam ihm, wie wir aus genauen persönlichen Verhältnissen zum Dichter versichern können, gar nicht in den Sinn, in seiner Wallensteiniade eine Trilogie, ein Drillingstück im Sinne der griechischen Tragödie zu erschaf¦fen *). Denn erstlich ist Wallenstein’s Lager nur ein didaktischer Prolog, wodurch er eben den Chor, das Volk, hier das Heer, das Shakespeare so eingreifend in seine historischen Dramen einflicht, als niedere Masse in’s Vorspiel weist. Dann ist in den zwei Hauptdramen nirgends ein das erste Stück vom zweiten wirklich trennender, jenes zu einem für sich bestehenden Ganzen gestaltender Abschnitt. Es ist, will man das Vorspiel dazu rechnen, eine einzige Tragödie in eilf Akten. Und nur dadurch wurde es möglich, nur die drei letzten Akte des Ganzen, als Wallenstein’s Tod, auf nahmhaften Bühnen, selbst in Berlin, geduldigen Zuschauern für ein Ganzes zu verkaufen, oder gar nach Vogels heilloser Verstümmelung, die man sehr mit Unrecht Schillern selbst beizumessen gewagt hat, aus beiden Dramen ein einziges zusammen zu schmieden. Aber um so lebendiger springt es auch in’s Auge, daß es eine gar zu nachgiebige Herablassung zur Verwöhnung | des Publikums, ja, um es nur gerade heraus zu sagen, ein wahrer Verrath an des großen Nationaldichters Genius ist, wenn man auf unsren Bühnen fortfährt, nur Wallenstein’s Tod, eine Büste ohne Basis und Körper, – Basis ist das Vorspiel, Körper die Piccolomini, – weil es ja schon so einen Abend ausfüllt, aufzustellen. So weit ließ man es wenigstens, unseres Wissens, in Weimar, wo ja mit diesem neugebornen Wallenstein im Jahr 1798 die erneuerte, schönere und zweckmäßigere Bühne eingeweiht wurde, nie kommen, und als im Spätherbst 1816 der wackere Regisseur Nagel alle drei Stücke mit fast gar keinen Verkürzungen auf der Breslauer Bühne in drei Abenden nacheinander vorzustellen unternahm, fand dies Wagestück – wider alles Vermuthen – bei einem höchst gemischten Publikum doch den lautesten Beifall, und wir lasen in Theateranzeigen von dort: „Jetzt erst ist uns diese gigantische Schöpfung, die bisher nur als Flickwerk erschien, in der Einheit ihres Sinnes und Geistes klar geworden.“ Merkwürdig bleibt es, daß, als in Berlin zu Anfange des Jahres 1817 wieder nur die drei letzten Akte des Wallenstein auf der dortigen Bühne, kurz nachdem Eßlair dort den unvergeßlichen Fleck in Wallenstein’s Rolle wieder erweckt hatte, aufgestellt wurden, ein sachkundiger Kritiker in einer langen Demonstration das Unstatthafte dieser Verstümmelung darthat *) beweisend, daß man wenigstens die zwei ersten Akte dieses letzten Stücks, die mit dem ganzen Piccolominis schon längst verbannt wären, wieder herstellen, und allenfalls einmal das Theater eine Stunde früher angehen lassen müsse. Es ist uns nicht bekannt geworden, ob bei einer neuen Vorstellung auf jenen gründlichen Erweiß Rücksicht genommen worden ist. Wenigstens ist auch dort, wo ein Brühl die In¦tendantur führt, der Fall nicht selten, daß die an den Autoren verübte Gewaltthat verbessert und abgestellt wurde.

Beim Dresdner Hoftheater bedurfte es einer solchen Erweckung oder Ermahnung gar nicht. So wie es der Direktion desselben zur wahren Ehre gereicht, Calderon’s unsterbliches Werk: Das Leben ein Traum, nach der treuesten Uebertragung von Gries, fast zuerst auf die Bühne gebracht zu haben: so verdient es dankbare Anerkennung, daß in den nächsten Tagen die Dilogie die Piccolomini und Wallenstein’s Tod in zwei Tagen hintereinander ohne alle Veränderung und Abkürzung der Scenerei, ganz nach der Originalausgabe mit ungemeiner Sorgfalt, selbst für die Aeußerlichkeit – mit neuen Kostüms für das männliche Personal, neugemaltem astrologischen Saal u. s. w. – zum erstenmal, seit Schiller sie dichtete, hier auf die Bühne gebracht werden wird. Welch eine Welt wird sich unserm Auge hier ganz anders, als durch die Lektüre, wäre es auch die vorlesende, oder, was oft nur Futter der eiteln Persönlichkeit ist, die zusammenlesende in solcher Verköfperung offenbaren! Wie viele Fragen werden sich nun erst von aufmerksamen Beobachtern, die ja in beiden Vorstellungen zur Permanenz sich erklären werden, aus ruhiger und fleißiger Ansicht des Ganzen beantworten lassen? Wir wollen hier nur einige aus vielen, die sich uns aufdrängen und die schon oft erwogen worden sind, auszeichnen.

