Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Leuchtthurm” von Ernst von Houwald am 24. April 1820 (Teil 1 von 3)
Montag, am 24. April. Der Leuchtturm, Drama in zwei Acten, vom Freih. v. Houwald. Zum erstenmal und noch nirgends aufgeführt.
Wir haben ein inhaltschweres Buch von Plutarch: Wie die Gottheit den Frevler spät bestraft. Wyttenbach gab es vor fast fünfzig Jahren mit einem lehrreichen Commentar heraus. Schon Lessing bemerkte, daß sich daraus manche Fabel zu einem tüchtigen Trauerspiele schöpfen lasse. Unsere neuen Schicksalstragödien würden kaum als Zusätze zu jener Schrift gelten können. Wo ist die Reinigung der Leidenschaften, wo die Sühne? Von diesen gespentischen Fantomen empört, entschloß sich der eben so tief als zart fühlende Dichter des Bildes, in diesem Leuchtturme eine wahre, kein Gemüth unheilbar verwundende, Schicksalsfabel aufzustellen. Es ist ihm zur allgemeinen Zufriedenheit aller Gleichgesinnten gelungen und die erste Aufführung des Stücks hat alle schon früher davon gefaßten Erwartungen vollkommen befriedigt. Unsere Bühne ist reicher geworden.
Die selbsterfundene, auf keine wirkliche Begebenheit gegründete Fabel des Stücks muß wohl erst ausführlicher erzählt werden. Ein Graf von Holm hat die einst tugendhafte Gemahlin seines, ihm brüderlich trauenden, Freundes, Ulrich Hort, in dessen Abwesenheit, mit Liebe bethört und ist mit ihr und ihrem einzigen Kinde, Hort’s dreijährigem Sohn, nach Amerika gegangen. Absichtlich ausgestreute Gerüchte hatten ihn todt gesagt. Hort verliert über diese Treulosigkeit den Verstand. Nun am Meeresstrande löst sich seine Verrücktheit in freundlichern Wahnsinn auf. Dort singt er seiner, ihm entflohenen Mathilde schon seit 18 Jahren auf seiner Harfe sehnsuchtvolle Wünsche bei Sturm und Sonnenschein entgegen. Den wahnsinnigen Harfner pflegt sein einziger Bruder, Caspar Hort, mit seiner einzigen Tochter Dorothea. In einem Leuchtthurme, auf dessen Kuppel alle Nächte Signal-Lampen angezündet werden, leben diese Drei zusammen. Die zart aufblühende Dorothea hat fast mit niemand als mit ihrem sie selbst unterrichtenden Vater und dem gemüthkranken Oheim Umgang. Da strandet ein Schiff am nahem Felsenriff. Ein einziger Jüngling, Walther mit Namen, wird von der ruderkundigen Jungfrau und ihrem Vater, dem Thurmwächter, geborgen. Sie lieben sich, ohne sich zu erklären, beim ersten Blick. Der Jüngling weilt im benachbarten Dorfe. Eine stürmische Nacht droht auf’s neue Allen, die der Küste sich nahen, wofern nicht Signalfeuer brennen, Untergang. Man hört Nothschüsse. Während Caspar Hort vom Thurme hinabeilt, um auch unten ein warnendes Feuer anzuzünden, kommt Walther, der Geliebten in diesem Sturm der Elemente beizustehn, zum erstenmale selbst auf den Thurm. Dem Mädchen lag ob, die Lampen oben brennend zu erhalten. Indem jetzt die Liebenden sich dem Entzücken des ersten gegenseitigen Eingeständnisses überlassen, hat der wahnsinnige Oheim die Lampen oben plötzlich ausgelöscht. Diese Idee, im Wahnsinn, also in der Willkühr des Bewußtlosen, einen Lenker und Ordner der Dinge aufzustellen und dadurch der Vorsehung gleichsam nachzuspielen, wird stets bewundert werden. Er ruft nun, als die Aufgeschreckten zum Vater hinunter an den Strand gesprungen sind, frohlockend über seine That: ¦
Was zündet der Mensch seine Lampen an?Er wird das rollende Rad nicht wenden. –Nacht soll es seyn. –Damit schließt sich der erste Akt, der im runden Wohnzimmer spielt, auf dessen Kuppeldach die Signale brennen. Das Schiff, welches Nothschüsse that, ist, der Signalfeuer beraubt, mit Mann und Maus untergegangen. Dieß ist der einzige, vielleicht nicht genug ausgelösete Mißklang. Nur Ein Mann davon hat sich auf eine Klippe gerettet[.]
