Hinrich Lichtenstein an Carl Maria von Weber in Dresden
Berlin, Donnerstag, 17. Juni 1824
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In aller Eil mein bester Freund gebe ich Dir Nachricht von dem, was sich in den letzten 8 Tagen auf Dein Schreiben vom 8t* zugetragen hat. Ich habe die Actenstücke gelesen und es ist wohl am besten ich referire daraus in der Kürze.
1.) Schreiben des Grafen an die General-Musik-Direction. vom 11. Jun.‡ Legt Abschrift Deines Briefes vom 8t vor und drückt den Wunsch aus, daß die E. jetzt nicht vorgenommen werde, weil pp (die ganz natürlichen Gründe)
2.) Schreiben desselben an den Fürsten Wittgenstein von dems. Tage. Desselben Inhalts, näher motivirt, kräftig, bestimmt, wie aus der Feder des thätigsten Freundes. Unter andern wird am Schluß gesagt, die Folgen einer eiligen unvollständigen Ausführung könnten so unangenehm für Dich sein, daß Du lieber die Partitur zurücknehmen würdest, als Deinen Ruf bei einer solchen Gestalt‡ Behandlung Deines Werkes aufs Spiel setzen.
3. Antwort Sp.’s vom 14t‡ Er habe sich von dem Augenblick, wo er die Partitur bekommen der Sache so eifrig angenommen, daß jetzt nichts zurückgenommen werden könne. Nicht Bader, sondern Stümer habe die Tenorparthie und werde sie gut singen, sowie er zu Deiner Zufriedenheit den Max gesungen. Madame Seidlers Reise sei noch gar nicht bestimmt. (NB sie hat die KabinetsOrdre in der Tasche, wodurch ihr Urlaub auf den 15t festgesetzt ist) Auf jeden Fall könne sie immer noch zweimal in der Eur. auftreten. Sie komme Ende August wieder und sollte die Schultz dann nicht mehr singen so werde die Eunike die Eglantine übernehmen können. Er habe schon soviel Verdruß von dieser Oper gehabt, daß er sich nicht neuem Tadel deshalb aussetzen könne, das Morgenblatt habe schon im Voraus den Triumph der Eur. in Berlin verkündet*, man müsse es also durchaus geben, zumal da späterhin die andern Opern an die Reihe kommen müßten besonders der Alcidor und die Eur. jetzt zurückgelegt, nicht vor dem Carneval wieder aufgenommen werden könne. (Die Herrn 6 (mit Ausnahme von Seidler und Bohrer) haben darunter geschrieben, dies letztere müßten sie bestätigen.)
4. Schreiben des Grafen an Fürst W., nachträglich müsse er bemerken, daß er es auf sich nehme, einen halb officiellen Artikel in die Zeitungen zu liefern, in welchem gesagt | werde, daß die E. auf Deinen Wunsch wegen der Reisen der HauptPersonen unter den Darstellenden bis auf den Herbst zurückgelegt sei.
Inzwischen ist nun viel unterhandelt und der arme Fürst wahrscheinlich von beiden Seiten bestürmt. Er hat denn vorgestern‡ ein Schreiben erlassen, in welchem er entscheidet, die Oper soll jetzt nicht gegeben werden. Im Gegentheil habe der Graf, da sie noch nicht bezahlt sei und er wisse, daß Du sie gern zurücknähmest, sie Dir bis auf Weiteres zurückzuschicken und zu beliebiger Zeit den Antrag deshalb zu erneuen. — Dies wird nun der Graf wörtlich nicht ausführen, sondern Dir heute schreiben, die Aufführung der Eur. sei Deinem Wunsch gemäß verschoben, das Nähere werde er Dir ein andermal schreiben. Er wünscht nun daß Du ihm darauf antwortest, er möge Partitur und Stimmen einstweilen im Archiv bewahren, auf das Honorar wollest Du solange Verzicht leisten bis es zur Ausführung gekommen. An dieser schriftlichen Erklärung von Deiner Hand liegt ihm besonders viel.
