Ueber die Oper Euryanthe (Teil 5/5)
Ueber die Oper Euryanthe.
Von A. Wendt.
(Schluß.)
Von hier an sinkt nun das Interesse der Handlung immer mehr. Aber der Tonsetzer hat noch einige schöne Contraste gewonnen und hervorgebracht. Zuerst das mit der Bewegung der vorhergehenden Scenen so anmuthig | contrastirende Mailied[,] das in ungetrübter Fröhlichkeit sich bewegt (A dur 6/8) und wahre Mailuft athmet. Die Melodie ist neu und Weber ganz eigenthümlich; das allmählige Eintreten des Chors am Schlusse von trefflicher Wirkung. – Des nun auftretenden Adolars Klagegedanken, und die ermunternden Reden und Berichte der Landleute, die ihn auf den freudigen Ausgang vorbereiten, können nun keine besondere Wirkung bei dem Zuhörer hervorbringen; ja die Miene, die sich hier dem Chor der Landleute giebt, macht denselben fast zu einer matten Parodie des Ritterchors. Der Satz: Vernichte kühn das Werk der Rache [recte: Tücke]etc. hat beinahe den Ton gewöhnlicher Kirchenmusik. – Von da hebt sich die Musik nochmals zu einer großartigen Bedeutung, in dem Hochzeitsmarsch, mit welchem „das Frevlerpaar“ aufzieht – der zweite Contrast – Posaunen, Hörner und gellenden Octavflöten sind in derselben trefflich gemischt, und weben herbe Töne in die Festmusik ein. Es ist als ob die Gefeierten die Schmerzen des Gewissens im Glanze der Festlichkeit ersticken und durch die rauschenden Laute der Freude überbieten wollten; die Modulation drückt einen Zwang zu Fröhlichkeit aus, die von dem Ernste des Gefühls verscheucht wird. – Der daran sich anschliessende Monolog Eglantinens bewährt wiederum den Meister in der musikalischen Charakterschilderung. Die Todessschauer, welche das von Leidenschaft zerrissene Herz dieses Weibes durchzittern, das Irre in ihren Reden, wodurch sich das Innere unwillkührlich verräth, alles dieses ist in den ausgehaltenen, einförmigen Octaven, welche die Posaunen in der Tiefe angeben, in der eben so einförmig fortschreitenden, etwas Grauenvolles verkündenden Modulation und in der Wiederholung jenes schon in der Ouvertüre vorkommenden Harmoniesatzes ausgedrückt, ja recht aus dem Innersten herausgehoben. Eben so der einfache Ausbruch des Jubels, mit welchem Adolars Reisige ihren Herrn wieder erkennen, wobei die Blasinstrumente zu den höchsten Lagen aufsteigend, in schnellen Achteln fröhliche Akkorde angeben. Alles dieß übertrifft aber noch an Wirkung der prächtige Chor „Trotze nicht, Vermessener“ (D dur ). Man glaubt das Nahen der waltenden Gerechtigkeit zu vernehmen, die den Frevel straft und die erkannte Unschuld wieder aufrichtet. Alle Gewalt des Orchesters ist hier angewendet, die Violinen regen sich in herabstürzenden Triolen; da, wo Adolar und Lysiart mit einander streiten, kämpfen auch die ¦ Stimmen im Rhythmus gegeneinander, und das Einsetzen der Posaunen in der zweiten Hälfte jedes Taktes thut eine erschüternd mächtige Wirkung. – Die folgende Scene, in welcher der König kommt, Adolar reuig Euryanthens Unschuld anerkennt; Eglantine, da sie von deren Tod gehört, das Werk der Bosheit völlig enthüllt, um sich dadurch noch bitterer an Adolar zu rächen, hat einzelne treffende Züge, besonders in der Schilderung des Bereuenden, doch zerfällt sie zu sehr in einzelne Stücke, und das Ohr wird daher der scharfen Dissonanzen, welche unaufhörlich wechseln, doch fast müde. Der vermeintliche Tod Euryanthens, welcher den Schluß der Handlung unnöthig verzögert (denn Eglantinens Geständniß war auch auf anderm Wege zu erhalten) läßt Adolar in eine bange Betäubung versinken, aus welcher ihn und die Zuhörer der frische, muthige Klang der schon früher vernommenen Hörnerfanfare wieder erweckt, welche den heitern Ausgang verkündet. Hierauf stürzen sich die beiden Liebenden von Wonne betäubt in die Arme, und doppelt wirksam wiederholt sich hier der Anfang ihres Duetts im zweiten Akt. Am Schlusse vereinigt sich damit der Chor in wenigen Lauten der tiefen Rührung. Adolar sieht nun im Geiste Emma versöhnt – die Instrumentalbegleitung erinnert im Anfange an Emma’s Geisterworte, löst sich aber gleichsam tröstend in das heitere C dur auf. Ohne weitern Uebergang tritt hier das rauschende Schlußchor in Es dur ein, dessen rhythmische Einrichtung einigen Anstoß geben kann, das aber das Ganze glänzend schließt.
