Korrespondenz-Nachrichten Dresden, 13. September bis 6. Oktober 1817

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Dresden. Am 13ten Sept. gab die italien. Gesellschaft Winters Il sacrificio interrotto. No. 2, S. 28 dieses Jahrg.s haben wir schon über diese Musik selbst, und über ihre hiesige Aufführung gesprochen. Wir setzen blos hinzu, dass diese Oper diesmal noch besser ausgeführt wurde, als damals, wenn man die Choristen ausnimmt, welche nicht nur völlig detonirten, sondern auch in einem Chore des 1sten Aufzugs aus dem Rhythmus kamen; was selbst dem gemischten, und diesmal sehr zahlreichen Publicum höchst widrig auffiel. In der Rolle der Myrha trat, nach einem Zeitraume von acht Monaten, Dem. Karoline Benelli zu unserm Vergnügen wieder auf. Sie hat seit jenem ihrem ersten Auftreten beträchtliche Fortschritte gemacht; wie das, bey ihren Talenten und ihres Vaters Unterricht, wol zu erwarten war. Ihre Stimme fanden wir jetzt voller; sie sang auch schwere Stellen mit Festigkeit, Biegsamkeit, Haltung und Sanftheit; ihre Declamation zeugt von Gefühl und sehr guter Schule; ihre Action ist natürlich, ihre Gesticulation gefällig und stets angemessen. Wenn sie unermüdet, wie bisher, in ihren Studien fortfährt, und öftere Ge¦legenheit findet, sich auf der Bühne zu üben, so wird sie gewiss eine ausgezeichnete Künstlerin. Jedes von ihr gesungene Stück wurde mit lautem Beyfalle beehrt: das muss ihr sehr zur Aufmunterung, so wie ihrem geachteten Vater zur Freude dienen. Frau von Biedenfeld sang ihre grosse Bravour- Arie mit festem Tone und Präcision; sie erhielt den verdienten, allgemeinen Beyfall. Am 20sten September wurde dieselbe Oper eben so präcis und beyfällig wiederholt. Dem. Benelli sang noch besser, als am ersten Abend, weil sie weniger schüchtern war. Hr. Benelli sang und declamirte die Scene im Gefängnisse im 2ten Aufzuge, wie einem erfahrnen Meister zukömmt. Hr. Benincasa, als Mafferu, zeichnete sich, wie gewöhnlich, sehr vortheilhaft aus: er ist ein Liebling des Publicums. Hr. Tibaldi gefiel als Pedrillo.

