Carl von Holtei: Zur Erinnerung an Carl Maria von Weber, 1853, Teil 1 von 3

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Zur Erinnerung an Carl Maria v. Weber.

Von C. v. Holtei.

Im „kleinen Rauchhause“ war kein Platz mehr; auch nicht das kleinste Stübchen leer. Die Wirthin, die mich in gutem Andenken behalten, weil ich vor zwei Jahren einen bei ihr angebundenen Bären von Breslau her mit vierundzwanzig Thalern richtig und ehrlich gelöset, bedauerte gar sehr, mich von ihrer Thüre weisen zu müssen, wollte mich so viel wie möglich in ihrer Nähe behalten, und deshalb schickte sie mich „zum goldenen Hirsch,“ ihr gerade ge¦genüber. Dort wimmelte es zwar auch von Studenten; — denn im Jahre 1822 gehörte eine Lustreise nach Dresden zu den Herbstferien des deutschen Burschen. Wer nur einige wenige „Spieße“ auftreiben konnte, pilgerte nach Elb-Florenz; und wer gar nichts hatte, machte sich um desto gewisser auf den Weg, weil er sicher war, dort Bekannte zu finden, bei denen gepumpt werden konnte. Und fand einer keinen Bekannten, oder fand er die Bekannten ohne | Mittel, so pumpten sie vereinigt einen Unbekannten an. Diese Ehre widerfuhr auch mir von den Mitbewohnern des goldenen Hirschen. Ich war ein Mann, dem es auf eine Handvoll Geld nicht ankam; Theatersecretär und Theaterdichter beim königl. priv. Nationaltheater in Breslau, mit dreihundert Thalern fixem Gehalt, Nebeneinnahmen und literarischen Erwerb gar nicht einmal zu rechnen! Wurde ich nicht von meiner hochlöblichen Direction in Engagements-Aufträgen entsendet, und stand in Diäten? machte ich nicht außerdem auf eigene Rechnung Geschäfte für eine neue belletristische Zeitschrift, welche unter dem Titel: „deutsche Blätter“ vom 1. Jänner 1823 erscheinen wollte? Ich war ein bedeutender Mensch, und erstaunlich herablassend kam ich mir vor, daß ich mich mit einem Gasthause dritten Ranges begnügte, wo mir doch ganz andere Hôtels offen standen. Die Studenten machten aber anfänglich verzweifelt wenig aus mir; meine Titel schienen sie kalt zu lassen; doch nachdem wir miteinander gekneipt, und sie mich für ein fideles Haus anerkannt hatten, wurden sie wärmer. Wir zogen Arm in Arm nach dem Theater, in dessen Parterre wir uns mühsam eindrängten. Man gab den Freischützen. Der Componist sollte, von einer Urlaubsreise heimgekehrt, zum ersten Male wieder dirigiren*. Aller Augen warteten auf ihn[.] Auch ich war sehr gespannt, den Meister lebendig zu erblicken, dessen kräftige Kriegslieder ich als freiwilliger Jäger so oft mit den Kameraden auf dem Marsche gesungen*. Einige Studenten aus dem kleinen Rauchhause hatten ihn schon gesehen und schilderten ihn als lahm. Einer kannte gar mehrere Webersche Vettern und versicherte: jeder von diesen sei lahm und zugleich Musikdirector; beides gehöre zur Familienähnlichkeit. Während wir nun ungeduldig nach Vorn starrten und harrten, wurde es hinter uns lebendig und ehe wir uns versahen, rückte ein großer, prachtvoller Lorberbaum heran, in stattlichem Gefäße, mit Blumenkränzen umwunden. Von unzählbaren, aus dem Gedränge auftauchenden Händen getragen, bewegte sich die bedeutungsvolle Gabe dem Orchester zu. Und so thätig und geschickt zeigten sich Alle, die auf dem Wege dahin standen oder saßen, daß der Baum den Platz des Capellmeisters in demselben Augenblicke erreichte, wo Carl Maria v. Weber erschien!*

Man wird alt, matt, gleichgiltig. Ich bin es auch geworden. Aber noch heute weht mich die Erinnerung dieser Abendstunde mit frischem, jugendlichem Hauche an, und indem ich diese Zeilen niederschreibe, dringen die ersten Töne der Ouvertüre mir in’s Herz durch den Jubel der Zuhörer, und ein Wonneschauer süßer Wehmuth durchrieselt mich.

