Carl von Holtei: Zur Erinnerung an Carl Maria von Weber, 1853, Teil 3 von 3

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Zur Erinnerung an Carl Maria v. Weber.

Von C. v. Holtei.

(Schluß.)

Zuversichtlicher als er, weniger Hypochonder, zeigte sich die Dichterin des Buches, Frau Helmina von Chezy, die gekommen war, der Einübung der „Euryanthe“ beizuwohnen, und die ebenfalls im „wilden Mann“* abgestiegen war.

Sie, gleich uns; und wir, wie Weber; und Weber, wie Wolff; und Wolff, wie E. Devrient: wir sämmtlich hatten viel gelitten, und litten noch; nicht sowohl durch theilnehmende Besorgniß um Carl Maria’s und Helmina’s poetisch-musikalische Tochter, als vielmehr, daß ich es höchst prosaisch eingestehe, durch eine Masse unzählbarer Feinde, die weder Schlaf noch Ruhe gönnten; die sich vorzugsweise unsere ausländischen Häute zum Tummelplatze ihrer „Rösel’s Insecten-Belustigungen“ auszusuchen schienen, und uns, als ob auch wir, jeder und jede, ein wilder Mann und eine wilde Männin wären, förmlich tättowirten.

Ich selbst habe doch siebzehn Jahre später in demselben Hotel unangefochten von ähnlichen Friedensstörern geschlafen! Gott weiß, welch’ ein feindseliger Zauberer im Sommer und Herbst 1823 derlei Landplagen über uns verhängte? Weber machte sich anheischig, vollständige Partituren von uns herunter zu lesen, die besagte Schnellschreiber in punctirter Manier auf uns gestochen. Wolff, etwas empfindlicher Natur, hatte unbedenklich am meisten auszustehen gehabt. In seiner Ungeduld hatte er sich aus seiner, mit Wachs getränkter Leinwand einen lebensgroßen Sack nähen lassen, und in solchen mußte ihn sein Diener allabendlich beim Schlafengehen schieben, und einbinden bis an den Hals, so daß nur der Kopf ungeschützt blieb. Auf diesem hielten dann die durstigen Blutsauger ihren rechten Hexensabbath; und weil der Patient beide Hände im Sack stecken hatte, konnte er das Antlitz nur unvollkommen vertheidigen. Er brachte grimmige Nächte zu, mit Sack, wie ohne Sack, und diese waren Grund, daß er seinen Wiener Aufenthalt abkürzte.

Weber begehrte den berühmten Sack als Vermächtniß, damit er sich säcken und zur Do¦nau schleppen lasse, wenn „Euryanthe“ durchfalle. Die verschiedenartigen Ausbrüche verschiedener Verzweiflungen gaben uns freilich viel zu lachen, wo wir am Tage zusammen kamen; das hinderte doch nicht, daß unser nächtliches Lager bisweilen zur Folterbank wurde.

Was blieb am Ende übrig, als eben dieses Lager so spät wie möglich zu besteigen? Und dazu war denn die „Ludlamshöhle“T das sicherste Mittel. Aus dieser gab es so leicht kein Entkommen[.]

In meinen Memoiren* (Band IV. pag. 97) habe ich flüchtig angedeutet, wie Weber sich anfänglich gegen die nicht immer zarten Ludlamsspäße gesträubt. Ja, ich glaube fast, hätte nicht die Rücksicht für sein Debut als Operncompositeur warnend im Hintergrunde gestanden, er wäre zum zweiten Male nicht wieder eingetreten. Etwas dem Aehnliches vertraute er mir, als wir am ersten Abende nach seiner Aufnahme miteinander heimgingen. Doch nach und nach lernte er sich fügen, und zuletzt lebte er sich so tief und fest in diese Höhle, die ihres Gleichen auf Erden nicht mehr hat, daß „Agathus der Zieltreffer, Edler von Samiel“ – (so hieß er als Ludlamit) – der feurigste Verkünder ihrer Herrlichkeiten wurde und blieb.

Meiner Frau und mir war es nicht beschieden, die erste Aufführung der „Euryanthe“ in Wien abwarten zu dürfen. Wir mußten scheiden*. Und da wir Lebewohl sagten, da wir innig-gerührt unsern aufrichtigen Wünschen für das Gelingen seines großen Unternehmens Worte und Ausdruck zu geben versuchten: – da deutete er feierlich-ernst auf ein Blatt im Stammbuch meiner Frau, worauf er so eben erst sein Motto als Denkspruch eingeschrieben: „Wie Gott will!“

Einige Jahre sind vergangen, bis Weber den bestimmten Ruf erhielt, sich nach Berlin zu begeben, und auch dort die erste Aufführung der „Euryanthe“ zu leiten.