Wenn es nun auf der einen Seite unverkennbar ist, daß der Graf mit wahrhaft freundschaftlicher Thätigkeit und Umsicht sich bei dieser Angelegenheit gezeigt, so ist auf der andern eben dadurch klar ans Tageslicht gekommen, daß es in der That auf den Sturz Deines Werkes abgesehn und recht methodisch angelegt war. Sp. ist ausser sich über die Entscheidung, die der Fürst nicht dem Grafen zu gefallen, sondern lediglich um seiner eignen Qual bei dieser Sache ein Ende zu machen gegeben hat. Der Graf betrachtet die Entscheidung, so widerlich ihm die Form ist, in der sie gegeben worden, dennoch als einen Sieg und so sieht man noch Manche die es heimlich, wo nicht mit Spont., doch wider Dich halten, weil Dein wachsender Ruhm ihnen ein Dorn im Auge ist, mit langen Gesichtern umhergehn. Ich könnte Dir ein halb Dutzend nennen, die sich schon recht darauf gefreut hatten von dem leider mislungenen Erfolg sprechen zu können. Der Ritter selbst ist lange nicht pfiffig genug, um sein wahre Absicht verhehlen zu können, sonst hätte er den Passus vom Morgenblatt in seinem Brief nicht zum Besten gegeben. Aber in der verbissenen Wuth platzt ihm mit einemmal so ein | Wort heraus, das er nachher gern wieder hätte. Was gäbe er nicht darum, wenn er die unglückliche Bekanntmachung in der Zeitung ungeschehn machen könnte, denn von der datirt sich sein Unstern und er muß es recht merken, wie er täglich mehr in der öffentlichen Achtung sinkt. Selbst bei Hofe sind wenig, die ihn schützen und von mehreren hohen Personen weiß man, daß sie ganz laut unglimpflich über ihn urtheilen.
Wie gut, daß ich Seidler zur rechten Zeit sprach, um von ihm die Absicht mit der Eur. zu erfahren, und Dich warnen zu können. Sonst konnte der Anschlag leicht gelingen. Kam Deine Erklärung vom 8t eine‡ Woche später oder zeigte nicht B. seine ganze Thätigkeit, so konnte Sp. viel mehr entgegen setzen. Aber so muß er in seinem Brief gestehn, daß am 11t noch keine (die kleinste)‡ Probe gewesen und dennoch will er bei so vielen andern Sachen die vorliegen die E. d. 6t Jul. geben, worauf Br. ihm bemerklich macht, daß dem Vernehmen nach selbst das trefliche Dresdner Orchester unter Deiner eignen Leitung nahe an 20 Proben gehabt habe. B. läßt auch nicht unerwähnt, daß wenn Sp. gleich auf seinen Antrag vom 5t April eingegangen wäre, die Eur. jetzt längst gegeben sein könnte, man hätte nur die Elisabeth zurücklassen sollen, die jetzt schon 3mal bei leerem Hause gegeben worden u.s.w.
Ich habe lange darauf gedacht, ob ich nicht auch nach Quedlinburg kommen könnteT, es will aber nicht gehn und daß ich Dir dies schreibe, ist der beste Beweis, das es nicht geht, denn wäre noch einige Hoffnung da, so schriebe ich’s nicht und überraschte Dich. — Ihr solltet doch da auch Klopstocks Erbarmer* von A. Romberg geben, das ist ein schönes Werk. Pölchau hat’s mit allen Stimmen und wenn es fehlte, gäbe er es wohl her. Ich wüßte außer dem Naumannschen oder Schwenkeschen Vater-Unser nichts, das sich besser paßte für diese Gelegenheit.
Doch wenn ich die Post für diesen wieder halb (bis an die blässere Dinte) auf‡ in der Akademie der Wissenschaften geschriebnen Brief nicht verpassen will, muß ich schliessen. Leb wohl, grüße die Deinen und behalte lieb
Deinen
DHL
Editorial
Summary
gibt Überblick über die gesamte Korrespondenz, die in der Euryanthe-Auseinandersetzung seit Webers letztem Schreiben erfolgt ist, und erteilt Weber neue Anweisungen; Euryanthe ist damit vorerst zurückgestellt, die ursprüngliche Absicht Spontinis umso deutlicher geworden; äußert sich zur Klopstock-Feier in Quedlinburg und gibt Empfehlungen
Incipit
“In aller Eil mein bester Freund gebe ich”
Responsibilities
- Übertragung
- Solveig Schreiter
Tradition
-
Text Source: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
Shelf mark: PB 37 (Nr. 58a)Physical Description
- 1 DBl. (3 b. S. einschl. Adr.)
- Siegelrest
- mit Empfangs- u. Beantwortungsvermerk Webers am Briefkopf
- PSt: BERLIN | 17. JUNI.
Corresponding sources
-
Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, 44. Jg. (1899), 87. Bd., S. 380–382
-
Rudorff 1900. S. 191–196
Thematic Commentaries
Text Constitution
-
“vom 11. Jun.”added above
-
“Gestalt”crossed out
-
“vorgestern”sic!
-
“eine”added above
-
“(die kleinste)”added in the margin
-
“auf”crossed out
Commentary
-
“… Dein Schreiben vom 8 t”Lichtenstein meint höchstwahrscheinlich den Brief Webers vom 7. Juni; im Tagebuch ist am 8. kein Brief vermerkt.
-
“14t”recte “12.”
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“… doch da auch Klopstocks Erbarmer”Der Erbarmer (Klopstock), Ode, op. 64 (21. Werk der Gesangsstücke) SteR 237 (1811), Hamburg 1821.