Wer nun das ganze Werk so mit uns erinnernd durchlaufen ist, der wird sich den imposanten Eindruck, den es auf uns machte, wohl zu erklären wissen, und von der Ueberzeugung erfüllt seyn, daß wir in dieser Musik ein großartiges Werk der deutschen Tonkunst empfangen haben, zu dessen tieferer Würdigung es mehr, als eines oberflächlichen Anhörens bedarf.
Das Erste, was bei diesem Ueberblick in die Augen springt ist die große Mannigfaltigkeit dieses Werks. Wie reich ist es an Schilderung verschiedener Empfindungen und interessanter Situationen und Gemüthszustände, und wie bestimmt faßt es diese Zustände in Tönen auf. Hier ist kein Vorherrschen einer beschränkten Empfindungsweise des Tonsetzers; vielmehr läßt er jedem Gegenstand sein Recht angedeihen. Ritterliche Sitte und Bosheit; Frauenhuld und Leidenschaft, reine Minne und wilde Gluth, edler Zorn und aufopfernde Treue, Glanz des königli|chen Hofes und stilles Leben in provenzalischer Natur, Qualen des aufbrechenden Gewissens und einfache kindliche Fröhlichkeit, alle diese Gegensätze umfaßt und verbindet dieses Tongemälde.
Das Zweite ist, daß diese Charakteristik in Webers Euryanthe immer fortschreitend, also in gewissem Sinne dramatisch ist. Und in diesem Betracht kann man behaupten, macht diese Oper eine gewisse Epoche; sie ist eine der ersten deutschen Opern, welche diese fortschreitende Charakteristik mit strenger Unterordnung des Melismatischen, freierer Abweichung von den bisher geltenden Formen, nach welchen man den harmonischen Bau der Tonstücke einrichtete, und mit den seit Mozart, Beethoven und Spontini erworbenen, von Weber selbst durch erfinderische Combination vermehrten Tonmitteln leistet. Nur Beethoven in seinem Fidelio kann als nächster Vorgänger Webers in dieser Art der Charakteristik gelten. Schon in seinem Freischütz betrat Weber diesen Weg, aber dort herrscht noch immer das durch den Stoff bedingte Volkslied in seiner bestimmtern Form, die Musik wird noch durch gesprochenen Dialog unterbrochen – ja es giebt selbst ein Stück in derselben, welches diese Charakteristik unterbricht und nur als reines Musikstück gefällt, nämlich die Arie Annchens mit der obligaten Viole im dritten Akte. Hier aber zeigt sich diese Charakteristik in einer Oper von größerm Styl, und ununterbrochener Musik. Hierbei benutzt Weber nicht blos die von ihm schon in‡ Freischütz gebrauchten ihm eigenthümlichen Mittel (z. B. eigenthümlicher‡ Zusammenstellung der Blasinstrumente in tiefern und höhern Tonregionen zu seltsamen Effekten, mit besondrer Einsicht in den Charakter eines jeden; eigenthümliche Akkordfolgen, eine sehr freie Behandlung der Modulation, eigene melodische und r[h]ythmische Figuren), er gab auch dem Recitativ, welches hier ganz an die Stelle des gesprochenen Dialogs tritt, eine eigene Form, durch die es sich bald der Musik in strenger Taktbewegung anschließt, abld sich mehr von ihr entfernt. In diesen Eigenthümlichkeiten mag mancher Anstoß für ein musikalisches Ohr enthalten seyn, doch wirkt ihnen auch wohl eben so sehr der Mangel an Gewöhnung bei den Zuhörern entgegen und daraus erkläre ich mir hauptsächlich die Verschiedenheit der Urtheile über eine solche Oper, die, da sie schon ihrer Intention nach nicht so populär, als der Freischütz seyn konnte, eine weit größere Kraft der musikalischen Auffassung in Anspruch nahm. Dagegen will ich gestehen, daß das stete, rastlose Fortschreiten, und Vorführen anderer