Carl Maria von Weber an Friedrich Wilhelm Gubitz in Berlin
Dresden, Montag, 14. Dezember 1818

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Mein sehr lieber Freund!

Meine Sündenlast Ihnen gegenüber ist so groß, daß ich gar nichts mehr zu sagen weiß, mich zu entschuldigen, und doch würden Sie selbst es thun, lebten Sie eine Zeitlang um und neben mir. Jedes ankommende Paket „Gesellschafter“ ist doch wieder ein Dolchstoß in die schuldige Brust, und wenn es mich dann oft juckt, mich auch als theilnehmenden Freund Ihnen zu beweisen, so hängen sich wieder die Verhältnisse bleischwer an den guten Willen und laßen ihn das nicht thun, was er doch nur halb thun könnte. Vergeblich habe ich den Sommer über gehofft, Sie hier zu sehen, und mich einmal so recht ausplaudern zu können, aber es wurde nichts daraus, denn Sie sitzen auch fest bei Ihrer Kunstgeschäftigkeit, und Bewegung haben Sie genug in den Kämpfen mit Müllner, Pfeilschifter und anderer Gegnerschaft, die für Aufrichtigkeit verstockt und versteckt ist*. – – Meine Dienstgeschäfte, und die damit verknüpften Dienstarbeiten haben mir seit zwei Jahren gänzlich die Freiheit genommen, für mich selbst zu arbeiten: fragen Sie darüber nur meinen jammernden Verleger! Möge mir dies zum Beweise dienen, daß es wahrlich nicht an meinem guten Willen liegt, wenn ich nicht schon öfter meine Gedanken in Ihrem Blatte gelesen habe, sollte mir dann mein Namensvetter in Berlin auch noch hinderlicher werden*. – – Leid thut es mir von Herzen, daß Sie mit meinem guten Kind in Händel gerathen: wenn Sie ihn so kennten wie ich, Sie hätten gewiß seine Aeußerungen in der „Abendzeitung“*, wenn sie auch ein Bischen schwer klingen, nicht so hoch aufgenommen und unerwiedert gelassen. Ich habe Euch Beide lieb, und möchte gern Ruhe und Frieden unter braven Leuten.* Nichts für ungut.

Ihr hiesiger Correspondent ist ein lauer Herr. Dürfte ich doch ihn ablösen, aber ich kann es nun einmal nicht über mich gewinnen, Fäustchen im Sacke zu machen, und müßte gar zu oft als Richter und Partei zugleich auftreten; wer weiß, ob ich dann Recht hätte. Wenn mir’s die Gegner gar zu toll machen, so trete ich einmal recht offen dazwischen, und da bleibt denn manchmal Einer auf dem Platze. So habe ich den saubern ehemaligen Berichterstatter musikalischer Seits, in der „Abendzeitung“, den Buchstaben C*., abgefunden*, und eben jetzt habe ich in der „Musikalischen Zeitung“ Einem die Lanze vorgehalten auf seinen übeln Wegen. Daß man damit seine Zeit tödten muß! Aber es ist doch ein gräßlich Wesen mit dem Geschwätz um uns her, und mit jedem Jahre wird es ärger. Es bedarf nur, daß man den Vorlauten nicht den Hof macht, sie sich drei Schritte vom Leibe hält, um mit allen Chikanen hinterrücks angefallen zu werden, ohne daß diese Fehm-Kritiker um die Mittel verlegen sind. Was sie nicht finden, erfinden solche Buben und ihr Hirn scheint ihnen grade am vollsten bei Dingen, die sie nicht verstehen. Man möchte mit Füßen d’rein springen, wenn es sich nicht unter allen Umständen ziemte, daß der Kopf oben bleibt. Die Schreibfreiheit liegt bei uns noch hier und da in Nöthen, nur wenn es darauf angelegt wird, Männern, die redlich in ihrer Kunst vorwärts wollen, Leides zu thun, ihnen den Muth zu nehmen, da finden die Mieths-Federn kein Hinderniß, sollten sie auch alle Schranken umstürzen. Schriftsteller und Künstler, wenn sie Namen haben, denn die Ruhmlosen mit Koth zu werfen, lohnt weder an Honorar noch an Aufsehen, sind die Opfer, die den Krakelern als Stoff hingeworfen werden. Den Berlinern könnten Sie gewiß Mehrere solchen Gesindels nennen!* – – Lange genug war ich der Thor, alle Urtheile über mich lesen zu wollen, habe mich lange martern lassen von der Vornehmthuigkeit der Dummköpfe, dem ehr- und sinnlosen Gefall-Witz für den Pöbel, und den Redaktionen, die uns lieber unverdiente Schande anhängen, als mit Gerechtigkeit verkehren; jetzt aber laß’ ich mir meist all das Zeug nicht nahe kommen und befinde mich besser. Die Kritik muß seyn, und die strengste Selbstkritik reicht nicht immer aus, aber vom Gesindel ist nichts Gescheidt’s zu holen; das sucht nur einen wunden Fleck, um d’rauf zu schlagen, und wer mit ihm umgeht, wird nichtsnutzig für Kunst und Leben. Des Geldes ist nun einmal nicht viel von den deutschen Bühnen zu holen; wenn sie Einem aber im Vaterlande noch das Bischen Ehre abschneiden, da möcht’ am Ende der Teufel ein Deutscher seyn! – – man möchte sich zum Fremden wünschen, um geltend zu werden in dem uns stiefväterlichen Vaterlande. – Der Deutsche im redlichen Streben hat stets in seiner Heimath Kämpfe zu überstehen! –* Desto mehr Frieden ist in meinem Hause, ich bin ein glücklicher Mann und, so Gott will, bald ein glücklicher Vater. Wenn’s draußen stürmt und die Kerls mich oft abgehetzt haben, dann schüttle ich mich derb vor meiner Hausthüre und trete in den Kreis, der mich Alles vergessen heißt, mir Alles tragen hilft. Wie sehr freut es mich, auch Sie so glücklich preisen zu können. Grüßen Sie mir doch ja Ihr trautes Hausfrauchen.