O mein Himmel! haben wir geschrieen, ich ¦ und meine Studenten aus dem goldenen Hirschen, und die andern aus dem kleinen Rauchhause, und alle Uebrigen, alle, alle: „Weber, Weber, hoch!

Manchem jugendlichen Leser werde ich sehr abgeschmackt und albern erscheinen — (aber darauf bin ich stolz), — wenn ich hier bekenne, mein Wunsch, Weber in der Nähe zu sehen, ihn reden zu hören, wurde zurückgedrängt durch ein Gefühl ehrerbietiger Schüchternheit, welches mich mein Lebetag abhielt, berühmten Leuten, die ich verehrte, ohne Weiteres entgegen zu treten. Gar wo ich Begeisterung empfand, stand ihr bescheidene Hochachtung zur Seite, und ich hätte um keinen Preis zu ihm hinlaufen mögen, in „meines Nichts durchbohrendem Gefühle,“ obgleich ein Secretär des Breslauer Theaters und Redacteur in spe allerlei Vorwände erfinden konnte, an die Thür eines Dresdner Hofcapellmeisters zu klopfen. Zu Tieck, bei dem ich gern gesehen war, kam Weber zu jener Zeit gar nicht, oder doch sehr selten. So begnügte ich mich denn, bisweilen unter seinen Fenstern auf und ab zu wandeln, und nach dem Erker hinauf zu schauen, der die Ecke seiner Wohnung bildete. War auch darauf gefaßt, Dresden wieder zu verlassen, ohne eine Sylbe aus seinem Munde vernommen zu haben.

Gott hatte es besser mit mir im Sinne.

In sanftem Herbstsonnenschein begegnete ich auf der Terrasse einer beliebten Sängerin sammt ihrem Gatten, die ich einige Monate zuvor in Schlesien kennen gelernt, und die nun auf dem Rückwege von einer großen Kunstreise in Dresden Halt machten*. Augenblicklich wurde für den nämlichen Abend ein Zusammentreffen in Chiapone’s Keller verabredet; nach dem Schauspiel wollten wir uns finden, um Maccaroni zu speisen und Austern. Sobald diese wichtige Sache geordnet war, spazierten wir plaudernd weiter. Ich erzählte vom neulichen Theaterjubel, von Weber’s Empfange, von meinem Entzücken. Die schöne Frau ließ sich’s gesagt sein, doch erwiederte sie nichts. Als ich aber des Abends in jenen traulichen Räumen wartete, die sich über so vielen heitern Künstlerkreisen schon gewölbt, daß sie einen classischen Ruf genossen; als ich mit Freund Chiapone, die Anordnung des kleinen Festmahls besprechend, meine Gäste zu empfangen bereit stand — da öffnete sich die Thür und am Arme der Holdseligen hinkte herein der Meister, dessen Agathe sie so gerne und so glorreich ins Leben gerufen*.