Am 25sten gab die deutsche Gesellschaft zum erstenmale die komische Oper, die vornehmen Wirthe, aus dem Französ., mit Musik von Catel. Diese angenehme, dem komischen Inhalte ganz angemessen geschriebene Musik gefiel recht sehr. Der Componist nähert sich darin, so weit einem Franzosen möglich seyn mag, dem italien. komischen Styl, und offenbar mit Glück. Die anziehendsten Stücke schienen: ein Duett zwischen Pauline und Villeroi, ein sehr angenehmes Terzett, und beyde Finalen, deren zweytes einen ausdrucksvollen, mit Begeisterung und grosser Kunst geschriebenen Ausgang hat. Viele Stellen dieser Musik sind aber aus andern Werken entlehnt; indess, da sie gut angebracht sind, so schaden sie wenigstens der guten Wirkung nicht. Das Gedicht ist unterhaltend, und der Stoff sehr gut bearbeitet und geordnet; auch gab man fast allen Theilen der Oper allgemeinen Beyfall. Hr. Bergmann als Ritter Villeroi, war zu kalt für einen gefühlvollen Liebhaber; ein guter Schauspieler kann diese sehr schöne Rolle sehr heben und anziehend machen. Hr. Wilhelmi zeichnete sich, als Marquis, vortheilhaft aus; er war, wie er seyn sollte, munter und drollig in Naivetät. Das Publicum erkannte und belohnte es. Hr. Burmeister, als Gouverneur, spielte sehr gut. Mad. Sandrini, obgleich sie, seit den 9 Jahren, wo sie vom prager Theater abging, nicht in deutscher Sprache gesungen hatte, die in Aussprache und Declamation für Ausländer so schwer ist, erfreuete doch, als Pauline, Jedermann. Sie sprach selbst deut¦licher aus, als manche Deutsche; wenn auch die Ausländerin bemerklich blieb. Zugleich spielte und sang sie allerliebst. Hr. Metzner gab den Wirth, und Dem. Emilie Zucker seine Frau sehr gut. Dem. Julie Zucker, die Wirthstochter, zeigte viel Fleis, Unbefangenheit und Anmuth im Spiel und Gesang. Hr. Genast war Charlot, Hr. Gerling Dutreillage. Letzter, ein geborner Komiker belustigte alle Zuschauer. Er ist nun bey der deutschen Gesellschaft angestellt. Er und Hr. Boesenberg, als Gerichtsschreiber, machten in einer Scene gegen das Ende der Oper durch ihr komisches Spiel grosses Vergnügen. – Die umfassende Einsicht und grosse, immer zweckmässige Thätigkeit unsers trefflichen Kapellm.s, K. Mar. von Weber, zeigen sich in ihren guten Wirkungen immer mehr. So hört man z. B. vom Orchester die grösste Genauigkeit im Piano und Forte und in den Uebergängen von Einem zum Andern; in der Einheit auch bey den schwierigsten Stellen etc. Das Publicum legte seine Freude darüber diesmal durch lauten Beyfall nach der Ouverture und nach geendigter Oper an den Tag. Die Decorationen waren sehr schön und der Stücke angemessen; das Costume versetzte wirklich durchaus in die Zeiten Ludwigs XIV. Die Direction verdient dafür unser aller Dank; so wie ihn dafür, dass alles in der schönsten Ordnung von statten ging, und Schauspieler und Statisten sich allemal auf ihrem Platze befanden, Hr. Hellwig, als Regisseur, verdient. Auch müssen wir den geschickten Flötenspieler, Hrn. Steudel loben, welcher zwischen dem 2ten und 3ten Aufzuge uns ein treffliches Solo hören liess. Er besitzt auf seinem Instrumente einen herrlichen, sehr zarten Ton, bläst mit vieler Fertigkeit, Präcision, und schönem Ausdruck. Er fand grossen Beyfall.

Den 4ten Oct. gab die italien. Gesellschaft zum erstenmale die Oper: Le Lagrime d’una Vedova, von P. Generali. Bey ihrer ersten Entstehung war diese Oper eine Farse: um sie aber zu verlängern, schaltete man verschiedene Stücke ein und theilte sie in in zwey Aufzüge. Diese unangenehme Ausdehnung brachte aber das Stück selbst um seinen Sinn. Es ist ohnehin nicht sehr interessant: nun wurde es dies noch weniger, so wie auch die Composition dadurch zu einem bunten Gemisch von Musik, zu einem Potpourri wurde. Mehre Stücke des Compositeurs indess sind lieblich, von gutem Gesange und ¦ Geschmack: nur etwas schwach und ohne viel Leben ist das Ganze geschrieben. Ermelindens Arie in Es dur im 1sten Aufzug, worin sie den Verlust ihres Gatten beklagt, ist gut gesetzt und anziehend, obgleich die Idee nicht neu. Das Duett zwischen dem Grafen Ferrando und Ermelinden, welches sich in ein Terzett endigt und den 1sten Aufzug beschliesst, ist gut, mit schönem Gesange geschrieben, und gefällt daher. Das Stück des 2ten Aufzugs, wo Ermelinde schnell die Worte: io non vò da alcun la morte in Musik spricht – die Anfangs pathetisch war und dann in einem graziösen Motive folgte – ist eine neue Idee des Meisters, und man hörte sie mit Vergnügen, weil sie auch von der Sängerin und dem Orchester schön vorgetragen wurde. Von den eingelegten Stücken interessirte eine Cavatina vom Hrn. Franz Schubert, unserm Kirchen-Compositeur, am meisten. Sie ist mit Kunst, Geschmack und guter Laune geschrieben. Bey alle dem scheint jedoch dieser musikal. Mischling hier eben nicht viel Glück zu machen. Mad. Sandrini, als hochbetrübte Wittwe, war sehr interessant; von ihrem Gesang heben wir das eben erwähnte Parlante musicale aus. Graf Alberto, eben keine interessante Person, gelang Hrn. Tibaldi; auch sang er seine Arie im 2ten Aufzuge gut. Hr. Ricci zeigte, als Graf Ferrando, dass er sich aufs Spiel keineswegs versteht: die schöne Scene vor dem Duett des 1sten Aufzugs, womit das Finale schliesst, ging ganz verloren. Hr. Benincasa zeichnete sich in der Rolle des Arztes sehr aus; er spielte sehr natürlich, launig und wahrhaft komisch; auch sang er mit seiner schönen Stimme und vieler Präcision vorzüglich die vom Hrn. Schubert gesetzt Cavatine, und erhielt grossen Beyfall. Hr. G. Sassaroli, als Aristippo, stellte den komischen Charakter gut dar; Schade ist es, dass seine Stimme, wenn er sie anstrengt, in einigen Tönen widrig wird. Endlich that Dem. Hunt als Kammermädchen ihr Möglichstes.