Schiller arbeitete seine Wallensteiniade dreimal um, ehe er sich gnügte und sie selbst auf die Weimarische Bühne brachte. Hätte er’s nicht noch zum viertenmale thun sollen, um so seinen vollendeten Triumph über die ihn überwältigende Masse von Thatsachen und den kaum zu bändigenden Stoff durch Hervorbringung eines einzigen, ganz gediegenen Trauerspiels: Wallenstein’s Abfall und Sturz in fünf Aufzügen, feiern zu können? Aber würde nicht dieser Sieg durch den Verlust von so viel Herrlichem (es ist des Dichters Schuld nicht, daß wir’s weniger genossen, als besaßen,) erkauft worden seyn? – Es gehört zu den Eigenthümlichkeiten unsers Dichters, die sich durch seine Zwangerziehung auf der Karlsschule in Stuttgart am besten erklären läßt, daß er sich am liebsten in die Opposition mit dem Herkömmlichen stellt, und so bald dem Alten, bald dem Neuen den Krieg erklärte *) Im Wallenstein | wird poetisch die Ehre der Astrologie wieder hergestellt. Ist nun der Vorwurf gegründet, daß Schiller durch diese, von ihm nicht einmal genug benutzte Abhängigkeit von dem Sternenglauben einen Fehlgriff verschuldete und nur Halbheit hervorbrachte? – "Der historische Wallenstein war nicht groß, der poetische sollte es nicht seyn. Der historische Wallenstein war nur ein kecker und gewaltiger Emporkömmling, ein Abgott der von ihm gefütterten Soldateske. Aber in seinem Betragen war er schwankend und unentschlossen, in seinen Plänen phantastisch und excentrisch, in der Verschwörung schwach und ungeschickt. Was an ihm groß schien, war nur das Rohe und Ungeheure, wodurch er sich am wenigsten zum tragischen Helden eignete. Für das, was ich ihm hier nehmen mußte, suchte ich ihn durch einen fantastischen Ideenschwung zu entschädigen." dies sind Schiller’s eigene Geständnisse **). Was heißt nun hier bei Schiller Ideenschwung? Ist er nicht in jener gemüthlichen Vermenschlichung zu suchen, die Schiller selbst in jenem unvergleichlichen Prologe andeutet, der, mit Weglassung einiger Ortanspielungen, überall gesprochen werden sollte, wo auch Wallensteins Lager nicht fehlt, in jenen Worten:

Von der Partheiengunst und Haß verwirrtschwanke sein Charakterbild in der Geschichte;doch euern Augen soll ihn jetzt die Kunst,und euern Herzen, menschlich nahe bringen.

