Gottfried Schadow an Henriette Schadow in Leipzig
Berlin, Mittwoch, 21. bis Donnerstag, 22. August 1822
In der Voraussetzung das Du meine geliebte Seele! dieses in Leipzig vorfindest, melde ich Dir meine Rückkehr. Freitag u Sonnabend 16 u 17t habe ich die Reise von Dresden hieher gemacht. Den 12t hatte ich von Dresden aus noch an Dich geschrieben. Deinen ersten Brief aus Marienbad vom 8 aug. erhielt ich den 14t in Dresden welcher Schlendrian! Nachdem ich am 17t an Dich geschrieben hatte – fand ich in der Gallerie den Major v. Schack in Landsberg a/W in Garnison, Bruder dessen, der beim Kronprinzen ist. (itzt in Nizza). Er war früher bei mir, um uns Giustinieni Bilder ins Haus zu heben, wogegen ich alles aufbot; malgré cela schlug er mir vor, mich in seinem Wagen bis Beelitz zu bringen; u das wurde gern u gleich angenommen. Nun muste ich mein Avis nach Berlin umändern – einen dritten Brief schreiben u die schon auf Sonnabend den 17t festgesetzte Conferenz auf Heute verlegen, welches H. Henne auch richtig besorgt hat, u das alles ging durch die liebe Mutter, an welche ich meine Briefe adressirte, an jenem Tage den 12t waren wir (nemlich ich u Wilhelms) bei Frau v. d. Reck um 3 Uhr zu Mittag eingeladen, auch einige Artistes u Scavants:
Vorher hatte ich Böttiger besucht, der in dunckler Kammer, dennoch hellen Geistes wurde; seine operation ist gelungen, aber vom Einsitzen wird er zu weilen kranck da, u bei einem zweiten Besuche, hat er so herzlich gelacht wie jemals. Jenes Diner war splendid u ich as zum Erstenmale wieder Suppe u leckere Speisen. Die Dame führt einen guten Tisch u giebt nichts als starcke Weine.
|Einigermaassen davon entwöhnt, quälte ich mich bis Mitternacht. Hustend, u verstopft. Dienstag den 13t aug. hatte mich um 8 Uhr – Seyffarth der HofGürtler – dem ich Melanchton Luther den Kronprinzen u den König, in kleinen Medaillons gemacht hatte – u der diese prägte. Der Mann hat ähnliche Stücke von den Königen von Sardinien Sicilien den Pabst etc gemacht, er zeigte mir die Geschencke dafür – nemlich grosse goldne Medaillen u goldne Dosen. Bei den Antiken fand ich unsers Müller Sohn u einen Italiäner, welche grosse Formen machen, nach einer Anweisung von unserm Professor Tiek. Der junge Witte von Breslau war auch da. Nachmittag machten wir, die partie nach Tharand, u kletterten uns müde. Wilhelms ich u Kunze. Thielker sein schlecht gemaltes panorama von St. Petersburg besah ich auch, findet aber wenig Beifall in Dresden. Mittwoch den 14t führte ich die jungen Leute in die Kunstkammer, die ich noch nicht gesehen hatte. Die Zahl der Curiosa ist groß. Darunter welche von Dr: Luther August den Starken – zerbrochne HufEisen etc; Nachmittag den Caffé auf der Brühlschen Terrasse, welches der angenehmste Aufenthalt ist, den ich kenne, u wonach ich gegen Wilhelms behauptete: alle übrigen partien entbehren zu können. Dann besuchte ich G. R. Böttiger u den Doctor Pönitz; dessen Schwester auf dem Lande mit ihren Zöglingen –Wir besprachen uns von Dir, u da ich einen Fluß aufs rechte Ohr habe, so rieth er mir: ein Fußbad, besann sich, u verordnete | eine spanische