Ueber die Oper Euryanthe (Teil 2/5)
Ueber die Oper Euryanthe.
Von A. Wendt.
(Fortsetzung.)
Die Ouvertüre zu Euryanthe hatte ich schon mehrmals vollstimmig aufführen hören, sie hatte mich als Ganzes niemals angesprochen; und der etwas knallende Schluß konnte mir natürlich nicht imponiren. Sie war mir wie ein musikalisches Werk vorgekommen, das vielleicht aus mehreren Ingredienzen der Oper zusammenge|setzt seyn könnte. Vielleicht, dachte ich, gewinne dann dieses Stück im Einzelnen mehr Bedeutung und Eindruck, wenn man die ganze Oper schon gehört hat, und sie könnte dann mehr einen Epilog, als den Prolog vorstellen. Nach der ersten Ausführung auf der Bühne erschien mir dieß auch wirklich so, mir ward nun die Bedeutung, oder Absicht des Einzelnen klar, an manches Frappante (z. B. in der unvermutheten Wendung der Melodie, welcher nachher Adolars Wahlspruch untergelegt ist aus Cb [d. h. C moll] nach As) war ich nun durch öfteres Hören gewöhnt, und so fand ich nun immer mehr Zusammenhang darin, wiewohl nicht den, durch welchen sich das Einzelne gleichsam organisch aus dem Ganzen entwickelt, und ich muß gestehen, daß ich dieses Stück, das bei aller seiner Kraft immer ein wenig das Ansehen des Gemachten und Angestrengten hat, doch tiefer, als das Uebrige setze. Ueber das Detail dieses Stücks will ich in einer musikalischen Zeitschrift sprechen, wo ich auch die für diese Blätter weniger gehörigen Belege zu diesem Aufsatze geben werde.
Die Handlung beginnt und sogleich ist der dramatische Charakteristiker an seinem Platze. Der Chor der edlen Frauen und Ritter erschallt, die in den königliche[n] Hallen zu Preméry den errungenen Frieden feiern, und mit Wechselgesang und Tanz Tapferkeit und Treue preisen. Dieß alles tritt durch die Musik klar und kräftig hervor. In heiterer Würde und Ruhe, die dem Orte und den Personen ansteht, bewegt sich die figurirte Melodie, welche die Violinen als Ritornell des Wechselgesanges ausführen. Darauf beginnen die Frauen den Preiß des Friedens und der Helden, in einer Melodie aus G dur, welche ungetrübte Freude und Grazie athmet, und zwischen deren Absätze erst einige Töne der sanften Blasinstrumente, und dann die schmeichelnden Violinfiguren aus dem obigen Ritornell eingeflochten sind. Daß nun der kräftigere Männerchor vierstimmig in D dur mit entsprechenden Rhythmen eintritt, zwischen deren Glieder einfache Accorde mit punktirten Noten im Grundbaße fallen, bildet einen eben so wahren als wirksamen Contrast. In der Melodie der zwei letzten Zeilen: wohl ringt der Muth nach Siegesglanz, doch Liebe muß das Leben krönen. hat der Componist auf meisterhafte Weise Kraft und Sitte in wenigen Zügen geschildert. Beide Chöre vereinigen sich dann zum Preiß der Liebe und des Friedens, wobei der vierstimmige Satz sich bequem ausbildet und ¦ die Orchesterbegleitung jene schmeichelnden Figuren vollstimmiger wiederholt. Darauf tritt im 3/4 Takt menuettenartiger Bewegung der majestätische Reihentanz ein, welcher so höchst charakteristisch die mit Würde sich bewegende Fröhlichkeit und Grazie des altfranzösischen Ritterthums schildert, und in der Kunst des Rhythmus ein Meisterstück ist. Auch die Modulation (besonders im zweiten Theile) ist interessant und neu. Das höchst gemäßigte Tempo, welches Weber für jenen Chor und diese feierliche Tanzmelodie nahm, setzte diese Stücke in ihr vollkommenes Licht.
Nach dem kurzen Recitativ, in welchem der nach seiner Geliebten sich sehnende Adolar vom Könige aufgefordert wird: ein Lied zu ihrem Preise zur Cyther zu singen, (hier läßt sich die schmeichelnde Violinfigur aus dem obigen Chor wieder hören) präludirt Adolar durch einige abgerissene Accorde. Es ist sehr sinnig gedacht, daß er zuerst einen klagenden Ton (G moll) anschlägt; er, der nach der Fernen im Stillen seufzt, muß sich selbst erst gleichsam dazu stimmen, ihr Lob in lauten Tönen zu singen. Hier tritt nun die zarte Romanze (Unter blühenden‡ Mandelbäumen) ein, deren Composition sich einfach und doch nicht gewöhnlich bewegt, und dadurch um so tiefer wirkt, daß sie das Glück der Liebenden nicht auszusprechen wagt, sondern nur gleichsam aus der Ferne ahnen läßt, und doch sich von dem Tone gewöhnlicher Sehnsucht entfernt; die Begleitung ist zuerst nur andeutend, die sanften abgebrochenen Accorde bezeichnen gleichsam die jugendliche Scheu ein süßes Geheimniß auszusprechen; mit dem folgenden Verse wird sie ausgeführter und hebt den Gesang; im dritten Verse variirt, und – vielleicht schon zu schwerfällig und studirt für den herzigen Gesang. Die Melodie hat die Worte ganz durchdrungen; unverbesserlich ist die Deklamation der drei unmittelbar auf einander gereimten Worte; der Uebergang in D dur von einer klaren, angenehm überraschenden Wirkung, leicht und ungezwungen die Rückkehr nach B, und die Anwendung der Vorhalte giebt der Melodie etwas sehr Inniges. Sie vermag uns an „der Loire Blüthenstrand“ zu versetzen. Der Chor ruft hierauf dem Sänger und seiner Schönen Heil. Mit trefflicher Wirkung, gleichsam als bestätigender Refrain, wiederholen sich hier die lieblichen Melodieen des obigen Chors und geben der Freude dieses Festes den eindringlichen Schluß.