„Ich lade mich selbst hier ein,“ sagte er; „ich gehöre ja auch, so zu sagen ‚zur Bande!‘“

Das war ein Abend! Einunddreißig Jahre sind seitdem vergangen. Könnte man ihn noch einmal durchleben, man lebte sich, glaub’ ich, wieder jung. |

Wir waren unser sechs oder sieben; Ludwig Robert mit seiner junonischen Gattin befand sich auch in Dresden. Schändlich lügen würde ich, wollt’ ich versichern, das Gespräch habe sich lange auf dem Puncte gehalten, den gelehrte, verständige, sittsame, weise Personen als den Mittelpunct vornehm-geselliger Würde bezeichnen. Das war Weber’s Art nicht. Er konnte sehr ernsthaft sein, wo es galt. Aber wo es darauf ankam, sich gehen zu lassen; zwanglos, lustig zu scherzen, da gab er sich auch ohne Rückhalt hin; da wurde er kindisch und sein anmuthiges Beispiel wirkte bezaubernd auf jeden Genossen, der eben nicht völlig eingestaubt und eingetrocknet neben ihm saß. Von dem humoristischen Unsinn, den er sprechen, den er die Nachbarn sprechen machen konnte, haben achselzuckende Schönredner und Phrasendrechsler und Süßholzraspler keinen Begriff; sollen, dürfen ihn auch nicht haben. Denn wär’ es nicht gar zu traurig um die Künstlerwelt, und was darum und daran hängt, in dieser Welt bestellt, wenn sie nicht wenigstens ein Recht besäße, oder sich nehmen dürfte, untereinander des Horatius Worte vom dulce est desipere in loco zu ihrem Wahlspruch, oder sich zu ihm zu erheben? Lassen Sie sich den Sinn dieser lateinischen Worte, schöne Leserin des Modespiegels, von Ihrem Herrn Vater verdeutschen. Dieser wird vielleicht noch unbefangene Heiterkeit aus seinen Studentenjahren bewahrt haben, um das desipere mit Wieland’s „holdem Wahnsinn“ zu übersetzen? Ihren jungen Herrn Bruder befragen Sie nicht; er ist, fürcht’ ich, allzu sehr eingenommen von dem Ernst weltbürgerlicher, politischer Betrachtungen, und würde auf unsere kleine Gesellschaft im italienischen Keller mit Verachtung von seiner deutschen Höhe herab die Nase rümpfen. Unsere Jugend versteht keinen Spaß mehr.

Weber verstand ihn. Verstand auch, wie schon erwähnt, guten schlechten Spaß zu componiren, vorzutragen, bei Andern zu fördern, und zu dirigiren. Eben so gut, und mit eben so feinem Tacte, wie er sein Orchester zu dirigiren verstand. Und wie er dieses ohne Verrenkungen, ohne herausfordernde Actionen, ohne Ziererei — (von welcher sogar ein Spohr, den Stab in der Rechten, sich nicht ganz frei hielt) — mit sicherem, gefälligem Wesen, mit geistiger Kraft zu leiten wußte, so hielt er auch in der Geselligkeit das schönste Maß zwischen Bewegung und Ruhe. Wer bei ihm, durch ihn nicht behaglich verkehren lernte, der war wohl überhaupt nicht geboren mit andern Menschen umzugehen, als nur mit solchen, deren Haupt-Lebenszweck es scheint, bête zu machen, und à tout auszuspielen.

Weber gehörte zu jenen nicht häufigen ¦ Musikern, bei denen wissenschaftliche Ausbildung, vielseitiges Streben, geistiges Uebergewicht der ursprünglich-schöpferischen Melodieenfülle keinen Abbruch gethan, dem natürlichen Talente keinen gelehrten Zwang angelegt.

Er gehörte aber auch zu den seltenen Menschen, welche im freundschaftlichen Umgange, im gegenseitigen Austausch der Meinungen und Ansichten eben jenes geistige Uebergewicht auf keine Weise zur Schau tragen; vielmehr in liebenswürdiger Heiterkeit und Milde dafür sorgen, daß neben ihnen ein Jeder sein kleines Lichtchen leuchten lassen dürfe. Anregend, auffordernd, aufmerksam, belebend wies er in streitigen Fällen und Gesprächen dem Gegner die passende Stelle an, wo ein bedrohliches Disputatorium leicht und schicklich in’s Gebiet des Scherzes und durch diesen zur friedlichen Vereinbarung geleitet werden konnte.

