Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater: “Die Schuld” von Adolf Müllner am 11. August 1813
Prag. – Trotz des großen, stets wechselnden Zuflusses von Fremden, die in der letztern Zeit unsere Stadt und unser Theater füllten, haben wir in den vergangenen Monathen doch wenig Neues gesehen. Das Repertorium beschränkt sich auf eine kleine Anzahl von Stücken, worin gerade einer oder mehrere unserer Schauspieler glänzen, und selten überschreitet man dieß Geleise; selbst die Anwesenheit der erlauchtesten Gäste verschaffte uns keine neue Erscheinung.
Mad. Herold gab hier drey Gastrollen, nähmlich die Jolanda in der Zauberin Sidonia, Elvire in Rolla’s Tod, und Ottilie in den Corsen in Ungarn. In letzterem Stück spielte auch Herr Herold den alten Wacker, und denselben Abend gaben die Kinder dieses Paares das kleine Lustspiel von Anton Wall: Die beyden Billets. Mad. Herold fand nur getheilten Beyfall; sie verräth Kunstkenntniß, und scheint einmahl eine sehr brave Schauspielerinn gewesen zu seyn, jetzt fehlt es ihr an Leben und natürlicher Bewegung. Am besten gefiel sie als Elvire. Herr Herold ist ein ganz alltägliches Talent, und die Kleinen hatten das gewöhnliche Schicksal der Kinder, welche Rollen von Erwachsenen spielen; sie waren unverständlich und ohne Ausdruck.
Den 11. Aug. Zum ersten Mahl: Die Schuld, Trauerspiel in 4 Aufz. in freyen Versen von Dr. Müllner. Es ist sonderbar, daß dieß Werk, dessen echt tragischer Charakter das Wiener Publicum so ganz anerkannte und würdigte, hier sehr kalt aufgenommen wurde. Ganz gegen die Sitte der Theaterliebhaber, welche das Neue, oft selbst, wenn es von keiner großen Bedeutung ist, mit rauschendem Beyfall empfangen, rührten sich kaum einige Hände beym Schluß des Stücks, und gegen diese wenigen stritten noch zischende Zungen.
Dr. Müllner hat gewiß eine der schwierigsten Aufgaben gelöst, indem er einen fürchterlichen Stoff in einer nicht leichten Form durch 4 Acte führte, ohne jemahls die Grazie der Tragödie zu verletzen oder zu einer Gemeinheit herabzusinken. Wenn manche ihm den Vorwurf machen, daß die Geschichte des Grafen und seiner Gemahlinn nur erzählt wird, so müssen ihm diese Tadler dagegen auch das große Verdienst zugestehen, daß seine Erzählungen, die äußerst angenehm an die spanische Romanze erinnern, so voll Leben und Bewegung sind, daß dieser Mangel an Handlung ¦ keinesweges sichtbar wird. Wenn uns etwas als mangelhaft erscheint, so ist es vielmehr, daß der Dichter mit den Ahnungen, die allerdings großen Effect in der Tragödie machen, nicht haushälterisch genug umgegangen ist. Alles ahnet, Jerta ausgenommen, und das schwächt die Wirkung. Die Charaktere sind durchaus vortrefflich angelegt und ausgeführt. Die Besetzung der Rollen war nur zum Theil geglückt. Mad. Brunetti gab die Jerta, und hat diese kräftige, klare nordische Natur, vom Dichter so glücklich als Gegensatz zu dem stürmischen Gemüth der südlichen Elvire gebraucht, ganz verfehlt, so daß man in der That nur ahnen konnte, was sie seyn sollte. Mad. Löwe gab die Elvire mit vielem Studium, auch Herr Liebich (Valeros) stellte den gebeugten Vater mit vieler Wahrheit dar; nur schien dem Spanier hie und da das südliche Colorit zu fehlen. Herr Bayer war ganz Hugo und entsprach vollkommen dem Bilde, das er selbst von sich gibt: Selbst ein Räthsel, schwer zu lösen,Bin ich mir: denn Pol und PolEinet sich in meinem Wesen,Hier erzogen, dort geboren,Bin ich hier und dort nicht heim;Fremde Wurzel diesem Boden,Fremder Wipfel jener Luft!Tief am Stamm vom Nord erkältet,Hoch im Laub vom Süd entflammt,Ein’ ich in mir Gluth und Fluth,Erd’ und Himmel – Gott und Teufel!
Höchst ergreifend gibt er den Moment, wo Valeros den Nahmen der deutschen Gräfinn nennen will; und wenn das Publicum ihm für sein Kunststreben nicht durch laute Beyfallsbezeugungen dankte, so kann er gewiß seinen Lohn im Bewußtseyn der Vollendung finden. Dlle. Junghans (ein Mädchen von 12 bis 13 Jahren) gab den Otto mit vielem Fleiße; doch hat wohl Herr Dr. Müllner schwerlich diese Rolle für ein Kind geschrieben, und wir glauben fast, daß eine andere Besetzung der Rollen dem Werke eine freundlichere Aufnahme verschafft haben würde. Warum gab nicht Mad. Löwe die Jerta, Mad. Brede die südliche Elvire? und Mad. Brunetti, die schon mehrere Jünglingsrollen mit dem größten und gerechtesten Beyfall spielte, hätte vielleicht den Otto so gut gespielt, als ihr die Jerta mißglückte.
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An
Franz Rudolph Bayer.
Als Hugo im Trauerspiele: Die Schuld.
Editorial
Authors
- Anonymus
- Joseph Passy
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Ziegler, Frank
Tradition
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Text Source: Der Sammler. Ein Unterhaltungsblatt, Jg. 5, Nr. 143 (7. September 1813), pp. 572