Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Leuchtthurm” von Ernst von Houwald am 24. April 1820 (Teil 2 von 3)
Der Leuchtturm.
(Fortsetzung.)
Man sollte kaum glauben, daß diese in der trocknen Skeletirung etwas seltsam sich gestaltende Fabel in einem nicht viel über 1½ Stunde spielenden Stück so durchaus motivirt und harmonisch aufgelöst werden könnte. Und doch ist’s nur eine einzige, sich rein vor uns enthüllende Familienscene. Man hatte vor dem Eindruck gefürchtet, den das Bringen des Leichnams, sein Hinauftragen auf den Felsen und das grausame Hinabstürzen machen würde. Die Leiche wurde von einer Lebenden mit höchster Schicklichkeit und Wahrheit personificirt. Die so auf die Spitze gestellte Wahnsinnsscene bewirkte überall nur tiefe Rührüng. Die wehmüthigste Theilnahme wagte kaum aufzuathmen. Niemand dachte in dem gedrängt vollen Haus daran, das, was so rein und hoch aufgefaßt war, in Scherz zu verkehren. Jeder Verständige erfreute sich vielmehr der doppelten Sühne. Die so gemißbrauchte Schicksalsfabel wird hier fromm gerechtfertigt; der oft schonungslos hervorgezerrte Wahnsinn löset sich hier in sänftigenden Harfentönen und Delfinentänzen auf. Das in sehr harmonischen, meist gereimten Trochäen zart hinschmelzende Drama, ist mit allen Reizen der bilderreichsten Fantasie reich, aber nicht üppig ausgeschmückt. Viel klare Bilder und Sprüche darf man nur einmal hören, um sie auf immer zu beha[l]ten. Daher lernt sich’s auch ungemein leicht. In allen spiegelt sich die kindlich-fromme und doch kräftige Natur eines wahrhaft originellen, nie Fremdes erborgenden Dichters. Um alles Einzelne zu würdigen, muß es oft gesehen werden. Darum steht, nachdem das Stück die Bühnenwelt ergötzt hat, auch später der Lesewelt noch ein großer Genuß bevor. – Das Stück wurde von Seiten der Regie und des ganzen Künstlervereins mit wahrer Liebe gepflegt und aufgeführt. Des mit vollem Recht hochgefeierten Dichters eigene belebende Gegenwart begeisterte mannigfach. Sein Rath wird manches noch mehr runden manches wird auch wohl wegbleiben. So wird’s zur Versinnlichung künftig keines über die Wellen hinfliegenden Duodezbots bedürfen. Die Kuppelbeleuchtung im Rundzimmer des Leuchtthurms wird noch täuschender seyn. Das warnende Sprachrohr von unten herauf wird deutlicher ertönen. Selbst im Costüm wird hier und da manches sich noch mehr in Einklang bringen lassen.
Die schwierigste Rolle bleibt die des Wahnsinnigen. Mit einzelnen Tonfällen und fantastischer Maske ist’s nicht gethan. Er muß seine ganze Persönlichkeit ausziehen können, wenn er hier genügen will. Wir müssen den sonst süß hinbrutenden Harfner im ersten Akt doch gewaltig aufgereizt erblicken; auf’s höchste wird alles gesteigert im Schlußmonolog. Hier hatte Hr. Hellwig, der diese Rolle gewiß mit vorzüglicher Liebe durchdacht und fantastisch gestaltet hatte, offenbar aus zu großer Besorgniß, wegen ungezügelter Kraft, zu viel Dämpfer aufgesetzt. Die dem Wahnsinn eigne, zuckende Hast hätte, wo er nach der löschenden Schnur greift, noch manchen Zusatz vertragen. Sehr brav das festgenagelte, hinhorchende Auflehnen auf die Harfe, als er die Liebenden sich umarmend erblickt. Aber als sie nun fort sind, da schäumt der Kessel über. Das: aus, aus ihr Lichter! muß durch eine wirkliche Handlung versinnlicht da stehn. Im ¦ Zimmer sind ja noch nicht alle Lichter gelöscht. Ganz entfesselter Wahnsinn verkündige sich in dem gebieterischen: Nacht soll seyn! Im zweiten