Rhythmen und Melodieen, in einem und demselben Stücke, bei Weber oft das Gefühl der Einheit stört und seine Musik zuweilen zerstückelt erscheinen läßt. Seine Charakteristik geht oft vielleicht zu sehr in das Einzelne ein; sie scheint mir oft bei Verfolgung des Wechselnden, das Bleibende der Stimmung zu verlieren, mehr die augenblickliche Veränderung als ¦ die zum Grunde liegende Empfindungsweise im Auge zu haben, und wird oft sogar durch das einzelne Wort bestimmt. Durch diese Art des Fortschreitens giebt Webers Musik vornehmlich zu denken, und wer nur immer die Musik nicht blos empfinden, sondern auch denken will, und nur sonst mit unbefangnem, aufmerksamen Sinne kommt, kann diese Musik nimmermehr langweilig finden, – denn jeder Moment zeigt ihm ja eine Bewegung, einen Fortschritt im Empfinden, welcher der fortgehenden Handlung entspricht; wohl aber mag ihn der Reichthum des Aufzufassenden ermüden.
Hieraus mag auch wohl der Vorwurf der Absicht der Anstrengung, des Suchens nach dem Neuen und Frappanten vornehmlich entstehen, den man diesem großen Tonkünstler hier und da gemacht hat. Es ist wahr es ist in Webers Musik fast nichts umsonst, man wird für alles einen Grund auffinden können, warum der Meister es so gestellt; nur daß dieser Grund nicht immer der Empfindung zusagen wird, die doch das Wesentliche in dieser Kunst ist. Allein um von Absicht und Suchen nach Effekten reden zu können, müßte man tiefer in die Werkstatt eines schaffenden Geistes blicken können, als dieß durch Auffassung seiner Wirkungen möglich ist. Ausserdem muß man bedenken, daß wir in einer Zeit leben, in welcher das wissenschaftliche Streben und damit die Erkenntniß der Kunst über die reine Produktion offenbar überwiegend ist, und die Kunst sich nicht ganz frei erhalten kann von dem Einfluß dieses Wissens bei der Bildung ihrer Werke. Auf jedem Fall ist die unbefangene Schönheit, die nicht von sich selbst weiß, nicht Blüthe jedes Zeitalters und kann nicht in jeder Periode der Bildung eines Volks gefordert werden; namentlich nicht in einer spätern. Der Künstler, der hier als Künstler der Zeit seine Schuld bezahlt, gewinnt an der Selbstbefriedigung, welche das Wissen zum Voraus hat, und tritt eine Stufe höher als Mensch, indem er sich zum Bewußtseyn seines Thuns erhebt. Davon aber bleibt die einseitige Reflexion und Absicht weit entfernt, welche ohne innere Liebe zur Kunst gefallsüchtig nach Effekten hascht, oder von äußrer Zusammensetzung des Fremdartigen ausgehend, nie zur Bildung eines organischen Ganzen gelangen kann, was wohl als Ausartung jener Richtung angesehen werden kann. Doch wie weit Webers Werke über ihre Zeit erhoben, oder mit den Vorzügen und Gebrechen derselben verschmolzen sind, davon ist uns jetzt noch keine unbefangne Beurtheilung möglich; darüber kann nur die Nachwelt vollgültig entscheiden, wie sie über Mozart und andere entschieden hat. Uns liegt es ob, dem trefflichen Künstler für das mannigfache Große und Herrliche, was er uns in seiner Euryanthe aus der Fülle seines erfindungsreichen Geistes mitgetheilt hat, unsern Dank zu sagen, und der sey ihm auch von mir aus vollem Herzen gezollt.
Editorial
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Bandur, Markus
Tradition
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Text Source: Merkur. Mittheilungen aus Vorräthen der Heimath und der Fremde, für Wissenschaft, Kunst und Leben, Jg. 1825, Nr. 75 (23. Juni), pp. 304–306