Besprechung neu erschienener Literatur (Teil 2 von 2)

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Dichterwerke in Sammlungen.

Allerdings wird durch die noch immer in Ueberzahl zu Tage geförderten mystischen und südlichen Faseleien und wunderseltsamen Klingklang-Gedichte, die bald in Hermaphroditen-Weichlichkeit zerschmelzend, alles festen Umrisses entbehren, bald in ungekämmter Alterthümlichkeit starren, das Heilige oft entweiht und das Aushängeschild der Gemüthswelt mit empörendem Leichtsinn gemißbraucht. Franz Horn hat in seinen eben jetzt erschienenen Umrissen oder der Darstellungen der Literatur Deutschlands, zwischen 1793 bis 1817, die bei Manchem schon Früherdagewesenen, doch auch viel Beherzigenwerthes andeuten, die Symptome dieses poetischen Schnupfenfiebers gut angegeben. Nicht alle wissen uns so innig zu berühren, wie der wahrhaft gefühlvolle Gebauer* (jetzt in Bonn) in seinen Bildern und in seiner durch ehrenwerthe Frauen und Männer wohlausgestatteten Gemüthswelt*. Aber ein sehr achtungwürdiger und, was der Sache nicht wenig frommt, kaufender Theil unsers reifern Publikums läßt diese Ephemeren höchstens einmal durch seine schnell fortblätternden Finger gehn und die getäuschten Verleger bekommen das Vielbetastete nur zu oft als Makulatur in ihre Niederlagen zurück. Es waren daher in der letzten Ostermesse vielen Verlegern, die diese Leserei ans die wahre Panazee der Zeitgenossen theuer bezahlt und zur Welt gefördert hatten, die Augen aufgegangen. Sie erklärten, daß, da sie mit diesen Süßigkeiten und eingemachten Lesefrüchten so wenig Glück gemacht hätten, sie lieber zum ökonomischen Pumpernickel einer kernfesten Prosa, selbst zu Leitfäden, Rechenbüchern und Fibeln zurückkehren, als solchen Aetherduft chamäleonisch schmaußen wollten. Kluge Vorsätze!

Ein Zeichen, daß das erwachsene, ja bärtige Publikum sich lieber an unsere wohl erprüften Classiker hält, ist die wahrhaft tröstliche Erscheinung, daß mehrere solide Buchhandlungen, welche neue Auflagen oder Sammlungen unsrer alten Lieblinge veranstaltet hatten und damit rasch fortfuhren, mit ihren Absatz fast mehr als zufrieden waren. Der so oft verkannte, aber für unsere preißwürdigsten Häupter in der Literatur und ihre Hinterlassenen, rühmlich sorgende Cotta, fährt fort, durch gediegene Sammlungen das Bleibende in unsrer Literatur in allerlei Formen und Ausgaben rettend zusammenzustellen. Die neueste Ausgabe von Göthe’s Werken in 20 Bänden ist nun wirklich vollendet und damit der Cyclus, wie er im Morgenblatt 1816* angekündigt wurde, geschlossen. Nachdem in dem 17.–19. Band die geniale Selbstbiographie aus meinem Leben noch einmal abgedruckt worden war, folgten im 20. noch mehrere ästhetische Aufsätze, als Rameaus Neffe, der Sammler und die Seinigen u. s. w. Höchst merk¦würdig ist die am Schluß gegebene Erklärung des Dichters, der im August dieses Jahres sein 70stes Jahr antritt. Auch jetzt noch findet er unmöglich, eine ganz chronologisch geordnete Ausgabe seiner Druckschriften zu besorgen. „Dasjenige, so lautet seine eigene Erklärung: was von meinen Bemühungen im Druck erschienen, sind nur Einzelnheiten, die auf einem Lebensboden wuchsen und wurzelten, wo Thun und Lernen, Reden und Schreiben, unablässig wirkend einen schwer zu entwirrenden Knaul bildeten.“ Es sey unmöglich, dieß bei einer Ausgabe von der letzten Hand durch eine bloße cursorische Behandlung zusammenzubinden. Es müßte diese Herausgabe selbst den schon erschienenen fünf biographischen Bänden mehr oder weniger gleichen. Dazu könne es jetzt noch nicht kommen. Man müsse sich also mit einer summarisch-chronologischen Uebersicht von allem, was er seit 1769 drucken ließ, indeß genügen lassen, die zum Faden einer allgemeinen Betrachtung und ausgeführten Darstellung einst dienen könne. Dies summarische Verzeichniß, nach den Jahren geordnet, in dem die Laune der Verliebten anfängt, der Maskenzug in Gegenwart der Kaiserin von Rußland schließt und der Divan angekündigt wird, ist für den Verständigen von hohem Werth. Wie unendlich viel fehlt noch an einer vollständigen Ausgabe! An eine Zusammenstellung von Göthe’s wissenschaftlichen Arbeiten ist kaum noch gedacht. – Es verdient übrigens bemerkt zu werden, daß von diesen 20 Bänden auch in Wien eine rechtmäßige Ausgabe mit aller Eleganz der dortigen Straußischen Officin ausgestattet herauskam und daß, wer den Preis nicht scheut (der Band kostet 2 Thlr. 12 Gr.), da auch an der gefälligsten Außenseite nichts weiter zu erinnern finden dürfte.