Unser hochseliger König liebte ihn nicht. Die Ursachen dieser Abneigung auseinander zu setzen, würde hier zu weit führen. Doch dürfen wir als sicher annehmen, daß dieselbe nicht | allein in der Vorliebe für Spontini wurzelte. Spontini freilich war – schwach genug, Alles anzuwenden, was seine Protectionen ihm gestatten wollten, um der jüngeren Schwester des „Freischützen“ und ihrem Vater die Pforten des Opernhauses so lange als möglich zu verschließen. Gerade das Nämliche that auf der andern Seite und im entgegengesetzten Sinne der General-Intendant Graf Brühl, bei dem es nicht des wohlbegründeten Hasses gegen seinen Erbfeind Spontini bedurfte, damit er Alles aufbot, für Weber zu handeln. Vermittler bei den Einleitungen dieser Begebenheit – denn das war es für Berlin – ist der gelehrte Reisende, der geist- und gemüthvolle Naturforscher Lichtenstein gewesen, Weber’s vertrautester Freund. Theilnehmer waren alle Berliner, mit Ausnahme der Indifferenten, oder Stockspontinianer.

Der König, zwischen Brühl und Spontini, und zu gerecht, um einen willkürlichen Machtspruch zu thun, übergab die Entscheidung dem Minister Seines Hauses, dem Fürsten Wittgenstein, der zugleich in Theatersachen oberste Autorität übte. Dieser, dem ganzen Publicum gegenüber in nicht geringer Verlegenheit, erbat sich vom preußischen Gesandten in Wien, vom Fürsten Hatzfeldt, zuvörderst einen ästhetisch-ministeriellen Rapport über die Aufnahme, welche „Euryanthe“ vor etlichen Jahren in Wien gefunden.

Fürst Hatzfeldt, ein gewiegter Diplomat, ein Mann von vornehmen Zuschnitt, von steter Haltung, der sogar Bonaparten in die Zähne hinein seinem Könige Treue bewahrt, das Leben auf’s Spiel gesetzt und endlich, nachdem der Fürstin kühner Muth ihn gerettet, die Achtung und das Vertrauen des französischen Kaisers in solchem Grade davon getragen hatte, daß man im Jahre 1810 keinen bessern Ambassadeur für Paris gewußt, als ihn – dieser Fürst Hatzfeldt war nebenbei auch Dilettant; machte fait von guter Stimme; schmückte zu seiner Zeit die musikalischen matinées in Malmaison mit seinem zierlichen Gesange; italienische Schule galt ihm einzig und allein; er war durch und durch Cavalier, auch im musikalischen Geschmack!... Wir können uns leicht denken, wie sein Bericht über „Euryanthe“ mag ausgefallen sein!

Schon triumphirte Ritter Spontini.

Aber dennoch zu früh. Graf Brühl war auch ein Ritter, und ritterlicher als Jener. Er streckte die Waffen nicht. Er zeigte sich für seinen Freund Weber unermüdlich und es gelang. Der König befahl – und Carl Maria wurde berufen.

Ganz Berlin rüstete sich, ihm und seiner „Euryanthe“ einen Empfang zu bereiten, wie es der Stadt gebührte, in deren Gassen seine ¦ Melodien früh und spät erklangen; einer Stadt, wo alle Stände ihn liebten; wo die Dienstmädchen zu sagen gewohnt waren: „über Webern jeht nichts nich’; mit seinem Jungfernkranz legt man sich nieder, und mit dem Jägerchor steht man auf!“

Bekanntlich hatte der „Freischütz“ das neuerbaute Berliner Schauspielhaus eingeweiht*. Auch ein Sieg, den Brühl über des Königs Abneigung, oder richtiger gesagt, den Friedrich Wilhelm der Gerechte über sich selbst davon getragen.

Die Berliner betrachteten Weber und dessen Opern fast wie ihr Eigenthum, und als den Ihrigen begrüßten sie ihn, mochte er immer sächsischer Hofcapellmeister heißen.

Bevor ich zum Schlusse komme, sei dem alten Schwätzer gestattet, noch einmal von sich zu reden; von einem Lichtpunct in seinem Schattenleben.

Es wurde gerade auf der Königstädter Bühne eines meiner Stücke: „der alte Feldherr“ gespielt. Weber, kürzlich erst angelangt, hatte sich aus Wohlwollen für mich in’s Theater verlaufen*. Nachdem der Vorhang gefallen, kam er auf die Breter: Zuerst das Handwerk begrüßend, sagte er dem Capellmeister Henning einige Artigkeiten über die vorzügliche Instrumentation der von mir gewählten Volksweisen. Dann faßte er mich mit beiden Händen an und sprach: „Ich bin in Euer Theater gegangen, mit der Erwartung hier zu lachen. Nun haben Sie mich weinen gemacht. Auch gut. Ich danke Ihnen. Und Sie müssen mir ein Singspiel schreiben.“

Dergleichen hört man auf langer Lebensbahn bisweilen, aber wie Weber es sagte, sagt es kein And’rer. —

Euryanthe wurde denn aufgeführt, und wurde, obgleich die Ausführung mancherlei zu wünschen ließ, aufgenommen mit der Begeisterung, die in allen Seelen vorwaltete für den Herrscher im Reich der Töne. Man darf annehmen, daß zugegen war, wer in der großen, gebildeten Stadt Ansprüche auf Kunstsinn, auf höheres Verständniß, auf Theilnahme am Besseren machen durfte; daß an diesem Abende die Besten den Ton angaben; galt es doch, Carl Maria von Weber zu feiern!