Nur ein Gegenstand machte davon eine Ausnahme. Nur in einer Sache zeigte sich der große Mann kleinlich; nur eines Menschen Name mochte ihn aus der edlen Haltung bringen, die er sonst immer behauptete. Das war die Sache der italienischen Oper; das war der Name Rossini. Da zeigte sich der scharfsichtige und aus klaren Augen blickende Weber blind, da wollte er blind bleiben; da wollte er sich absichtlich verschließen gegen Schönheiten, die endlich doch ihm nicht hätten entgehen können, hätte er nicht verstockt und trotzig blos auf Mängel gelauscht, — die sich freilich auch im Uebermaße darboten.

Es war aber sehr menschlich, sehr begreiflich. Seine Stellung als Capellmeister einer deutschen Oper im damaligen Dresden macht Alles klar. Die italienische Oper mit ihrem Führer Morlachi war das Schooßkind des Hofes. Um ihretwillen mußte Weber manche Zurücksetzung geschehen lassen und erdulden, die er desto schmerzlicher empfand, in je schärferem Gegensatze sie erschien zu der Verehrung, die seines Namens Klang in der ganzen Welt zu erregen anfing, seitdem der Freischütz und die Preciosa des Meisters Ruhm von allen Bühnen verkündeten. Auch zeigte sich die gedankenlose Rossini-Manie, ohne Urtheilskraft häufig nur leerem Geklingel nachhängend, mitunter so auffällig, daß sogar ein Laie wie ich, trotz aller Lust an Rossini, sich darüber ärgern mochte. Man brauchte gerade nicht gleich Carl Maria mit Gottfried Weber und Meyerbeer bei Abt Vogler in Darmstadt Contrapunct studirt zu haben, um in Verzweiflung zu gerathen über die unaufhörlich beklatschten Trommelwirbel der gazza ladra im Gartenconcerte des Linke’schen Bades, oder auch über die verwünschten Triolen und anderen Tanzfiguren, in denen der sonst vorzügliche Benincasa und Sassaroli (der Bassist) | Verzweiflung darlegten, wenn wegen eines gestohlenen Silberbesteckes die edelmüthigste aller Köchinnen hingerichtet werden sollte, statt jener spitzbübischen Elster.

Ich rede vom Jahre 1822. Heute steht es allerdings anders, und in einem dreißigjährigen Kriege der Kritik gegen den Geschmack haben wir einsehen gelernt, daß Rossini auch in seinen schlimmsten Verirrungen immer noch für einen Gluck gelten kann, die dramatische Wahrheit mancher gefeierten Nachfolger neben ihn gehalten.

Weber wollte nun einmal nichts von ihm wissen. Des deutschen Meisters Widerwille gegen moderne italienische Musik zwang ihm sogar die kritische Feder manchmal in die Finger; ja, er vergaß sich so weit, eine bittere Parodie der Schiller’schen Kapuzinerpredigt drucken zu lassen*, wo er den Schwan von Pesaro ziemlich unverhohlen eine schnatternde Gans schimpfte. Und das war Seiner unwürdig; ich betrachtete dies wie einen Flecken auf des geliebten Todten unsterblichem Nachruhm. Doch gerade weil diese Zeiten seinem mir heiligen Andenken gewidmet sind; weil sie, obgleich mit schwachen Farben, eine bewunderungswürdige Persönlichkeit schildern wollen; gerade deshalb darf nicht verschwiegen bleiben, was am Menschen menschlich gewesen; unvollkommen. Denn nur unvollkommene Menschen können wir wahrhaft lieben. Für solche, die kein Tadel trifft, hab’ ich auch keine Liebe; denen kann ich nur furchtsames Erstaunen widmen, und gehe ihnen verzagt aus dem Wege.

