Rezension: “Euryanthe von Savoyen” von Helmine von Chezy, Berlin 1823

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Euryanthe von Savoyen – von Helmine von Chezy, Berlin, Vereinsbuchhandlung 1823. XII. und 116 S. in einem zierlichen Umschlag, mit allegorischer Einfassung in Holzschnitt von Gubitz.

Wieland, der hierin vortrefflichen Bescheid wußte, behauptete oft im Gespräch, wenn er auf die Stoffe zu reden kam, deren er sich für seine romantischen Epopöen und Erzählungen bedient habe, man könne diese, ursprünglich arabisch-persischen, dann pervenzalische Fabliaux und Sängersagen auf höchstens einige 40 zurückführen, aus welchen dann in unendlicher Prolification und Fruchtbarkeit alle späteren, polypenartig mit jeder Zerschneidung sich ergänzend, hervorgegangen wären. Die Sache ist wohl eine des deutschen Forschers würdige Aufgabe. Hätten die Brüder Grimm nicht Zeit und Lust, so denken wir, ohne irgend vorgreifen zu wollen, entweder an den einsichtvollen und in jeder Forschung glücklich gestaltenden Bibliothekar D. Wilhelm Müller, oder an den uns hier in Dresden unvergeßlichen Bibliothekar Ebert in Wolfenbüttel, von welchem wir eine Forschung über die Sagen des christlichen Alterthums, nicht ohne gerechte Erwartung, angekündigt finden. Was diese Bemerkung zunächst veranlaßte, ist die alte Sage von der Euryanthe, die als verläumdete Unschuld in Boccaccio`s Madonna Zineura (Decam. Giorn. II. Nov. 9) und in Shakspear’s Imogen allen Literaturfreunden längst bekannt, jetzt der der Stoff des romantischen Singspiels geworden ist, welches unser Maria von Weber zunächst für die Wiener Hofbühne componirt und noch in diesem Jahre selbst dort aufzuführen gedenkt. Wie bekannt wurde diese altfranzösische Sage schon im vorigen Jahrhundert in den Werken des bekannten Grafen Tressan oder auch in der Bibliotheque des Romans der französischen Leselust, und aus jener Sammlung in der sogenannten blauen Romanenbibliothek, welche Bertuch in Weimar veranstaltete, auch der Deutschen aufgetischt. Die Quelle war ein Manuscript in der Königl. Bibliothek in Paris. Allein wie unverantwortlich ist in dieser erbärmlichen, dem frivolsten Zeitgeschmack fröhnenden Bearbeitung jene hohe keusche Einfachheit der ursprünglichen Erzählung in ein lüsternes Zerrbild voll Ziererei und Aberwitz verwandelt worden!

Es war daher gewiß eine eben so zeitgemäße, als zweckmäßige und daher lobenswürdige Unternehmung, daß die mit allen Dichtungen und Sprachen der Troubadours und der südlichen Welt vertraute Dichterin, Helmine von Chezy, bis das sehnlich erwartete Drama, von ihr für den ¦ Tonsetzer bearbeitet, als lyrische Oper über Deutschlands Bühnen geht, uns mit dem unverfälschten, ursprünglichen Stoff der Fabel in ihrer reinen Einfachheit vorläufig bekannt macht. Dieß ist nun in der so eben erschienenen Schrift auf eine Weise geschehen, wie es von einer so musikalisch-tonreichen und gemüthvollen, von ihrem Gegenstand so ganz durchdrungenen, Dichterin nur immer erwartet werden konnte. Durch einen Auszug würde hier wenig genutzt und niemanden gedient werden. Den Freunden dieser Poesie genügt es zu wissen, daß Helmine bei Uebertragung der Euryanthe aus der alten, vergessenen und verklungenen, doch unendlich reizvollen Sprache mit treuer Liebe verfuhr, und so, wie sie es selbst im verständig gefaßten Vorwort ausspricht, ein unverarbeitetes Metall, doch ohne Zusatz, ächte Ausbeute aus versunkenem Schacht zu Tage förderte. […] Ja es mag leicht eine sinnreiche Aufgabe seyn, beim Lesen dieser durch so viele Verschlingungen und Irrsale verwickelten Sage sich jetzt schon zu fragen, was konnte davon der einsichtvolle Tonsetzer, der, wie wir wissen, die Dichterin in allen leitete und berieth, zu seinem Zweck brauchen? Denn im überreichen Stoff selbst wäre Vorrath zu zehn Opern! Hier sey nur noch angeführt, daß unsere Helmine der Wahrheit unbeschadet einzelne Lieder eingeflochten hat, deren Klänge u. Gänge sogleich an die hier allein gültigen Tonweisen erinnern. Eine Probe mag wohl hier stehen. So singt Graf Gerhart als ächter Troubadour am Hofe des Königs seiner fernen Euryanthe zu:

Wie fühl’ ich im Herzen […][…]Böttiger.

Editorial

Summary

“Literarischer und Kunst-Wegweiser”, gezeichnet: Böttiger

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Tradition

  • Text Source: Wegweiser im Gebiete der Künste und Wissenschaften (Beilage zur Abend-Zeitung), Jg. 7, Nr. 50 (21. Juni 1823), pp. 197–198

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