Fliege hinter dem Ohr, wurde gleich befolgt. auch besuchte ich den Bankier Schütz, der ein kostbares Haus baute, worin Feilners Leute Oefen setzen. Tapeten von Paris FusTeppiche aus England, Magahoni‡ Massiv von Hamburg etc. ich sollte am Freitag en société bei ihm speisen, échappirte aber im selben Saz. Die Frau v.d.Reck hatte mir Brause pulver verordnet, die nahm ich auch, u schwitze sogleich danach. Ferner besuchte ich die junge Frau v. Quandt, u da diese mir erzählte: sie habe dasselbe Uebel gehabt, u nichts würksamer gefunden: als Kampfer ins Ohr, so brauch ich letzteres Mittel noch – und darf nun sagen: in Dresden drei Aertzte consultirt zu haben! Ihr Mann ist in Wien besitzt schöne Gemälde, u nun auch ein schön Kindchen, die Mutter ist huchscher‡ geworden. Die alte F. v. Quandt war auch angekommen, hab sie aber nicht gesehen; da hört ich, das die Schopenhauer noch ihre Gemälde ausbietet wie denn auch ihr Bachus bei uns vergessen steht. Wilhelm[s] machten eine Landparthie, u ich ging Abend wieder auf die Terrasse, man hatte Concert von BlaseInstrumenten, an der Thür ein Büchsenhalter, die haussen waren hörten es auch u besser. Später wurde a la Carte servirt bei Windlichtern man sitzt unter einem offnen Dache, getragen von dicken Säulen, u dünnen Holzstangen; der Blick die Elbe hinauf oder herunter nach der Brücke, Beides schön, u die Menschen in der Halle bei wenigen Lichtern, magisch beleuchtet. Genug: ich wünschte Dich bei mir, um es ganz zu geniessen. Louis Wichmann u Jungfer Feilner praesentirten sich als Brautpaar bei mir
|Die Nacht holte ich das Versäumte ein, u schlief gut.
Donnerstag 15t um 8 Uhr, kam nach Verabredung Herr Schütz um sein neuerbautes Haus zu sehen, u über Manches den Rathgebenden, zu figuriren. Oben ist eine platte forme u herrliche Aussicht. Director war dem Manne nicht genug u er nannte mich: Präsident! seine Frau eine Engländerinn spricht ziemlich deutsch. In der Bilder Gallerie traf ich Wilhelms Fräulein v. Winkel die mich nicht kennen wollte, Frau v. Ernsthausen, mit der ich die alte Bekantschafft aufweckte u viele andre Frauenzimmer, die ich nicht kennen wollte um doch auch einige gemalte zu besehen. Es war: Maria Himmelfahrt: grosse Messe von Naumann, Neben mir Freund Schaum, welcher mit der Aufführung sehr zufrieden war u nachher fand ich an der Kirchenthür Carl Maria v. Weber dem ich es vorhielt, das er so schnell Frommes u Gottloses vorbrächte – Er hatte dirigirt: Er meinte: es würde ihm auch schwer, aber der Dienst verlange es! Sieht munter aus!
Bei Arnold erkundigte ich mich nach Rittners u erfuhr das Er mit ältesten Sohn auf Reisen, nach Paris u London u Sie schwer krank danieder liege. Dieser Arnold – der Rittners Gewölbe hat, erzählte mir: er selbst habe seine gantz junge Frau bei der ersten Niederkunft verlohren, das Kind auch. Sie war die Tochter des H. Kaiser, einer der reichsten Kaufleute aus Koenigsberg, der in Dresden sein grosses Vermögen angenehm geniessen wollte – Schon hatte H. Schütz diesen tragischen Vorfall einem Dritten erzählt – ich wuste aber nicht, wovon die Rede war – der junge Wittwer weinte noch!