Hatte nun Schiller recht, jene im wirklichen Wallenstein unläugbar befindlichen Inconsequenzen zwar nicht zu tilgen, aber ihnen einen festen Vereinigungspunkt in der Astrologie zu geben? Der alle Zügel verachtende Machthaber unsrer Tage war doch auch ein Tagewähler und sprach von seinem Stern. So wird dem excentrischen Wallenstein wenigstens Ein Stützpunkt gegeben. Uebrigens lieh ihm der Dichter einen mehr spielenden als rasch ausführenden Ehrgeiz. Sein Wallenstein ist zwar hochfahrend und den Mächtigern trotzend, aber er will keinen bestimmten Zweck, bis ihn Ate mit dem Netz umstrickt, das er sich selbst webte. Erst von dem furchtbaren Scheidepunkt an (im Monolog in Wallensteins Tod, Akt 1. Scene 4.) tritt der ethische Zweck des Dichters ganz hervor, nach welchem alles ¦ nur ein Commentar des von Wallenstein selbst gesprochenen Textes ist: Der Uebel größtes ist die Schuld! – Ferner: sind Thekla und Max Piccolomini wirklich nur episodische Personen mit dem Gepräge einer weit spätern Zeit, wie auch noch A. W. Schlegel behauptete *), oder würde ohne sie dem hochtragischen Kunstgebilde wenigstens Ein Auge fehlen? Man bedenke hier wohl, daß dem dämonischen Wallenstein zwei wirkliche Dämonen, ein schwarzer und weißer, zur Seite stehn. Der schwarze ist nicht Ottavio Piccolomini, wie es viele in Wort und Spiel schon vergriffen haben, – dieser ist vielmehr der einzige Repräsentant der Pflichttreue, ein Weltmann auf der Linie des Legitimität, der freilich, wie alle seines Gleichen, ein schlechtes Mittel zu einem guten Zweck zu wählen kein Bedenken trägt und den ihm trauenden Freund verräth, aber dieser Freund ist ein Verräther seines Kaisers, und in Ottavio’s, des gewandten Italieners Auge doch auch noch etwas von einer bestia Tedesca, und wenigstens ein Unsinniger, weswegen er auch sehr vornehm gespielt werden muß, – sondern Butler, aus Rache und Beschränktheit. Der weiße ist Max, und darum mit der Schuldlosen allein verbunden, und darum mit ihr auch dann sich ausscheidend, als das schuldige Haupt ohne Rettung den Göttinnen, die den Treubruch rächen, verfallen ist. Wie könnten nun diese fehlen, ohne das Ganze zu zerstören? – Endlich: ist es wahr, daß jener oft ganz mißverstandene Schluß: Fürst Piccolomini, wie Benjamin Constant behauptet, wirklich der prägnanteste Schluß ist, den irgend ein neues Trauerspiel gehabt hat? und in welchem Sinne?

Doch wann würden wir fertig werden, zu fragen, wo in einem so überreichen Zeit- und Sittengemälde so viel zu erwägen und in Zweifel zu stellen ist? Und wo würden wir enden, wenn wir nun vollends über einzelne Rollen und Darstellungsüberlieferungen unsere Bedenken und Zweifel aussprechen, und z. B. fragen wollten, ob eine der wohlberechnenden und kunstreichen Schauspielerinnen unsrer Tage, Mad. Wolf in Berlin, als Gräfin Terzki, recht hatte, wenn sie, weit entfernt, Tücke und Schadenfreude zu Hauptzügen ihres Charakters zu machen, oder auch nur die politische Heldin, der alle Mittel recht sind, um einen großen Zweck erreichen, mit Würde und ohne falsche Beweglichkeit darzustellen, | ihrem Spiele dadurch einen eignen Reiz zu verleihen wußte, daß sie etwas zarteres, eine geheime Neigung zum Friedländer selbst, ahnen ließ? oder ob die einst in Berlin als Thekla bewunderte Dem. Maaß den Geist ihrer Rolle und des herrlichen Monologs darin wirklich ganz gefaßt hatte, als sie den berühmten Schlußvers: Das ist das Loos des Schönen auf der Erde! bitter aussprach?

Uns bleibt hier nur noch im Allgemeinen zu bemerken übrig, daß Schiller erst im Wallenstein die wahre tragische Sprache für unsre Bühne geschaffen und auch durch den hier zum erstenmal so kräftig aufgestellten, an sich so klang- und farblosen Jambus den Versbau für die Bühne begründet hat, der schwerlich jemals durch die Trochäen verbannt, wohl aber abwechselnd auch durch den reinen sechsfüßigen Jambus, wie schon einmal in der Jungfrau versucht worden ist, ersetzt werden wird. Wie volltönend, wie schön gegliedert schreitet jeder einzelne Vers? und wie fügt sich jeder einzelne zum didactischen, lyrischen oder dialogischen Rhythmus in die Periode? An diesem Werke kann der Schauspieler sich üben im Vortrag des ächten Sylbentanzes. Und gäbe es auch, was nicht abgeleugnet werden kann, hie und da einzelne Härten! Sie gleichen, wie schon ein Berliner Kunstrichter einmal sehr treffend bemerkte, einem genialen Jüngling, an dem man selbst kleine Unbeholfenheiten lieb gewinnen könnte!

