Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Gianni di Parigi” von Morlacchi am 16. April 1819
Sonnabend, den 16. April. Gianni di Parigi, vom Kapellmeister, Ritter Morlacchi. – Scheinbar, eine Ilida nach Homer – wenn man Boieldieu’s Composition dieses Stücks gegenüber stellt. Das Unzulängliche einer solchen Parallele darzuthun, ist die Absicht der gegenwärtigen Zeilen.
Zuerst ist es an sich gar nichts ungewöhnliches, daß zwei Meister ein und dasselbe Sujet in Musik setzen. In ältern Zeiten haben Keyser und Hasse, in neuern Zeiten Reichhardt und Naumann Beispiele davon gegeben. Ja, die bekannte Oper Lodoisca ist von nicht weniger als vier Componisten, Cherubini, Kreutzer, Simon Mayr und Caruso in Musik gesetzt, und alle diese Musiken sind mit Beifall gehört worden, weil jede in sich vortrefflich ist. Darin also, daß zwei Tonkünstler sich an denselben Stoff geben, liegt weder Anmaßung noch Ausfoderung. Dieser Schein fällt ganz weg, wenn man sich besinnt, daß Hr. K. Morlacchi – der Boieldieu nach Verdienst schätzt, – seine Oper für das Theater della Scala in Mailand schrieb, das ihm den Auftrag und den Text, wegen Mangel bessrer Sujets, zusandte. Die Oper ward dort, beinahe vor zwei Jahren, dünkt uns, mit vielem Beifall gegeben. Allein das Unzulängliche einer Parallele zwischen Boieldieu’s und Morlacchi’s Compositionen, ergiebt sich noch klärer, wenn man auf das Princip zurück geht, welches in der Musik des Vaterlandes dieser beiden Tonsetzer herrscht. In der französischen Opern-Musik überwiegt augenscheinlich das Deklamatorische, so wie in der italienischen das Melodische und in der deutschen das Melodisch-harmonische. Eben deshalb würde sich auch ein deutscher Johann von Paris ganz gewiß mit Ehren neben dem Jean und Gianni sehen lassen können, wenn einer unserer großen vaterländischen Meister ihn auftreten zu lassen Lust bekäme. – An der Bearbeitung des Textes, durch den geistreichen Dichter Romani, könnte man vielleicht die zu große Anzahl der Musikstücke tadeln.
Was die Composition betrifft, so bekennen wir mit Vergnügen, daß Hr. K. Morlacchi jene lebhafte Erfindungsgabe, jenen oft sehr gefälligen Gesang, den wir schon früher in seinem schönen Oratorio zu rühmen Ursache fanden, auch hier nicht verleugnet, sondern auf eine, dem theatralischen ¦ Style angemessene Weise in Ausübung gebracht hat. In der Ouverture ist Geist, Kraft und Leben. Das Duett der beiden Buffo’s, im 1sten Akt, ist nicht allein allerliebst efunden, sondern auch bei seiner Heiterkeit mit gar nicht unbedeutender Kunst durchgeführt. Nicht minder brav ist das Sextett im zweiten Akte, worin sich die, durch die Situation gesonderten Theilnehmer, auch musikalisch auf eine lobenswerthe Weise als wahre parti reali zeigen. Dieses Sextett ist ein Satz, der in Hinsicht auf Deklamation, Ausdruck und Stimmenführung den Meister verräth und ihm überall Ehre bringen wird. Die Arie der Prinzessin ist ebenfalls ein gelungenes Stück. Weniger gefiel uns die Romanze des Troubadour’s, die uns theils zu lang, theils zu einförmig erscheint. Doch ist uns bekannt, daß derselben eine Volksmelodie zum Grunde liegt, und wir haben auch die kunstreiche Anwendung dieses Motiv’s im Verfolg der Oper nicht überhört. Sehr originell und einschmeichelnd ist endlich die, dem Finale des zweiten Aktes zum Grunde liegende Hauptidee. Im Ganzen würden wir wünschen, daß es dem Componisten gefallen hätte, weniger oft die Veränderung des Tempo’s in den einzelnen Sätzen anzubringen. Es erschwert dieses die Ausführung und giebt dem Styl etwas Fragmentarisches. Aber freilich liebt man in Italien diese Weise, und für dies Land und dort herrschenden Geschmack ist diese Musik geschrieben. -
Die Ausführung von Seiten des Orchesters, war die gewohnte, das heißt trefflich. Sehr rühmlich zeichnete sich der erste Oboist durch Ton, Ausdruck und Bravour, zumal im Zungenstoß, aus. Nur in der Tiefe wäre der Kraft etwas mehr Mäßigung zu wünschen. Mademoiselle Funk sang schöner, als wir sie je gehört haben, sowohl in Hinsicht auf Reinheit der Intonation als auf Leichtigkeit der Passagen. Ihr Decrescendo, vom stärksten forte bis zum verhallenden pianissimo, war zauberisch und ward vom Publikum beifällig anerkannt. Auch Hrn. Benincasa’s Spiel und Gesang ließen nichts zu wünschen übrig. Einzelne Stellen, z. B. die Triller auf absteigender Scala, gelangen Hrn. Cantu ungemein wohl, im übrigen schien uns dieser, sonst treffliche Sänger in dieser Oper nicht in seinem Elemente. –
Carl Borromäus von Miltitz.Kön. Sächs. Kammerherr.
Editorial
Summary
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Gianni di Parigi” von Morlacchi
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Tradition
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Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 110 (8. Mai 1819), f 2v