Die zweite Lieferung von Wieland’s poetischen Werken (5ter bis 10ter Band), welche Göschen mit der ganzen Zierlichkeit seiner Presse auf’s neue ausstattet und wozu Prof. Gruber in Halle, als Herausgeber, durch Wieland’s Biographie längst legitimirt, einzelne Einleitungen und Abhandlungen schreibt, hat einen schwunghaften Fortgang. Die Nachfrage darnach ist höchst ermunternd für Verleger und Herausgeber. Dieser hat dem 8ten Bande eine gewichtige Zugabe über romantische Poesie und Feenmährchen angefügt, die gerade jetzt, wo Mährchen und Novellen in wilder Verwirrung in einander gerathen, ein Wort zu seiner Zeit ist.

Göckingk war durch den treuherzig-feinen Ton seiner Episteln und Lieder, auch, wo er nicht als Amarant sang, viele Jahre der Liebling deutschfühlender Leser. Er lebt in hohen Jahren noch frisch und theilnehmend an allen Ereignissen der Literatur, bald in Berlin, bald in Schlesien. Um ungerufenen Sammlern das Spiel zu verderben, gab er nun selbst eine vielbereicherte Ausgabe von der letzten Hand. Von Göckings Gedichte, 4 Theile mit Titelkupfern, (Frankfurt, Hermannische Handlung) werden noch lange in gleichgestimmten Familienkreisen Aufnahme und in deutscher Brust, ohne Deutschthümelei, einen Wiederhall finden. Verbunden mit ihm durch Aehn|lichkeit der Gesinnungen, von allen Edeln geschätzt, gab Tiedge uns in dieser Messe eine neue Ausgabe seiner Urania*, stark vermehrt und besonders in jenen lyrischen Uebergängen, wo zuweilen nicht alles ausgefüllt zu seyn schien, fein ergänzt und ausgeglichen.

Ein schöner Stern, schnell im Aufgang und Untergang, erschien uns der frühvollendete Sänger der Cäcilia und der bezauberten Rose, Ernst Schulz*. Der liebreiche Pfleger dieser Gesänge, Bouterweck in Göttingen, erfreuet uns mit dem dritten Theile der poetischen Werke*, v. C. Schulz, (Leipzig, bei Brockhaus) der zwar nur Vordersätze zu jener einzigen Cäcilia enthält, ein höchstmerkwürdiges poetisches Tagebuch, vom 29. Januar 1811 bis 17. Februar 1817, eine Reise mit einem Sonettenkranz und die früheste Erscheinung seiner Muse, seine Psyche in 7 Gesängen*, aber uns den Dichter nur noch vertrauter, unsern Schmerz über solchen Verlust nur noch herber macht. – Sehr verständig erneuerte die Nicolaische Buchhandlung in Berlin ein viel zu früh vergessenes romantisches Heldengedicht v. F. A. Müller, Richard Löwenherz, in sieben Gesängen*. Steht es auch den Alfons* desselben Verfassers in Erfindung und Reichthum nach; so ist es doch unter den ächt Wielandischen Nachklängen noch immer eins der volltönendsten.

