Ludwig Tieck an August Ferdinand Bernhardi und Sophie Tieck
Erlangen, Ende Juli 1793

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Liebster Freund!

Ich hatte mir es schon immer vorgenommen, Ihnen etwas von meiner Reise nach dem Fichtelberge zu erzählen und so will ich Ihnen denn sogleich das Versprechen, das ich stillschweigend gethan habe, erfüllen, so gut ich es nur kann, da ich nun schon vieles, was mir vor fünf Wochen noch ganz frisch im Gedächtniß war, ganz rein vergessen habe. […]

Sonnabend [18. Mai]. Zweiter Tag.

[…] Wir kamen nun in Bayreuth an, […] Am Abend gingen wir ins Schauspiel, Hieronymus Knicker von Dittersdorf ward gerade gegeben; die Poesie des Stücks ist so, daß man auf diese Art unendliche (sogenannte) Intriguen aneinanderrreihen könnte, und ein Stück so ununterbrochen ein Paar Jahr in eins fortspielen könnte. Die meisten Schauspieler sind elend*. […]

Mondtag [20. Mai]. Vierter Tag.

[…] Wir nahmen […] Abschied (denn auf morgen war unsere Abreise festgesetzt,) und gingen dann in die Komödie, wo Clara von Hoheneichen gespielt ward. Aeußerst armseelig. (Wir haben seit 4 Wochen dieselbe Truppe in Erlangen*.) Die Damen weinten über die arme Clara und den kläglichen, unmännlichen Adelungen nicht wenig, ich lachte fast noch mehr, besonders da ich bei einigen Stellen erst recht hineingekommen war. – Den Bruno spielte einer der sehr schnatterte*, Sie werden wissen, daß Adelung verstellterweise frei gelassen wird und von Bruno wieder ins Gefängniß zurückgebracht. – Als der Landgraf diese Nachricht erhält, frägt er: Und was sagte Adelung? Bruno antwortet: – Nichts, aber er knirschte mit den Zähnen, vorzüglich da er hörte, u.s.w. – Der Bayreuther Bruno aber antwortete: „Nichts, sondern er knirschte so vorzüglich mit den Zähnen,“ – und nun verwickelte er sich in einen langen selbstgemachten Nachsatz, ich mußte immer wieder von neuem lachen, so oft ich an diese Idee dachte, daß der Adelung ein so besonders großer Virtuose im Zähneknirschen sei. – Den Ullo spielte einer ganz im Bayrischen Dialect* und ich mußte lachen, so oft er nur auftrat, – besonders in der Scene, in welcher sie den unterirdischen Gang entdecken, wo er mit dem Mauerwerk auf dem Theater umfiel und laut schrie: Was Deuwel! […]

Editorial

Summary

Bericht über Reise durch Franken, u. a. nach Bayreuth, gemeinsam mit W. H. Wackenroder, Besuch zweier Theatervorstellungen der Weberschen Gesellschaft

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler

Tradition in 2 Text Sources

  • 1. Text Source: Verbleib unbekannt
  • 2. Text Source: Wilhelm Heinrich Wackenroder, Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe, Bd. 2: Briefwechsel […], hg. von Richard Littlejohns, Heidelberg 1991, S. 253–283 (zitierte Ausschnitte S. 253, 258–260, 265f.)

    Commentary

    • “… Die meisten Schauspieler sind elend”Laut Theaterzettel (Stadtarchiv Bayreuth, in: B 2946) gab ein Hr. Schwarz die Titelpartie, Josepha von Weber die Louise, Mad. Holm das Salchen (in anderen Versionen Henriette), Edmund von Weber den Ferdinand, Genovefa von Weber die Rosine (Röschen), Hr. Finsinger den Karl Feldberg und Hr. Röpke den Tobias Filz.
    • “… Wochen dieselbe Truppe in Erlangen”Die Webersche Gesellschaft hatte schon 1792 gelegentliche Abstecher von Nürnberg aus nach Erlangen gemacht. Ihre Erlanger Spielzeit im Jahr 1793 dauerte vom 21. Juni bis 26. September.
    • “… spielte einer der sehr schnatterte”Laut Theaterzettel (Stadtarchiv Bayreuth, in: B 2946) gab ein Hr. Schulz d. Ä. den Bruno von Hilderweil.
    • “… einer ganz im Bayrischen Dialect”Den Knecht Ullo gab lt. Theaterzettel Hr. Ambs.

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