Korrespondenz-Nachrichten Dresden vom 1. Januar bis 21. Januar 1818
Dresden. Unser Theater wurde im neuen Jahre von der italien. Gesellschaft mit zwey Farsen, mit Adelina von Generali, und L’Inganno Felice von Rossini, eröffnet. Von der ersten ist schon im vorigen Jahre, in No. 23, S. 396 dies. Zeit. gesprochen worden; auch sagten wir da, dass diese Farse – die damals eine Oper in zwey Aufzügen verwandelt worden, weil man mehre andere Stücke eingelegt hatte – zu einem, für Hrn. und Mad. Weixelbaum sehr günstigen Debut benutzt worden war; welche beyde Künstler, wie wir gleichfalls gemeldet, unter sehr vortheilhaften Bedingungen hier engagirt wurden, nunmehr aber doch, der von ihnen unterzeichneten Contrakte ungeachtet, in Karlsruhe bleiben.
Gedachtes Stück hatte diesmal nicht das Glück, wie damals; weswegen man es auch nach der zweyten Vorstellung nicht mehr gab, sondern an seiner Stelle Le donne cambiate von Pär, in einem Acte. Nie war das Theater so leer, als in der ¦ armen Adelina, welche bey der zweyten Vorstellung zuletzt folgte. Dies konnte auch kaum anders seyn. Mad. Sandrini übertraf im Spiel Mad. Weixelbaum sehr, aber im Gesange was gar mancher Unterschied. Die eingelegte, ungemein schöne Cavatine von Weigl erkannte man nicht mehr; anstatt eines Larghetto, wie sie Mad. W. sang, machte sie die Mad. S. zum Allegro, wodurch die Wirkung des Gesanges und der Haltung verloren ging. Jedermann wird die Ursache davon in der mindern physischen Kraft der Mad. S. suchen, welche in einem Cantabile nicht ausdauert; aber jeder Künstler würde auch die Bemerkung machen, die Mad. S. nicht gemacht hatte, dass sie, weil sie die Debütierende nicht übertreffen konnte, dies Stück hätte weglassen sollen, zumal, da es eigentlich nicht hieher gehört und von einem andern Verf. ist. Hrn. Ricci, der im der Rolle des Erneville Hrn. Weixelbaums Stelle vertrat, wollen wir mit dem Mantel der christlichen Liebe bedecken.
L’Inganno felice, obgleich noch aus der Periode künstlerischer Thätigkeit Rossini’s, wo er erst die Schule des Meisters, Pater Mattei, verlassen und aus Bologna abgegangen war, und obgleich ein leichtes musikal. Werkchen, bietet doch liebliche und glänzende Motive, welche zwar wie ein Sommerwind wieder verschwinden, jedoch das früh aufspriessende Genie und die Begeisterung des jungen Meisters an den Tag legen. Wir wollen uns nicht auf eine lange Auseinandersetzung dieser Composition einlassen; genug, man findet im Gesange viel Melodie, aber auch viel schlechte Haltung in der Harmonie. Einige anmuthige Stücke haben unsern, so wie auch des ganzen Publicums ausgezeichneten Beyfall erregt. Darunter gehört auch die Overtura, von welcher wir aber zu anderer Zeit sprechen werden, weil sie zu der Oper Elisabetta von demselben Verf. gehört. Die Tenor-Arie in A dur: Qual tenero contento – hat wahrhaft melodischen Gesang und der Sänger kann sich auszeichnen, wie dies bey Hrn. Tibaldi auch der Fall war. Die nicht wenigen Verzierungen derselben sind vom Verf. selbst mit Grazie und in schöner Manier geschrieben. Hr. Tibaldi verdiente und erhielt hier Beyfall. Uebrigens würden wir ihm aber rathen, sich des Falsett-Singens zu enthalten, weil man, wenn er mit seiner natürlichen Stimme singt, mehr Melodie hört und der Eindruck angenehmer ist. – ¦