Der Wandsbecker Bote ist uns allen noch in gutem Andenken. Asmus-Claudius Werke*, nicht ohne bedeutende Zusätze, hat Perthes*, der ächte deutsche Mann, gesammelt und in 4 Theilen in seinem Verlage herausgegeben. Aber es thut auch wohl, daß des großherzigen F. H. Jacobi’s Werke durch seinen Hintritt nicht unterbrochen wurden. Den jetzt erscheinenden 4ten Theil (Leipzig, bei Gerh. Fleischer), seinen Woldemar, besorgte und feilte Jacobi selbst noch. Zu den folgenden 3 Bänden liegt alles fertig in den Händen des von dem Verstorbenen dazu selbst erwählten geh. Finanzrath Rohde in München. Im Besitze des ganzen literarischen Nachlasses seines Freundes, wird er uns sagen können, ob der meist nur in kleinen Bruchstücken uns zugezählte Nachlaß des Königsbergers Haman[n]s*, den wir in dieser Messe unter dem wohl etwas anmaßend klingeden Titel: Sibyllinische Blätter des Magus in Norden erhalten haben, ächt sind und in dieser Zerstückelung der Herausgabe werth waren. Hamanns Einfluß auf Jacobi, Herder, Hippel*, Jean Paul und die geistreichsten seiner Zeitgenossen ist zu bedeutend, daß hier nichts unbedeutend genannt werden kann, und D. F. Cramer* in Halberstadt, besonders wegen der vorangehenden historischen Skizzen, auch wohl auf unsern Dank zählen kann. Göthe selbst wollte eine Ausgabe der Werke dieses einflußreichen Mannes besorgen.

Daß General v. Steigentesch sich entschloß, selbst eine Ausgabe seiner Werke, der Gedichte, Erzählungen und Schauspiele zu besorgen (in 6 Bänden, Darmstadt, bei Leske) muß schon darum willkommen seyn, weil der nach ächt vornehmer Sitte ¦ nicht eben allzusorgsame Vater in der Pflege seiner Geistes-Kinder sich bis jetzt bei der Unzucht unsrer Bühnen-Directionen manches unächte Kind zuschreiben lassen mußte.

Unter den Fortsetzungen der von den Dichtern selbst neugesammelten Gedichten, dürfen wir wohl das vierte Bändchen der Gedichten Fr. Kind’s, ohne Verdacht der Parteilichkeit, zuerst erwähnen (Leipzig, bei Hartknoch). Die Zierlichkeit dieser schönen Handausgabe, die auch Rambergische Zeichnungen schmücken, ist nicht die einzige Empfehlung. Fast keines dieser Gedichte ist ohne eine feinere Berührung der nachbessernden Kritik geblieben. Sie verdienen, was sie sind, Lieblinge in dem Munde unserer Declamatoren und in der Erinnerung aller Gefühlvollen zu seyn. Von andern Fortsetzungen, die unter einem zweiten Titel auch als selbstständig erscheinen, ein andresmal.

Wir machen hier nur noch auf zwei neue Gedichte aufmerksam, die allerdings als frische Setzlinge in unsern Bardenhain genannt seyn wollen. Ein Deutscher in Moskau* weiht einer deutschen Königstochter, der Großfürstin Alexandrine Feodorowna, unter dem Titel: Fürst Wladimir und dessen Tafelrunde, einen Cyclus altrussischer Heldenlieder, aus dem Munde des russischen Volks, in den Romanzenton des Cids übergetragen. Wie auf der Burg zu Cramalot Arthur mit Lancelot, Gavin und andern zur Tafel sitzt und den heiligen Kraal feiert; so tafelt und zecht auch der fromme Fürst Wladimir in der hellen Burg zu Kiew, mit Dobruna, Rogdai und andern Helden, wovon hier jeder einzelne sein eignes Abentheuer erhält. So wird uns in Deutschland früher ein Kreis russischer Volkslieder bekannt, als der sangreiche Schukowskoi oder ein andrer jetzt lebender russischer Dichter sie in der russischen Sprache bearbeitet! – Der Zug der Normannen nach Jerusalem, romantisches Geldenspiel in 12 Gesängen, von J. Georg Grötsch, so heißt ein deutscher Nachklang des befreiten Jerusalems, nur daß hier Sigurd, der norwegische Held des Liedes, der wegen seines Zugs im Jahr 1107 nach Palästina mit 10,000 Kriegern und 70 Schiffen den Beinamen Jorfalafar erhielt, eigentlich nur im Vorbeigehn Spanien von den bösen Mauren befreien will und erst im letzten Gesange sein Panier auf Golgatha aufsteckt. Das wohlerfundene, sorgsam gepflegte Gedicht würde in einer Zeit, wo die poetische Uebersättgung noch nicht eingetreten war, mit lautem Beifall bewillkommt worden seyn. Jetzt muß außerordentliches geleistet werden, wenn es die heiligen Schwäne mit ihren Schnäbeln aufheben und vor dem Untertauchen in der Lethe bewahren sollen! Beide Gedichte hat Brockhaus in Leipzig verlegt, der durch die bekannten Preisaufgaben für seine Urania manches schlummernde Talent weckte und wie Cotta, Gerh. Fleischer, Hahns, Perthes, Reinerz (Hermannische Handlung in Frankfurt), Bertuch, Reimer, Gerold, auch für die Ehre etwas zu thun im Stande ist.