Wie immer bei ähnlichen Gelegenheiten, zeichnete sich auch bei dieser Meyerbeer’s einflußreiche Familie aus. Sie hätte nicht regsamer, nicht antheilsvoller sein können, wenn der Abend und des Abends Ehren ihrem Giacomo gegolten. „Daß er nur ja recht ordentlich empfangen wird, unser lieber Weber!“ rief Amalie Beer, – die edle Mutter, die jetzt schon drei ihrer Söhne betrauert, und welcher Gott zum Besten der Armuth ein so hohes Alter verlieh’n, – jedem Hausfreunde, der | sich in jenen Tagen zeigte, ängstlich dringend entgegen. Worauf wir im Chore erwiederten: wir werden schon unsere Schuldigkeit thun.

Und wir haben sie gethan. Freilich nicht ohne schelmische Seitenblicke nach Spontini’s Loge. Denn die Bosheit verlangt manchmal auch ihre Rechte. Was man la part du diable nennt.

Wenn auch nicht dieser, dennoch ein finsterer Geist war es, der in alle Triumphe des Meisters die düst’re Larve grinsend steckte; der ihm in’s Ohr raunte: memento mori.

„Mit mir ist’s aus; ich fühl’s, es geht zu Ende!“ Das waren seine letzten Worte, als ich am Tage vor seiner Rückreise nach Dresden aus dem Thiergarten von Beer’s mit ihm zur Stadt fuhr.

Bevor er die Reise nach London antrat, war mir vergönnt, ihm noch einmal ins Angesicht blicken, noch einmal in seinem Hause weilen, an seinem Tische sitzen, ja sogar mit ihm lachen zu dürfen. Eine winterliche Geschäftsreise in Aufträgen der Königstädter-Theater¦direction führte mich nach Dresden, und ich flog, durchfroren wie ich ankam, zu ihm*. Und er legte Beschlag auf mich, nach seinem Ausdruck, damit wir uns anstellen möchten, als ob wir wohl noch lustig sein könnten. Aber es war bei All’ dem eine traurige Lustigkeit.

Nach dem Essen führte er mich in sein musikalisches Heiligthum.

Ueberall Notenblätter, – englische Studien, – wohin man blickte: „Oberon.“ Das Feuer brannte ihm schon auf die Nägel.

„Ich muß die Ohren steif halten, daß ich fertig werde,“ meinte er.

„Und Sie wollen wirklich die Fahrt nach London machen?“

„Was hilft’s! Ich denke, die Seeluft soll meinem Halse gut thun!“

„Aber die furchtbaren Anstrengungen, die Ihnen unvermeidlich bevorstehen?“

Wie Gott will!“

Damit haben wir Abschied genommen. Und es war auf immer.

Editorial

Summary

Erinnerungen Carl von Holteis an Carl Maria von Weber, Teil 3/3

Creation

Responsibilities

Übertragung
Charlene Jakob

Tradition

  • Text Source: Wiener Modespiegel. Wochenschrift für Mode, schöne Literatur, Novellistik, Kunst und Theater, Jg. 1, Nr. 6 (10. Februar 1853), pp. 87–89

Thematic Commentaries

    Commentary

    • “… die ebenfalls im wilden Mann”Wirtshaus Zum wilden Mann in Währing (heute 18. Wiener Gemeindebezirk), Währinger Straße 85.
    • “… In meinen Memoiren”Carl von Holtei, Vierzig Jahre, 8 Bd., Berlin 1843–1850, speziell Bd. 4 (1844).
    • “… zu dürfen. Wir mußten scheiden”In Webers Tagebuch ist ein letztes Treffen mit Holteis in Wien am 30. September 1823 dokumentiert, am 9. Oktober dann bereits der Empfang eines Briefes von C. von Holtei. Die Uraufführung der Euryanthe am 25. Oktober 1823 erlebte Holtei nicht, überschrieb aber trotzdem sein Gedicht aus diesem Anlass mit „Wien; nach Darstellung der Euryanthe“.
    • “… das neuerbaute Berliner Schauspielhaus eingeweiht”Der Freischütz war die erste Opernproduktion im neuen Schauspielhaus, aber nicht das Eröffnungsstück. Zur Einweihung des Theatersaals vgl. den Kommentar zu Webers Tagebuchnotizen vom 26. Mai 1821, der neue Konzertsaal war schon länger in Benutzung.
    • “… für mich in’s Theater verlaufen”Theaterbesuch laut Tagebuch am 21. Dezember 1825.
    • “… wie ich ankam, zu ihm”Holteis Reise nach Dresden fand offenbar nicht im Winter 1825/26 (nach der Berliner Euryanthe-Premiere vom 23. Dezember 1825) statt, sondern bereits im Herbst 1825. Webers Tagebuchnotizen erwähnen die letzten gemeinsamen Treffen mit Holtei am 17. und 18. Oktober 1825.

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