|Nachmittag wollten mich Wilhelms wieder mitnehmen – sie fahren gewöhnlich – ich muste mich zur Abreise einrichten, u refusirte ging zu Frau v. d. Reck, wo ich Bücher zurück brachte; mit ihr im Garten spatzieren, den sie erst angelegt hat; hierauf nach dem Gartensaal der 2 Balcone hat, u die Aussicht über die Elbe; die Hitze war drückend: Gewitter stiegen auf. Sie beklagte den Verlust so vieler Edlen u Guten die ihr nun vorangegangen wären u sagte mir: Tiedge habe die Poesie verlassen u arbeite ernstlich, an der Herzogin v. Curland Biografie – die darum ausgedehnt würde, weil die histoire de son Temps damit eingewebt würde. Es sind doch zwei verständige u liebenswürdige Menschen! Sie wollten in ein paar Tagen auch noch nach Carlsbad – gegen Anrathen des Artztes – aber sagte sie: die Erfahrung hat mich gelehrt, was uns Beiden wolthut; sie ist stärker, dem Äussern nach, wie jemals – u Tiedge scheint mir unverändert. Bei Seydelmanns gab ich eine Carte ab, u besuchte noch, meine geliebte Terrasse. An Table d’Hote Abend in unsern Gasthof nahm ich meinen gewohnten Platz – eine Dame saß schon daneben sie setzte sogleich ihren Hut wieder auf u ajustirte sich; das Gespräch war von Fonk in Cölln – dessen Unschuld ihr erwisen schien, u so die Bosheit aller Cöllner; ich erkannte sie bald sie wendete sich zu mir u frug: ob ich sie nicht wiedererkenne? Frau v. Chezi fiel ich ein, ich freue mich sie so wol wieder zu sehen! Wilhelms traten ein, nahmen Platz neben mir, ich sagte Wilhelm, wer meine Nachbarin, u wollte meine Frau Tochter aufführen, als diese mir einen Wink gab, dies ja zu unterlassen, wonach also der Ruf meiner Schönen hier nicht besser wie bei uns, steht.
|Meinen Kindern sagte ich da: Adieu! Am Morgen Freitag den 16t (Geburtstag unserer Lida) fuhr Herr v. Schack punct 4 Uhr vor – ich war unten auf dem Hausflur mit Gepäck, u so ging es gleich hinaus zum Thore. Die Nacht war, Donnerwetter mit vielen Regen, u so die Luft ziemlich frisch – ich ohne Caffé – um 8 Uhr waren wir in Grossenhain – Wir u die Pferde frühstückten. Caffé Semmel u Butter für uns – et moi la pipe. Um 1 Uhr in Cosdorf. Diner, ein zweistündiges – nemlich die Pferde. und um 6 Uhr Abend in Herzberg. Hier erwartete ich: eine Restauration – weil oncle Spener von dieser Station gesprochen hatte – als einen Gasthof wo man nothwendig anhalten müsse. Also zuerst Caffé es wurde 7 Uhr. Dann promenade um die Kirche herum gotische Denkmäler zu entdecken, die nicht entdeckt wurden. Die Gassen dieser Stadt sind mit Apfel Birnen und Nußbäumen bepflanzt u die Bäume überladen. Einige elegante Gestalten von Frauenzimmern wurden wir gewar. 8 Uhr war unsre Tafel besetzt: Ertapfeln Butter. Ente Bier Preisselbeeren pele mele. Die Ente wollte ich tranchiren beim Ansetzen des Messers ging sie von selbst auseinander aber der Hunger trieb alles hinein. Ich verlangte: Ein Zimmer für mich, der Wirth war nicht zu bereden, weil eine Familie die noch komme, es bestellt habe. Um 9 Uhr ging ich zu Bett; die Temperatur im Zimmer war BackOfen Wärme; über den Küchen Heerd – Herr von Schack | wollte deshalb in kein Bett, legte sich halb ausgekleidet rücklings auf einen Sofa, u das eine Bein auf einen Stuhl. Ein Licht hinter den Ofen