Böttiger.

Editorial

Summary

Besprechung neu erschienener Literatur (Teil 2 von 2)

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Wegweiser im Gebiete der Künste und Wissenschaften (Beilage zur Abend-Zeitung), Jg. 3, Nr. 164 (10. Juli 1819), f 3r–3v

Text Constitution

  • “ihren”sic!

Commentary

  • “… wie der wahrhaft gefühlvolle Gebauer”Christian August Gebauer (1792–1852), ab 1818 Professor in Bonn.
  • “… Frauen und Männer wohlausgestatteten Gemüthswelt”Bilder aus der Gemüthswelt, Elberfeld 1819 und Bilder der Liebe, Köln 1819.
  • “… wie er im Morgenblatt 1816”Intelligenz-Blatt zum Morgenblatt für gebildete Stände 1816, Nr. 1, S. 1f.
  • “… eine neue Ausgabe seiner Urania”Die Erstausgabe von Christoph August Tiedges, Urania: Über Gott, Unsterblichkeit und Freiheit. Ein lyrisch-didaktisches Gedicht in sechs Gesängen war 1801 in Halle erschienen.
  • “… der bezauberten Rose, Ernst Schulz”Ernst Conrad Friedrich Schulze (1789–1817), Dichter der Romantik, der durch seine Liebe zu Cäcilie (eigentlich Cecilie) Tychsen, Tochter des Orientalisten und Theologen Thomas Christian Tychsen, die 1813 an Lungentuberkulose verstarb, zu seinen literarischen Werken, u. a. Caecilie, ein romantisches Gedicht in zwanzig Gesängen sowie Die bezauberte Rose. Romantisches Gedicht in drei Gesängen inspiriert wurde.
  • “… dritten Theile der poetischen Werke”3. Band der von Friedrich Bouterwek posthum besorgten Ausgabe: Ernst Schulze’s sämmtliche poetische Schriften, 4 Bände, Leipzig 1818–1820.
  • “… seine Psyche in 7 Gesängen”Bd. 3 der Neuauflage der Schulzschen Werke bei Brockhaus enthält: Poetisches Tagebuch, vom 29sten Junius 1814 bis 17ten Februar 1817, Reise durch das Weserthal 1814 und Psyche, ein griechisches Mährchen in sieben Büchern. Angefangen im Sommer 1807.
  • “… Löwenherz , in sieben Gesängen”Neue Auflage des bei Nicolai in Berlin und Stettin 1790 erschienenen Werkes Richard Löwenherz. Ein Gedicht in sieben Büchern von Friedrich August Müller.
  • “… Steht es auch den Alfons”Friedrich August Müller, Alfonso. Ein Gedicht in 8 Gesängen, Göttingen 1790.
  • “… gutem Andenken. Asmus- Claudius Werke”Matthias Claudius, Pseudonym Asmus (1740–1815), Dichter und Journalist.
  • “… ohne bedeutende Zusätze, hat Perthes”Friedrich Christoph Perthes (1772–1843), Buchhändler und Verleger, Schwiegersohn von Matthias Claudius.
  • “… zugezählte Nachlaß des Königsbergers Haman[n]s”Johann Georg Hamann (1730–1788), Philosoph und Schriftsteller, Wegbereiter des Sturm und Drang.
  • “… Jacobi , Herder , Hippel”Theodor Gottlieb Hippel, ab 1790 von Hippel (1741–1796), Staatsmann, Schriftsteller und Sozialkritiker der Aufklärung.
  • “… und D . F. Cramer”Friedrich Gottfried Matthias Cramer (1779–1836), durch Goethe, Herder und F. H. Jacobi angeregt, veranstaltete er diese erste Sammlung von Fragmenten und Sprüchen aus Hamanns schon damals fast verschollenen Schriften.
  • “… wollen. Ein Deutscher in Moskau”Carl Heinrich von Busse.

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