Der zweite Akt zeigt uns unweit des Leuchtthurms einen Meeresstrand mit vorspringenden Felsenabsätzen, die in die See hinausstarren. Der Morgen bricht an. Auf dem Vorsprunge sitzt der Harfner und begleitet seine Morgenphantaste mit einzelnen Accorden. Da treten unten Dorothea und der, ihrer verliebten Nachlässigkeit zürnende, Vater hervor. Die Geängstete zeigt die tiefste Reue. Allein Ulrich ruft hinten hervor und klagt sich selbst der That an. Wo das Schicksal Gericht halte, dürfte der Mensch kein Licht anzünden.
Quäle nicht das arme Kind.Laß ihm seine Liebe immer!Liebe thut dem Herzen wohl.Walther ist indeß in einen Kahn gesprungen und bringt den einzig Uebriggebliebenen vom Riff auf’s Land. Wir sehen diese Rettung in der Beschreibung des bangenden Mädchens, die ihm mit dem Vater vom Felsen herab zusieht. Jetzt naht die Entwickelung. Walther ist der, mit der Mutter nach Amerika entführte, Sohn, von dem Entführer treu erzogen. Die Aeltern, von Reue gefoltert, haben ihn voraus geschickt, um den rechten Vater aufzusuchen. Er ist von seinem Oheim unbewußt gerettet worden. Denn Dorotheens Mutter war die Schwester seiner Mutter. Den er heute rettete, er ist Graf Holm, sein Pflegevater. Sein leiblicher Vater ist der wahnsinnige Ulrich. Erschütternde Erkennungsscenen zwischen Holm und Hort, Dorotheens Vater, der dem zerknirschten Verführer endlich die Folgen seiner Unthat, die im Wahnsinn des so Beraubten endeten, eröffnet. Mathilde selbst, die reuig zurückkehrende Mutter Walthers, ist beim Schiffbruch in dieser Nacht vor Holms Augen ertrunken. Da Holm, mit Verzweiflung ringend, abseits gegangen ist, hat Ulrich den Leichnam Mathildens, am Strande ausgespült, aufgehoben und bringt ihn nun auf die Scene getragen. Er liebkoset der Wiedergeschenkten mit unbeschreiblicher Wehmuth, da er sie nur für eine Tiefschlummernde hält. Da tritt Graf Holm, der Verführer, hinzu. Ein herzzerschneidendes Zusammentreffen. Im halbaufdämmernden Bewußtseyn fürchtet Ulrich, daß Holm ihm das wiedergefundene Weib aufwecken, davon führen wird. Er will sich vor ihm mit ihr in’s Heimathland flüchten. Ein neuer Arion ruft er die Delfinen. Sie sollen ihn mit seiner Harfe und seinem Weibe über die Fluten tragen. Da ergreift er die Todte, trägt sie auf den obersten Felsvorsprung und stürzt sich mit der Harfe und ihr hinab in’s Meer. Die Herbeieilenden kommen zu spät. Holm’s unaussprechliche Reue verdient Mitleid. Die Sühne ist vollendet. In den zwey schuldlos Liebenden geht das Geschlecht nicht unter, es blühet frisch fort.
Thor, wer jener ew’gen LiebeMilde Fügung nicht erkennt:Sind nicht in den tiefen WogenDie gepreßten Herzen seligZu der Heimath hingezogen? –(Die Fortsetzung folgt.)
Editorial
Summary
Chronik der Königlichen Schaubühne zu Dresden:
24. April: “Der Leuchtthurm, Drama in zwei Acten, vom Freih. v. Houwald Zum erstenmal und noch nirgends aufgeführt”, 1. Teil
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Aida Amiryan-Stein
Tradition
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Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 4, Nr. 105 (3. Mai 1820), f 2v