Weber wurde bei diesem unserem ersten Zusammentreffen mehrfach in die Enge getrieben von seinem rasch auflodernden Zorne wider Rossini und von seiner Galanterie gegen die schöne Sängerin, die dem Barbier von Sevilla, dem Tancred, dem Othello eben so viel Applaus verdankte, als dem Freischützen; die folglich gar nicht geneigt schien, unbedingt einzustimmen in seine halb launigen, halb wüthenden Verdammungsurtheile. Um aber durchaus bei der Wahrheit zu bleiben, darf ich nicht verschweigen: es schwebt mir etwas vor, wie die Erinnerung, daß der Barbier auf dem Weber’schen index librorum prohibitorum als eine Ausnahme gestanden und Gnade vor ihm gefunden habe; quand même.

Ehe wir Chiapone’s Keller verließen, um noch einen Gang in die laue Sternennacht zu unternehmen, war schon wieder Versöhnung geschlossen und Weber drückte dem Friedensschlusse das Siegel auf, indem er uns sämmtlich für den nächsten Mittag an seinen Tisch lud.

Da war es denn erreicht: ich trat in sein Haus*. Ich stand ihm gegenüber und seiner ¦ Gattin, die mir, theatertoll und närrisch, wie ich noch geblieben war, zwiefach merkwürdig erschien. Zuerst als Frau von Weber; nicht minder sodann als ehemaliger Liebling des Publicums in Prag, wo sie als Demoiselle Brand Jung und Alt, Logen wie Parterre, durch Talent, Geist, Anmuth — und Uebermuth entzückt, ja sogar ihrer Blicke Brand in’s Orchester geschleudert und dessen Capellmeister in Feuer und Flammen gesetzt hatte, welche erst vor dem Traualtare einigermaßen gelöscht wurden. Ohne sie auf der Bühne gesehen zu haben, war mir doch durch lebhafte Schilderungen aus mancher Kenner Berichten ihr ganzes Repertoir, ihre kecke, geniale Darstellungsgabe (die sich sogar bis an den Lorenz im „Hausgesinde“ gewagt!) — bekannt und vertraut, und ich lieferte, meinen bis in späte Lebenszeit dauernden Flegeljahren entsprechend, gleich bei der ersten Anrede eine recht hübsche, brauchbare Dummheit, indem ich beklagte, daß eine so gerngesehene Schauspierlerin den Bretern entsagen müssen, was doch gewiß auch ihr unendlich schwer geworden sei? — Sehr schmeichelhaft für mich, sagte Er. — Und SchnuffT lachte mich aus.

Schnuff hieß ein Affe; ein kleiner, Herrn und Herrin liebender, schmeichelnder Schlingel, der allen andern ehrlichen Menschen tückisch die Zähne fletschte. Beide, Weber und seine Frau, trieben tausend Tollheiten mit ihm. Sie versicherten höchst wichtig, daß Schnuff damit umgehe, ein Werk zu verfassen, worin die Verdienste italienischer Componisten um dramatische Musik gebührend an’s Licht gestellt werden dürften; und mehr dergleichen.

Welch’ Geheimniß ist es doch um den Zauber, wie bei solch’ eines Künstlers Mahle an kleiner Tafel waltet!? Warum perlt der Wein in solchem fröhlichen Kreise frischer und heller? Warum leiht er den Gesprächen höheren Schwung, dem Scherze raschere Flügel, den Flügeln duftigeren Blütenstaub? Da saßen wir „vereint zur guten Stunde,“ und die Herbstblumen, welche den Tisch zierten, wurden zu Rosen; die Reden wurden zu frühlingsgrünen Zweigen; und sie schlangen sich lächelnd, mit harmlosen Albernheiten durchwebt, um Weber’s Haupt. Wir trieben Possen, daß Schnuff allein seine Würde bewahrte..... und mitten in die kindischen Spiele mischte sich ein hoher Sinn, wenn das Auge der beglückten Gäste sich nach jener halboffenen Thür wendete, wo neben seinem Claviere der Schreibtisch stand, an welchem irgend eine armselige Feder in kleinen, krausen Schriftzeichen die Weise festgebannt, die durch ferne Welttheile das rührende Gebet verbreitete: „Für mich auch wird der Vater sorgen.“

