Ueber die Oper Euryanthe (Teil 4/5)

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Ueber die Oper Euryanthe.

Von A. Wendt.
(Fortsetzung.)

Die Umarmungen der Liebenden trennt die Erscheinung des Hofes, mit welcher das Finale dieses Aktes beginnt. Die ruhigere Tonart (F dur) die gleichsam etwas breite Bewegung des Rhythmus (9/8), die Vollstimmigkeit des Chors und sein kräftiger Grundbaß geben demselben einen edeln, prachtvollen Charakter. Das kleine darauf folgende Gespräch, in welchem auch einige Betonungen auffallend sind, sticht fast zu sehr ab. Einen ernstern Ton aber nimmt die Schilderung mit dem Eintritt Lysiarts an (auch die Modulation wendet sich schnell aus C- nach Des dur). Alles fühlt das Nahen der Entscheidung; der Ruf des Chors: „verleih’ der Wahrheit Sieg!“ mit dem edeln Uebergang nach Des dur ist ein frommes Flehn. Euryanthe zittert. Lysiart tritt hervor und verlangt Adolars Lande (der gellend dissonirende Ton auf dem Worte seyn, in der Rede es muß ja seyn, obgleich er logisch nicht ganz richtig liegt[,] scheint den gezwungenen Zustand des Sprechenden zu bezeichnen). Zorn und Unwille, Angst und Erhebung, Gleißnerei und Falschheit werden nun in Bewegung gesetzt. Der Tonsetzer, der diesen Kampf Wort für Wort verfolgt, modulirt in der Folge vielleicht etwas mehr, als es der Einheit des Ganzen hier zuträglich ist. Sehr schön ist es aber im Einzelnen wie der ersten An¦klage Lysiarts Adolars Vertrauensvoller Ausruf entgegengestellt wird, und wie, als Lysiart Beweise verspricht, dieß Wort alles niederschlägt, der teilnehmende Chor zaghaft, und mit abgebrochnen, gedämpften Tönen ausruft: weh, Euryanthe, was hast du begangen! Man höre ferner die spöttische Pra[h]lerei Lysiarts, dessen Melodie hier eine sich gleichbleibende Form hat, Euryanthens Entrüstung, die kaum Worte finden kann; den auflodernden Unwillen Adolars, der zur Fehde ruft, Euryanthens ängstliches Flehn zu Gott (wobei das Zittern der Saitentöne, über welche sich die Stimme emporschwingt, während unter ihnen der Posaunenbaß seine gebieterische Stimme ertönen läßt, die kräftige Modulation der Akkorde und besonders die herrliche Rückkehr nach Ges dur von ausserordentlicher Wirkung sind) man vernehme Adolars entschiedenes Fragen, und man wird auch in diesen Momenten den tiefen Charaktistiker finden. Allein erst von dem Satze an: „Ha die Verrätherei!“ in welchem der Chor seinen Unwillen mit majestätischer Kraft ausspricht, kommt mehr innerer musikalischer Zusammenhang in das Ganze. Zugleich ist dieß eine der bedeutendsten Stellen dieser Oper, in welcher Weber den vollen Männerchor in seiner ganzen Selbständigkeit, d. h. ohne Instrumentalbegleitung, mit großer und ernster Wirkung auftreten läßt. Mit jenem Ausruf, in dem sich alle Stimmen der Männer gegen Euryanthe vereinigen, sticht nun | das von sanften Blasinstrumenten eingeleitete Flehen der verlassen Stehenden trefflich ab, welches dann in die schöne fließende Harmonie des Soloquartetts übergeht. Auch in dieses fällt der Chor mit großer Wirkung ein. Noch sind die Empfindungen nicht aufs Höchste gestiegen; ein dumpfes Staunen und Niedergeschlagenheit beherrscht noch die Gemüther der Menge. Aber nun verlangt Lysiart die Belehnung mit Adolars Gütern , welche sogleich erfolgt (der Componist hat hier sehr klug den Glanz gespart, und der Deklamation und Begleitung etwas Einförmiges gegeben was den Mangel an Antheil bezeichnet, mit welchem diese Ceremonie von Seiten des Königs verrichtet wird); – um so mehr werden die Gefühle der Uebrigen erregt. Ein bewegterer Satz beginnt. Er enthält die Aufforderung Adolars an Euryanthe, und das rührende Erbieten der Ritter, das sich hier so einfach ausspricht, (wobei der Chor wieder die oben bezeichnete Stelle einnimmt); darauf kehrt sich das Gefühl um so empörter gegen die, welche für schuldig gehalten wird (man höre die grollende Figur in den Bässen) und entladet sich in verwünschenden Tönen. In dem noch schnellern Schlußsatz aus F moll[,] der ohne weiteres Motiv eintritt, erreicht die Wuth den höchsten Gipfel. Hier hat der Componist die schärfste Dissonanz angewendet und den Sturm der Instrumente toben lassen. Das Ganze macht einen vernichtenden Effekt.