Am 6ten wiederholte die deutsche Gesellschaft: die vornehmen Wirthe von Catel. Das Schauspielhaus war sehr voll und das Stück wurde mit nämlichen Vergnügen, wie bey der ersten Vorstellung, aufgenommen. –

Am Sonntage, den 28sten Sept. trat unser K. Maria von Weber seinen Posten als königl. Kapellmeister in der katholischen Hofkirche an*, und jeder der Künstler, aus denen unsere Kapelle ¦ besteht, freut sich über diese schöne Errungenschaft für die Kunst. Er dirigirte zum erstenmale eine schöne Messe von Schuster, welche ein treffliches Ganze bildet, und mit Dank aufgenommen wurde. Unser Sopranist, Hr. Sassaroli, sang in bester Stimmung, und seine schöne, starke, für diese Kirche einzige Stimme zeigte sich in einem Solo äusserst vortheilhaft. – Am 29sten dirigirte der Hr. v. Weber eine neue, von unserm Violoncellisten, Hrn. Dotzauer, componirte Messe, welche aus folgenden Ursachen keine grosse Wirkung in unsrer Kirche hervorbrachte. Erstlich sieht man, dass der Componist noch nicht mit sich einig darüber ist, welcher Styl und welche Figuren erforderlich sind, um in dieser grossen Kirche, die ein starkes Echo hat, eine gute Wirkung hervorzubringen. Zweytens ist seine Musik hart, oft trocken, unmelodisch und gesanglos. Drittens hatte er nicht gehörig überlegt, was für ein Unterschied es ist, für Vocal- und für Instrumental – Musik zu schreiben. Für Quartett- und Concertmusik mochte Manches, wie es nun dastand, gut seyn: nicht aber für Gesang und Kirche. Diese seine Fugen gut auszuführen, möchte wol unmöglich seyn; ihr Inhalt ist zu sehr in Figuren gezwängt und zerstückelt, die Gänge sind schnell und ohne Gesang etc. Viertens waren die Ritornelle zu lang und zu unwirksam. Alles das hinderte die gute Wirkung und brachte bey den Zuhörern etwas Langeweile hervor. Wir wollen diese Musik nicht Stück für Stück analysiren; es wird, nach diesem, nicht nöthig seyn: der Compositeur aber wird uns unsere Wahrheitsliebe hoffentlich zu Gute halten. Dass wir dies Werk nicht loben konnten, that der Achtung keinen Eintrag, die wir sonst für seine Kenntnisse und Geschicklichkeiten in der Musik haben. Unser Urtheil möge ihn veranlassen, in Zukunft zu vermeiden, wodurch er diesmal, nicht aus Mangel an Kenntnissen, sondern aus Mangel an Uebung, gefehlt hat.

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Albrecht, Veit

Tradition

  • Text Source: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 19, Nr. 44 (29. Oktober 1817), col. 745–760

    Commentary

    • “… in der katholischen Hofkirche an”Weber trat seinen Dienst in der Hofkirche bereits am Tag vorher an, vgl. TB.

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