O Carl Maria von Weber! Kranker, lie|dender, oft betrübter Sänger! Reiner, herrlicher Geist! Ahnetest Du, konntest Du im Voraus wissen, welch’ andächtige Wonne tausend und aber tausend Herzen erheben werde, wenn Agathe mit Deiner himmlischen Melodie den Weg empor zeigt, dahin, wo „ein Auge ewig rein und klar“ all’ seine Kinder liebend wahrnimmt? Warst Du doch glücklich und sorgenfrei: fühltest Du Dich über körperliche und Seelenleiden erhoben und getröstet, als Du den frommen Ge¦sang anstimmtest, in den bald einstimmen sollte auf Gottes weiter Erde, wem der Himmel eine Stimme verliehen? Und beben jetzt diese Töne, bei denen wir Deiner stets dankbar gedenken, von Welle zu Welle im klaren Aether bis hin zu Dir, wo Du weilest? Mischen sie sich mit den Harmonieen in denen ewige Sänger loben und preisen?

Ja, ja! Du lebst! Du bist! Du wirkst fort! dort, wie hier. (Fortsetzung folgt.)

Editorial

Summary

Erinnerungen Carl von Holteis an Carl Maria von Weber, Teil 1/3

Creation

Responsibilities

Übertragung
Charlene Jakob

Tradition

  • Text Source: Wiener Modespiegel. Wochenschrift für Mode, schöne Literatur, Novellistik, Kunst und Theater, Jg. 1, Nr. 4 (27. Januar 1853), pp. 52–56

    Commentary

    • “… zum ersten Male wieder dirigiren”Weber erwähnt im Tagebuch am 26. September 1822 eine erste Begegnung mit Holtei, zuvor hatte er u. a. am 9., 16. und 23. September in Dresden den Freischütz dirigiert. Eine sommerliche Urlaubsreise unternahm Weber in diesem Jahr nicht, vielmehr logierte er in seinem Sommerquartier in Hosterwitz und nahm von dort aus seine Dirigierverpflichtungen in Dresden wahr.
    • “… Kameraden auf dem Marsche gesungen”Webers beliebte Chöre aus Leyer und Schwert erschienen erst 1816 im Druck, können also die Freiwilligenverbände unmöglich in den antinapoleonischen Kriegszügen von 1813 bis 1815 begleitet haben. Die Körner-Lieder waren bereits 1815 publiziert worden, erlangten aber nicht dieselbe Berühmtheit.
    • Lorberbaumrecte “Lorbeerbaum”.
    • “… Carl Maria v. Weber erschien!”Eine vergleichbare Würdigung erlebte Weber in Dresden laut Tagebuch nach der ersten Freischütz-Aufführung in Dresden am 26. Januar 1822. Offenbar reicherte Holtei seine eigenen Erinnerungen mit Anekdoten an, die er aus Presseberichten kannte. Insofern sind diese „Erinnerungen“ nicht als gänzlich authentisch zu betrachten.
    • “… Kunstreise in Dresden Halt machten”Caroline Seidler gastierte in Dresden vom 26. September bis 17. Oktober 1822, u. a. als Agathe in Freischütz (28. und 29. September).
    • “… so glorreich ins Leben gerufen”Sie sang die Partie in der Uraufführung der Oper in Berlin. Das von Holtei erwähnte Treffen in Dresden fand laut Webers Tagebuch am 26. September 1822 statt.
    • “… ’schen Kapuzinerpredigt drucken zu lassen”Innerhalb des Fragments XIII zu Tonkünstlers Leben, erschienen 1821 in Kinds Muse.
    • “… ich trat in sein Haus”Wohl Holteis Besuch am 5. Oktober 1822; vgl. Tagebuch.
    • Breternrecte “Brettern”.
    • liedenderrecte “leidender”.

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