Der dritte Akt enthält mehr Mannigfaltigkeit, doch schwächt es seine Wirkung, daß die Handlung so langsam sich zum Ende neigt, und vieles auseinandergesetzt werden muß, was der Zuschauer längst weiß. – Aus der von den Saiteninstrumenten vorgetragenen Einleitung spricht tiefe, einsame Trauer. Die Bewegung deutet ein schweres, kummervolles Wandern an, wo nichts die Seele erheitert, und nur Seufzer oder kurzes Halten den einförmigen Weg unterbrechen. Einige Dissonanzen und Fermaten hat hier der Meister äusserst sinnig angebracht. – Das folgende Recitativ (Gespräch zwischen A. und E.) finde ich in der Begleitung eben so charakteristisch, aber zuletzt treten einige Modulationen ein, die mir so willkührlich gehäuft als wirkungslos erscheinen.

Der erste Satz des darauf folgenden, in dramatischer Hinsicht so peinlichen Duetts, hat mich – ich gestehe es – wenig interessiren können. Hier finde ich den den Componisten häufig mit Unrecht vorgeworfenen Mangel an Melodie, – wenigstens an durchgreifender, – ¦ die man nach vorhergehendem Recitativ um so sehnlicher erwartet. Hier finden sich nur gleichsam einige kleine Bruchstücke von Melodie, darinnen ist die Deklamation vorherrschend. Der zweite Theil dieses Stücks hat ungleich mehr melodischen Zusammenhang und ist ansprechender. Der Schluß desselben wird durch einen Schreckenston der Posaune aufgehoben, der sich gleichsam drohend in den Weg stellt. Die Schlange naht, Adolar kämpft mit ihr hinter der Scene. Euryanthens angstvolles Flehn zu dem Himmel um sein Leben zeigt das liebende Gemüth auf der Höhe des verzweifelnden Schmerzes, auf welchen Erschöpfung der Natur folgen muß. Das Zittern der Geigen, und die markirte Bewegung des steigenden Grundbasses gegen den Rhythmus drückt kräftig die äusserste Erschütterung der Unglücklichen in dem gefahrvollen Augenblicke dieses Kampfes aus. Und eben so steigend ist der Ausdruck der Freude über den Sieg des Geliebten. Ausdrucksvoller mochten die Worte der fast vor Wonne Athemlosen: „ach, was ist mein Leben gegen diesen Augenblick!“ schwerlich gefaßt werden. Hier ist aller Reiz der Melodie der großartigen Wahrheit aufgeopfert worden; und selbst der an sich gewöhnliche Gang in den Violinen thut durch Steigerung und Ausfüllung von Blasinstrumenten hier eine ergreifende Wirkung.