Akt gelang alles besser. Wie rief er den zerrissenen Schuldbrief von hinten hervor! Nicht bloß ächte Muskelkraft, auch natürliches Schicklichkeitsgefühl that sich uns beim Tragen und Liebkosen des Leichnams kund. Unvergl[e]ichlich die weichen schmelzenden Töne, als er die Schlummernde wecken will, ihr den Kranz von seinem Haupt aufsetzt, zwischen Zweigen sie bettet. Die höchste Spitze war das Darreichen des Friedenzweiges. Wo zwei Augen weinten, da fiel die eine Thräne dem Dichter, die andere dem Schauspieler. Aber die nun folgende Vision, wo ihm des alten Arion Delfinen erscheinen, verträgt noch weit mehr Glanz und Verklärung in Blick und Ton. Groß bleibt immer bei diesem Hinantragen eines vollkommnen weiblichen Körpers die Anmuthung an die physische Kraft. So muß die gleichsam in Stralen hervorbrechende Begeisterung uns dieß Wunder erst recht glaublich machen. – Neben Ulrich hat Graf Holm die schwierigste Aufgabe[.] Hr. Werdy lösete sie ganz zur Zufriedenheit des anwesenden Dichters selbst[.] Beim ersten Auftritt soll er ja gleichsam das Cainszeichen tragen. Seine verstörten Mienen, sein vorwärts gebückter Gang, alles malte den vom innern, wie vom äußern Schiffbruch Niedergeschmetterten[.] Nun entfaltete sich endlich sein zerknirschtes Herz im Geständnisse. Höchst ergreifend war da die Steigerung in beschleunigter Hast. Athemlos keucht er zuletzt auf. Vernichtet steht er da, als er den Wahnsinn erfährt[.] Man hat dieß für übertrieben gehalten und zu starkes Hinarbeiten auf Effect ihm untergelegt. Allein der wahrhaft denkende Künstler wußte wohl, daß nur durch solches Spiel, solche Au[f]lösung in Reue und Jammer, der Verführer am Ende entsündigt dastehn kann – Er versteht und rechtfertigt den Dichter. Der Vater Caspar muß von vorn herein ganz so kräftig erscheinen und als Hand anlegender Leuchtthurmwärter auch so gekleidet seyn, wie ihn Hr. Burmeister gab. Die weichen Stellen der Verzeihung an die Tochter, des Zuspruchs an den Schiffbrüchigen, gelangen am besten, so wie das stumme Spiel, wo er sich von dem seiner Schuld Beichtenden abwendet. Aber solcher Sylbentanz, solcher Zauber im Ausdruck fodert auch im Vortrag poetische Weihe, höhern Aufschwung! Der wahrhaft denkende und im Eifer nie erkaltende Künstler findet hier noch ein weites Feld. – Die Rollen der zwei Liebenden sind im Sinne des Dichters keineswegs die Untergeordneten. Die Schuldlos-reinen müssen ja die entheiligte Liebe sühnen! Mad. Schirmer, als Dorothea, wußte in der ersten Unterredung mit dem Vater das Schwerzuvereinigende, die zarteste Jungfräulichkeit und kindliche Sittsamkeit mit dem Aufglühen der ersten Liebe untadelhaft zu verschmelzen. Dieser schnellauflodernden Glut konnte der Dichter, ohne die Wahrscheinlichkeit zu verletzen, die sonst für ein so einfach und still erzogenes Mädchen nicht ganz passende, aber hinreissende Schilderung des Sonnenaufgangs im erhabenen Naturtempel wohl zumuthen. Sie soll ja in’s Kloster gehn. Da erbebt ihr Innerstes mit nie gefühlten Schauern. Da fühlt sich die schüchterne Jungfrau zu einem Hymnus auf die freie Natur auf einmal mündig und entzückt. Sie gab diese herrliche Stelle mit seltener Erhebung.
(Der Beschluß folgt.)
Editorial
Summary
Chronik der Königlichen Schaubühne zu Dresden:
Der Leuchtthurm, Fortsetzung 1
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Aida Amiryan-Stein
Tradition
-
Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 4, Nr. 106 (4. Mai 1820), f 2v