In Wallensteins Lager hat Schiller, wie bekannt, auch unser altdeutsches Gewächs, den Knittelvers, gar sehr zu Ehren gebracht. Göthe, dessen näherer Berührung er hier auch in andern Punk¦ten schon so viel verdankte, leuchtete ihm auch hierin vor. Was der Nachahmer knechtische Horde später hier wieder versudelt hat, kann doch unmöglich auf Rechnung des Meisters gesetzt werden. Wir nähren aber in unserm Innern die fröhliche Hoffnung und wagen ihr auch öffentlich eine Zunge zu geben, daß uns bald auch noch der Genuß des Vorspiels – spreche ein Kapuziner oder ein Einsiedler, der ja auch an den berühmten Kuku Peter vor dem ersten Kreuzzug erinnern könnte – zu Theil werden dürfte. Denn nur durch den Anblick dieses wüsten Lagergetümmels und einer so wunderbar zusammen geschmiedeten und zusammengewürfelten Soldateske schließt es sich auf, was Questenberg zum Ottavio sagt:

Den Feldherrn hatten wir noch nicht gesehnDen allvermögenden, in seinem Lager.

Das wußte Schiller auch besser als alle, die in diesem Vorspiel nur eine Posse erblicken möchten, und darum legte er selbst großen Werth auf dieß Vorspiel, darum urtheilte er in jenem unsterblichen Prolog dazu:

sein Lager nur erkläret dieß Verbrechen,

und darum sprang er einst selbst, als er die Weimarischen Schauspieler nach einer sehr gelungenen Aufführung zu einem Gastmale eingeladen hatte, bei fortschreitender Fröhlichkeit und Becherlust begeistert auf die Tafel und declamirte vor allen die berühmte Strafpredigt. –

Böttiger.

[Original Footnotes]

  • *) Diese Idee ist mit gelehrtem Scharfsinn aufgestellt worden von Süvern (jetzigen geheimen Staatsrathe in Berlin, beim Departement des Unterrichts) in einem eignen Buche: Ueber Schiller’s Wallenstein. (Berlin 1800). Man vergleiche, was darüber schon früher von uns erinnert ist in der Gallerie zu Schiller’s Gedichten, in der Minerva Jahrgang 1811. S. 14. ff. Die darin gegebene Entwickelung des ganzen Dramas Wallenstein ist auch in’s Englische übersetzt, und von Benjamin Constant, mit dem der Verfasser deswegen Briefe wechselte, zu einer neuen Ausgabe seiner Bearbeitung des Wallenstein’s in französischer Sprache benutzt worden.
  • *) "Man schelte nicht auf den weniger gebildeten Theil des Publikums, als wolle es nur Einzelheiten. Man nöthige ihn nur, das Ganze wollen zu lernen. Er wird es bald lernen und wollen. Bei dem Bruchstück, welches auf unsrer Bühne, unter den Namen: Wallenstein’s Tod, gegeben wird, kann von einem schönen Ganzen gar nicht die Rede seyn, und ist es dann dem Publikum zu verdenken, wenn es nur aufhorcht, wie Wallenstein und die Grazie des Stücks, Thekla, ihre Monologe sprachen, oder wie Max seinen Abgang bewerkstelligte? Alles ist in diesem Trauerspiele zerstört. – Das dramatische Gedicht Wallenstein, als ein Ganzes, hat seinen Peripetie (Lösung des Knotens durch plötzlichen Glückswechsel) am Schlusse der Piccolomini, wo durch Sesinas Gefangennehmung Wallenstein, der bisher nur mit seinem Abfall gespielt hat, sich fast gezwungen sieht zum Hochverrath." Berliner dramaturgisches Wochenblatt, 2ter Jahrgang auf 1817. S. 261.
  • *) Dies ist sehr schön von Bouterweck auseinandergesetzt worden in einer meisterhaften Kritik in der Leipziger Literatur Zeitung vom Jahr 1805. Nr. 92. und nun verbessert in Bouterwecks kleinen Schriften (Göttingen, 1818). 1. Th. S. 225. ff.
  • **) Aus einem seiner Briefe in der Minerva von 1811. in der Schillers Gallerie. S. 36.
  • *) Ueber dramatische Kunst und Literatur. II. Theil. 2te Abth. S. 409.

Editorial

Summary

Rezension: “Wallensteins Tod” von Friedrich Schiller

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 38 (13. Februar 1819), f 1r

Text Constitution

  • “Legitimität”sic!

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