Hier fand sich nun für den Componisten ein neuer günstiger Contrast. Unmittelbar nach solcher, alle Kräfte aufregenden Gemüthsbewegung sollte er die Verlassenheit und Erschöpfung der Unglücklichen schildern, welche der Geliebte in der öden Wildnis zurückläßt. Der Componist hat hier, was wir noch beiläufig bemerken wollen, einen äusserst zarten Zug in die Schilderung Adolars verwebt. Die Deklamation „im Schutze des Höchsten bleibe – hier – allein,“ deutet an, daß jener seinen Entschluß wenigstens mit Bekämpfung seines Gefühls und mit innerster Rührung ausführe. Diese gewaltsam innere Bewegung, mit welcher Adolar forteilt, drückt auch der folgende Instrumentalsatz (Vivace Es dur aus), welcher in der Mitte einen kräftigen Schwung nimmt, und dann leis’ verhallt. Einen jeden Zuhörer muß das, von keinem Instrumente begleitete Fagottsolo, und das darauf folgende Flötensolo, welches sich fragend wie die Seufzer der Verlassenen, erhebt, mit der Empfindung der tiefsten Einsamkeit erfüllen; man hört das einförmige Rieseln des Quells, man irrt mit der Einsamen ängstlich umher, und die Bangigkeit, mit welcher die Oede | erfüllt wird, löst sich in hoffnungslose Klagen auf. Hier tritt die Cavatine aus G dur, welche einen Anklang vom Volksliede hat, – der Gattung, in welcher Weber so grosser Meister ist, mit unaussprechlich rührender Wirkung ein, die dadurch erhöht wird, daß man nach so bedeutenden Anstrengungen in der Harmonie hier bei dem Einfachern, reinen Erguß der Empfindung um so lieber verweilt. Es ist bei einiger Maßen angemessenem Vortrag fast unmöglich ohne Thränen zu bleiben. Hier ist nichts, was man anders wünschen könnte, und doch wie eigenthümlich sind die Worte behandelt, wie herzlich die Melodie, wie anschmiegend die gedämpfte Begleitung, zu welcher der bange Ton des Fagotts immer wieder einstimmt, und die herrliche Rückkehr der Modulation nach dem Grundton, wie bang ergreifend das Verhallen der Stimme!

Eine besondere Kunst besitzt Weber[,] den Scenenwechsel und den Wechsel der Empfindung, der daran geknüpft ist, zu schildern, und dieß Talent zeigt sich an dieser Stelle von der glänzendsten Seite. Es beginnt eine ernste Bewegung in den tiefen Tönen der Saiteninstrumente, die Töne schwellen an, einzelne Hörner rufen, bald stoßen mehrere zusammen (die bei Weber so häufig vorkommenden Umwandlungen der Septimenakkorde in einander machen hier einen ganz eigenthümlichen Effekt)  – die Tonart wird heller; die Hörner schmettern ihr […] auf dem Septimenakkord von B, das Echo wiederholt das Tönen und nun tritt das längst vorbereitete feierliche Es dur mit edlem Troste ein.

Man hat beim Anhören dieser Musik die Empfindung, eine bange unruhvolle Nacht schwinden und den heitern Tag tröstend wieder anbrechen zu sehen. Der Jägerchor, dem Charakter des Ganzen gemäß, weit edler gehalten, als der im Freischützen, bewährt wieder die mächtige Einwirkung des vollstimmigen Männerchors in dieser Oper; seine kräftigen Töne, nur einfach von wiederhallenden Hörnern auf der Bühne begleitet, verkünden gleichsam den Triumph des Rechts und das wiederkehrende Leben. Er ist, so klein er im Umfange ist, von dem allerglänzendsten Eindruck an dieser Stelle. Euryanthe wird gefunden und erkannt. In abgebrochenen Tönen der Erschöpfung betheuert sie nochmals ihre Unschuld und erklärt, daß Eglantine ihr jenes Geheimniß abgelauscht habe, wobei man in den Violinen wiederum die schlängelnde Figur hört, die oben Eglantinens Auftreten begleitete. Die tröstende Stimme, ¦ des Königs, die ermunternden Zurufungen des immer einwirkenden Männerchors „Glaube, Hoffe, Liebe“ mit immer steigender Modulation, steigern die Empfindung der schon Verzweifelnden zu einem Aufschwung der Wonne, die fast die Farbe des Wahns hat, zu einer fieberhaften Gluth des Entzückens, die in aufopfernder Innigkeit sich erschöpft. Nur bei Voraussetzung einer solchen Stimmung kann die Deklamation der feurigen Arie verstanden werden, in welche die Musik hier übergeht (C dur)[.] Mit besonders prächtigem Erfolg wiederholt in derselben der Chor begleitend seine Worte. Endlich sinkt E. zusammen; die Harmonie, die eben in dem Grundton in fliegender Bewegung schliessen wollte, fällt in einen schreienden Septimenakkord zurück, und endet mit einer dumpfen Trauerklage des unbegleiteten Chors, der die Halbentseelte hinwegträgt. Die Musik verhallt mit Hörnertönen in C moll.

(Schluß folgt.)

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Bandur, Markus

Tradition

  • Text Source: Merkur. Mittheilungen aus Vorräthen der Heimath und der Fremde, für Wissenschaft, Kunst und Leben, Jg. 1825, Nr. 74 (20. Juni), pp. 299–301

Text Constitution

  • “aus)”sic!
  • illegible text

Commentary

  • denrecte “dem”.

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