Das Duett der beyden Buffi, das sehr angenehm, komisch und theatralisch geschrieben ist, wurde von den Hrn. Benincasa und G. Sassaroli gut ausgeführt; erhielt auch allgemeinen Beyfall. Das Terzett ist ein schönes Stück, aber im Allegro fühlt man einen Anstoss, sowol in der Melodie, als im Totaleffect, welcher zeigt, dass ein Fehler in der Harmonie ist; etwas nicht Seltenes bey diesem Tonsetzer. Die von Mad. Sandrini, als Isabella, gesungene Bass-Arie machte bey der ersten Vorstellung nicht den erwarteten Eindruck: natürlich! Mad. S. war vom vielen Singen in der Adelina schon ermüdet: bey der Wiederholung jener Farse führte sie das Stück weit besser aus und gefiel mit Recht. – Diese Musik zeichnet sich übrigens durch viele Reminiscenzen aus. In einem Allegro findet sich ein ganzer Gang von vielen Takten, sowol in den Orchester-, als in den Singstimmen, der auch im Marcantonio von Pavesi stehet. Welcher der beyden Herren den andern mitgenommen hat, ob Rossini den Pavesi, oder dieser jenen, wissen wir nicht. Im Ganzen scheint uns Generali’s Adelina, Rossinis l’Inganno vorzuziehen: das Gedicht ist interessanter, in der Harmonie mehr Ordnung, in den Charakteren mehr Haltung, in der Declamation mehr Stärke und Gefühl.
Am 8ten und 15ten führte die deutsche Gesellschaft die Oper Helene in drey Acten, nach Bouilly von Treitschke, mit Mehuls Musik, auf. Ob wir schon im vorigen Jahre, No. 24, S. 407*, darüber gesprochen haben, als Hr. u. Mad. Weixelbaum darin auftraten: so mögen uns doch noch einige Bemerkungen darüber erlaubt seyn. Ueber die Composition würden sie unnöthig seyn; ausser, über zwey neu eingelegte Stücke: eine Cavatine im ersten Act, und eine Scene und Arie con C. Mar. v. Weber. Jene, deren Verfasser uns unbekannt, ist ein interessantes, melodiereiches, edel gehaltenes Cantabile, mehr im Style der ältern, als neuesten Meister, ohngefähr Piccini’s oder Sacchini’s u. Aehnlicher, deren Werke J. J. Rousseau les Sanctuaires de l’harmonie nennt. Es zog die Aufmerksamkeit und Theilnahme aller Zuhörer auf sich; welches auch mit der schönen, ausdrücklich für diese Vorstellung componirten Scene und Arie von Webers der Fall war. Dieses Stück ist von jenem ganz verschieden: Handlung und Situation sind es aber auch. Es ist originell, sowol in der Declamation, als in ¦ den melodiereichen Motiven; voll Ausdruck, wahrhaft charakteristisch, und durch wohlbedachte Mannigfaltigkeit kunstreicher Gänge und Modulationen sehr anziehend. Die Declamation des Recitative kann für die Stimmung Helenens nicht sprechender seyn; vorzüglich in der Stelle: Nein! Nein! O Gott, du lässt (lässest) es nicht vollbringen! dein mächt’ger Arm zerreist der Bosheit Schlingen. Nach Beendigung der Cadenz des Recitativs, von G in C dur im zweyten Takte, fällt der Bass von einem Accorde in im dritten Takte und und bildet eine Cadenz im vierten Takte, nämlich um in A moll zu kommen. Diese richtigen, schön erfundenen und melodischen Accorde bringen eine überraschende und rührende Wirkung hervor, und führen mit Klarheit zu jener letzten Tonart, worin das schöne Andante gesetzt ist. Trefflich ist dieser originelle, und ausdrucksvolle Gesang. Das Allegro schliesst sich mit dem Grund-Accorde an; die Harmonie wächst mit Forte auf dem 2ten Viertel, den Worten gemäss: B: sie hält in dann geht sie mit einer Modulation in F Dur über; nach einem Diatonico des Orchesters erhält der Gesang die Harmonie des D moll, und die Stimme allein circulirt, um in G dur zu kommen, und im C dur die Worte auszudrücken:
was von innig ergreifender Wirkung war. Es sind noch viele eben so eigenthümliche und eindringliche Stellen darin, die wir nur beym blossen Anhören nicht so bestimmt aufzufassen im Stande gewesen sind; besonders ist die, mit dem beharrlich fortgeführten Basso colorito zu den ¦ Worten: O dann sey an seiner Stelle u. s. w. durchaus meisterhaft. – Diese beyden schönen Gesangstücke trug Dem. Benelli vor, welche in der Rolle der Henele, zum erstenmale auf der deutschen Bühne auftrat. Diese Rolle ist für ein so junges, munteres Mädchen wol um so schwieriger, da sie nicht nur durchgängig sentimental ist, sondern auch sich ganz in Gefühlen der Gatten- und Mutterliebe bewegt. Nichts desto weniger stellte sie, im Gesang und Spiel – einige Schüchternheit beym ersten Auftreten abgerechnet – gar lieblich und innig, zur Freude aller Anwesenden dar, und fand ausgezeichneten Beyfall. Sie spricht übrigens auch die deutsche Prosa des Dialogs deutlich, und ihr sonores Organ macht auch da einen angenehmen Eindruck. Mit Vergnügen vernehmen wir, dass sie von der Direction des königl. Theaters mit einer guten Besoldung angestellt worden ist. – Hr. Wilhelmi war Constantin; Hr. Hellwig als Pachter Moritz, zeichnete sich als Schauspieler aus. Die Chöre wurden gut ausgeführt, wofür wir Hrn. Metzner, als Director derselben, danken. Er scheint sich um dieselben überhaupt rühmlich zu bemühen.
Am 14ten, 17ten und 21sten wurde la Vestale von Spontini wiederholt. Dies effectvolle, in seiner Art meisterhafte Stück hat, wie oft es auch hier gegeben worden, stets die lebhafteste Theilnahme des Publicums gefunden: diesmal schien dies aber von demselben wahrhaft entzückt. Auch konnte man die Ausführung, sowol von Seiten der Singenden, als des Orchesters, wol kaum vollendeter wünschen; zunächst eine Folge der das Ganze vollkommen durchdringenden, lebendigen und belebenden, auch ganz einmüthigen Anführung und Leitung der Herren, von Weber und Polledro. Wir glauben geradehin behaupten zu können: die Tempi sind nie so ganz dieser Gattung gemäss durchgeführt worden, und das Orchester hat diese Musik nie so vollkommen vorgetragen. So hat uns auch Mad. Sandrini, als Schauspielerin, in dieser Rolle noch nie so befriedigt: als Sängerin kann sie durch die Menge der Instrumente freylich nicht so durchdringen, wie die gellenden Stimmen der Französinnen, für welche die Julia geschrieben ist. Auch die Uebrigen führten ihre Partien mit rühmlicher Uebereinstimmung aus; und glauben wir nur noch mit einem Worte Frau von Biedenfeld (Oberpriesterin) durchgängig im Gesang, Hrn. ¦ Benelli (Licinius) im Spiel und im Vortrag der leidenschaftlichern Gesangstellen; Hrn. Benincasa im Gesang und Spiel auszeichnen zu müssen. Bey der ersten Vorstellung entstand im Chore des 1sten Acts in D dur einige Unordnung. Die Schuld lag nicht an den Choristen, sondern an der jungen Vestalin. Da aber in den folgenden Vorstellungen alles gut ging, und man von Anfängern nicht zu viel verlangen muss: so wollen wir davon nicht viel Redens machen. Uebung wird auch jene Vestalin weiter bringen.
Editorial
Summary
Aufführungsberichte Dresden
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Blümer, Simon
Tradition
-
Text Source: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 20, Nr. 7 (18. Februar 1818), col. 132–137