Nicht länger kann sich Lysiart, der den Sänger um Ruhm und Liebe beneidet, halten; in spöttischen | Worten entladet sich sein Neid; er lästert die Frauentreue, giebt sich die Miene der überlegenen Erfahrung, erzürnt Adolar und trägt ihm vermessen die obenanführte Werte an. Alles dieß ist in dem Recitativ trefflich bezeichnet. Gleich der hastige Gang des Contrabasses nach dem Chor, bezeichnet das Hervorbrechen einer finstern Kraft; das Lob ist mit einem Mißlaut ausgesprochen, ([„]hoch ergötzt“) den Adolar wohl empfindet; die schleichende, kriechende Wendung, mit welcher er spricht, contrastirt vortrefflich mit dem sich regenden Zorne Adolars, der auch in der bebenden Begleitung ausgedrückt wird, und mit dem begeisterten Ausdruck am Schlusse: „mein Gut und Blut“, der mit Recht in den höhern Lagen der Töne genommen ist. Ueberhaupt gehört dieses Recitativ zu den besten dieser Oper. Es ist vollkommen dramatisch und giebt den Beweis, daß das Recitativ nicht immer durch langweiligen Schlendrian langweilen muß. Hiermit ist die Einleitung zu dem Ensemblestück No. 4. gemacht, in welchem die Wette zwischen beiden Rittern genauer bestimmt wird, während der König nebst seinen Rittern in Beide dringen, von dem vermessenen Beginnen abzustehen und Gott um Schutz der Unschuld anflehen. Lysiarts Parthie ist leider in diesem Ensemble weniger bedeutend, dagegen erhebt sich Adolars Stimme triumphierend in dem festen Vertrauen zu seiner Geliebten, über alle übrigen. Was den Chor anlangt, so habe ich hier Gelegenheit zu bemerken, daß Weber in dieser Oper dem Chor und namentlich dem Männerchor eine ganz eigenthümliche Bedeutung gegeben hat. Er sah, daß der Chor der Ritter in dieser Oper nicht bloß im Allgemeinen Empfindungen über das Vorgehende äussert, oder, wie in vielen Opern, bloß dazu da ist, die Solostimmen mit einem kräftigen Tutti zu begleiten; sondern daß er in seiner Aeußerung die edeln Züge des Ritterthums aussprechen sollte, Ehre, Treue, Beschützung der Unschuld etc. und schon durch seine Stellung ein Recht hat, zu sprechen. Weber hielt ¦ ihn daher nicht nur durchaus in einem edeln Tone, sondern gab ihm durch innere Ausbildung, indem er ihn auch als Männerchor fast immer vierstimmig singen läßt, einen größern Nachdruck, wodurch er nun als eine höhere Person selbständig erscheint. Das ganze Stück ist charaktervoll und fortschreitend. Man hat gesagt, Weber setze hier schon größere Massen in Bewegung als nöthig, wenn man die Bedeutung der Sache in Erwägung ziehe; aber die Entscheidung hängt von der Frage ab: inwieweit ein Tonkünstler, der seinen Gegenstand für das Gefühl schildert, durch Erhöhung und Verstärkung des geäußerten Gefühls seinen Gegenstand vergrößern und über die Wirklichkeit hinausstellen darf; eine Frage, auf welche man schon bei Beethovens Fidelio fällt, und die wohl kaum im Allgemeinen möchte zu lösen seyn. Wie dem nun sey, so ist Weber wenigstens in dieser Oper dem kräftigen Colorit, das er gewählt hat, getreu geblieben; wie sich auch aus der Folge ergeben wird.
Auf die, ein hohes Vertrauen ausdrückende Melodie Adolars, womit das zuletzt genannte Stück feurig schließt, folgt in wohlthuender Abwechselung Euryanthens liebliche Cavatine (aus dem ungefärbten C dur). Man versetzt sich bei dem Hören derselben gern in provenzalische Gefilde. Ein Gemüth klar und rein, wie die umgebende Natur ist die Quelle der Empfindung, die hier ausgedrückt wird; sie ist gleichsam der Hintergrund, auf welchen die Sehnsucht nach dem fernen Geliebten aufgetragen ist. Und doch wie ganz anders ist der Ausdruck, als der Ausdruck Agathens, die im Försterhause ihres Geliebten harrt. Dieses Schmachten des weiblichen Herzens, und diese Innigkeit der Hingebung, welche großer Aufopferung fähig macht, stört die hohe, edle Einfalt nicht, die hier zur Grundfarbe genommen ist, ja sie scheint vielmehr aus ihr hervorzugehen. Nach dieser Melodie sind wir mit der Empfindungsweise der Person, vollkommen bekannt.
(Fortsetzung folgt.)
Editorial
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Bandur, Markus
Tradition
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Text Source: Merkur. Mittheilungen aus Vorräthen der Heimath und der Fremde, für Wissenschaft, Kunst und Leben, Jg. 1825, Nr. 72 (16. Juni), pp. 292–294