Wenn Ihnen mein Geschreibsel etwas rhapsodisch vorkommt, so wundern Sie sich nicht: denn ich habe Ihnen eigentlich so viel zu sagen, daß ich darüber zu nichts Ordentlichem komme: das deutsche Unwesen, Treiben und Vertreiben kann Einen in’s Wirrige jagen*. – – Lassen Sie hübsch den nächsten Sommer den Freundes-Bringer seyn. Es ist doch ein ander Ding um ein ordentliches Gespräch, als die Gänsekiel-Dollmetschung, auch wenn man sie nicht mit der wieder sehr gebräuchlichen diplomatischen Watte erstickt*. – – Alles gegrüßt von alten Bekannten und Freunden, besonders auch den braven Lemm; und zürnen Sie nicht zu sehr Ihrem herzlich ergebenen alten Freund
C. M. v. Weber.

Editorial

Summary

bedauert, ihn nicht gesehen zu haben und nichts für sein Blatt liefern zu können; erwähnt Ärger, den G. mit Kind hatte; über den Dresdner Korrespondenten des Gesellschafters u. anderer Blätter; über das Kritikwesen allgemein und das “deutsche Unwesen”

Incipit

Meine Sündenlast Ihnen gegenüber ist so groß

General Remark

Der Brieftext wurde aus dem gekürzten Erstdruck im Gesellschafter (1829) = Quelle a) und dem vollständigeren Text in: Erlebnisse (1868) = Quelle b) – dort teils abweichende Kürzungen – zusammengesetzt und jeweils kenntlich gemacht. Die Kürzungen in Quelle a) rechtfertigt Gubitz in einer Fußnote an der Überschrift ausführlich und erklärt, dass er weggelassen habe “was nur entfernt irgend Jemand unangenehm berühren könnte”

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition in 3 Text Sources

  • 1. Text Source: Verbleib unbekannt

    Corresponding sources

    • Friedrich Wilhelm Gubitz, Carl Maria von Weber, in: Jahrbuch des Nützlichen und Unterhaltenden, Jg. 28, Berlin 1862, S. 35–45 (Briefzitat S. 42, nur Auszug und nicht textgetreu), Anhang zu: Deutscher Volks-Kalender, hg. von Friedrich Wilhelm Gubitz, Jg. 28 (1862)
    • Friedrich, Paul (Hg.): Bilder aus Romantik und Biedermeier. Erlebnisse von F.W. Gubitz. Berlin 1922, S. 319–322
    • Worbs 1982, S. 90–92
  • 2. Text Source: Friedrich Wilhelm Gubitz, Ein Brief von Carl Maria v. Weber, in: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz (3. Januar 1829), pp. 5–6
  • 3. Text Source: Friedrich Wilhelm Gubitz, Erlebnisse. Nach Erinnerungen und Aufzeichnungen, vol. 2, Berlin 1868, pp. 191–194

Text Constitution

  • “… denn Sie sitzen auch fest”Nachfolgender Text bis zum Zeichen * nur in Quelle b (fehlt in Quelle a).
  • “… in Ihrem Blatte gelesen habe”Nachfolgender Text bis zum Zeichen * nur in Quelle b (fehlt in Quelle a).
  • “… hoch aufgenommen und unerwiedert gelassen.”Nachfolgender Text bis zum Zeichen * nur in Quelle a (fehlt in Quelle b).
  • “… Abendzeitung , den Buchstaben C*”in Quelle b): Cx
  • “… Krakelern als Stoff hingeworfen werden”Nachfolgender Text bis zum Zeichen * nur in Quelle b (fehlt in Quelle a).
  • “… ein Deutscher seyn! – –”Nachfolgender Text bis zum Zeichen * nur in Quelle b (fehlt in Quelle a).
  • “… darüber zu nichts Ordentlichem komme”Nachfolgender Text bis zum Zeichen * nur in Quelle b (fehlt in Quelle a).
  • “… ordentliches Gespräch, als die Gänsekiel-Dollmetschung”Nachfolgender Text bis zum Zeichen * nur in Quelle b (fehlt in Quelle a).

Commentary

  • “… seine Aeußerungen in der Abendzeitung”Vielleicht Bezug auf Kinds Artikel in der Abend-Zeitung Nr. 259 (30. Oktober 1818) mit dem Titel „Etwas über die Berliner Aufführung meines dramatischen Idylls: Der Abend am Waldbrunnen“. Darin heißt es: „Wenn dagegen Hr. Gtz. (der selbst versichert, von der ganzen Einleitung und von dem Liede kein Wort verstanden zu haben, und doch urtheilt!) diesem kleinen Stück Mangel an dramatischem Geschick (?) vorwirft, welcher dessen theatralisches Geschick (nämlich in B!) mit verschuldet habe; so muß ich fast glauben, daß er die Erfolge mehrerer meiner Theaterstücke (von Berlin ist hier abermals keine Rede) nicht kenne, oder – – diese seine Aeußerung ein wenig flüchtig niedergeschrieben habe!“ Die von Weber erwähnte Erwiderung Gubitz’ konnte bislang nicht nachgewiesen werden.
  • “… den Buchstaben C* ., abgefunden”Vgl. Webers Reaktion auf die Besprechung der Vestalin-Aufführung am 14. Januar 1818 durch Therese aus dem Winckel.

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