gestellt. Müdigkeit sandte mich bald, in den ersten Schlummer: ein Beben von Fußtritten, weckte mich! Ich erblicke, den gantz weissen Mann, dicht niedergebogen, u mich anstarrend. Ich sage: hab ich was gemacht? (in der Meinung, ich hätte geschnarcht oder geseufzet) Er antwortet erst nicht u murmelt dann: weis nicht wo ich bin: u legt sich wieder, schläft auch gleich. Der Schreck u das Nachdenken über diese Sonderbare Erscheinungen liessen mich nicht zum Sch[l]af kommen; ich dachte an verzweifelte Spieler etc. u die Marmelade von Caffé schlechten Bier, Ente u Ertapfeln mochte auch beitragen. Gestern erzählte ich diesen Vorfall dem G. R. Welper: kaum in der Hälfte sagt Er: ein Mondsüchtiger; auf diesen verständigen Gedanken war ich in jener Nacht, bei allen Grübeln nicht gerathen; Sonnabend den 17t musten wir um 2 Uhr aus dem Bett punct 3 Uhr auf den Wagen, es war dunkel ein Mann war als Wegweiser bestellt, der voran lief, es war kalt u wir froren, es regnete mit unter; mein surtout war die douilletto. Nun erzählte H. v. Schack das Gestern Abend Vorgefallene sei Rückkehr einer Jugend Krankheit, er habe nicht gewust, wo Er sei, u wer der Mann im Bette. Mich habe er nicht gekannt: Um 8 ½ Uhr waren wir in Jüterbock hier wurde gefrühstückt, Caffé u. Buttersemmel die Kirche im Innern besehn. Tezels Kasten etc. worin die Päbstlichen Indulgenzen waren, welche die Reformation veranlasten.
|Um 3 Uhr waren wir in Beelitz, Caffé u Buttersemmel war unser Diner. Hier hatte ich meinen Palmenstock stehen lassen u deshalb von Wittenberg an den Wirth geschrieben. Ja, sagte dieser: wer weis wo der Stock hingekommen, kam dann bald danach, u überreichte mir mein verloren geglaubtes, pièce d’affection! Hier fuhr H. v. Schack seitwärts zu einem Verwandten. Die Rechnungen unterwegs bezahlte er so, das ich nicht dazu kam, der Pferde oder Kutschers Theil mitzubezahlen, u letzteren schenkte ich 3 Thaler. H. v. Schack hat Frau u 6 Kinder. um 4 Uhr hatte ich Chaise u ExtraPostPferde u machte die 3 Stationen bis Berlin in nicht vollen 5 Stunden. Die Chaise allein kostete mir 1½ Thaler. Nun hätte ich können zu den Eltern fahren, aber Müdigkeit machte die Sehnsucht rege: in Ruhe zu kommen. Mein Bruder kam um 10 Uhr, zog aber sogleich ab, wie Er mich zu Hause sah. Sontag den 18t Früh um 7 Uhr, war ich bei der lieben Mutter im Garten, wo ich das Frühstück nahm unsere Kinderchen sah u die Kleine bewunderte, die gantz so attachirt war, als wär ich nicht weggewesen – wogegen sie die Louise nicht kennt u sich sträubt. Die Kinderchen gedeihen u freuen sich ihres Lebens. Wir sind alle gesund mein Schnupfen läst nach – das Haus u der Garten sind in Ordnung, meine jungen Leute fleissig. Schwager Wolf Ferber ist ausgeblieben.
Die andern Familienangelegenheiten schreibt wahrscheinlich die Mutter u ich lebe in der frohen Erwartung Dich bald wieder zu haben! Dein Schadow Berlin den 22 august 1822.
Editorial
Summary
persönliche Mitteilungen über seine Erlebnisse bei der Rückreise von Dresden nach Berlin; erwähnt, dass er beim Hinausgehen aus der Hofkirche C. M. v. Weber getroffen und kurz gesprochen habe.
Incipit
“In der Voraussetzung das Du meine geliebte Seele!”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz