Bericht aus Dresden

Show markers in text

Correspondenz.

Dresden, im December 1823.

Unsre Bühnenlust ist bisher sehr mäßig gewesen. Das dreiköpfige Regiment, wie man die jetzige Organisation der Regie durch die Schauspieler Helwig, Julius und Werdy nennt, ist nicht sehr productiv. Wohl mochte sich der in seinen liberalen Gesinnungen und Anordnungen wahrhaft preiswürdige Generaldirector der Bühne, Geh. R. v. Könneritz, bei dieser Einrichtung die ersprießlichsten Folgen gedacht haben, indem ein löblicher Wettstreit zwischen den drei Regisseurs auch für den Genuß des Publicums die schmackhaftesten Früchte tragen mußte. Allein der Baum hat bis jetzt weder Blüthe noch Frucht, so recht von innen heraus hervortreiben wollen. Das für ein so schaulustiges und zahlreiches Publicum, wie das Dresdner ist, viel zu kleine Theater ist freilich stets voll. Allein das ist nur um so schlimmer. Denn nun werden nur zu oft dieselben längst verbrauchten Stücke wieder und wieder gegeben, während viel bessere, worauf sich das Publicum schon lange freuete, und die stets gern gesehen werden, immer zurückbleiben müssen. Dafür macht nun die Stimme des Publicums mit Recht die Regie allein verantwortlich, da die Direction gewiß stets den besten Willen hat, auf alles einzugehn. Das ganze Personal der deutschen Bühne ist so zahlreich, daß allerdings, selbst bei der unvermeidlichen Schwierigkeit, die durch den Mangel des Platzes bei den Proben entsteht, immer zwei bis drei Stücke zugleich in Scene gesetzt oder neu einstudirt werden könnten. Dieß geschieht aber aus Bequemlichkeit fast nie. So hätten in den sechs Wochen, wo Shakspeare’s Romeo und Julie, von Tieck für unsre Bühne bearbeitet, einstudirt wurde, von dem dabei nicht betheilten, oder nur mit kleinen Rollen versehenen Personal noch zwei andre Stücke in voraus studirt werden können. Wo solche Kräfte unbenutzt schlum|mern, ist der Mangel doppelt empfindlich. Einen unersetzlichen Verlust hat unsre Deutsche Bühne durch Unzelmann’s Abgang nach Wien erlitten. Eine große Zahl von Lustspielen und Operetten ist dadurch zerrissen, und die an seine Stelle treten, haben es mit der Ungunst der Zuschauer zu thun. Wilhelmi hat viel guten Willen und zerarbeitet sich in seinen Rollen entsetzlich. Aber es fehlt ihm durchaus an Talent, zu gestalten. Die beiden Geilinge, Vater und Sohn, sind doch nur Aushelfer in der Noth. Keller, sonst brav, hat keine Ader von wahrer comischer Darstellung. Erhält unsre Bühne nicht von dieser Seite einen nahmhaften Succurs: so steht das herzerfreuende Lust- und Singspiel bei uns nur auf Einem Fuß. Man hoffte, unser trefflicher Maria v. Weber, der für seine neue Composition eines hochcomischen Singspiels, die drei Pintos von Theodor Hell, durchaus eines ächtcomischen Sängers bedarf, würde bei seiner letzten Kunstreise aus Wien oder Prag ein neues Subject mitbringen. Allein da steht die unserm Ohr so auffallende Oesterreichische Aussprache im Wege. Uebrigens war Unzelmann hier selbst durch goldne Ketten nicht festzuhalten. Und wenn man den ganzen Mann vom Scheitel bis zur Fußzehe vergoldete – was sein einziges Talent wohl werth wäre, – die Vergoldung wäre doch nicht von Dauer. – Wir hofften, Maria v. Weber’s Euryanthe, dieß in Wien so hoch gepriesene und wieder so gehässig angefeindete, aber gewiß höchst geniale Product eines in seinen Mitteln unerschöpflichen Meisters, würde uns noch vor dem Schluß der Bühne in den letzten zwei Adventswochen zu Theil werden. Auch war schon 14 Tage lang Probe dazu gehalten worden. Plötzlich aber erklärte sich unsre erste Sängerin, Mad. Devrient (vormalige Minna Schröder), ganz unvermögend, der Hauptrolle der Euryanthe selbst Gnüge leisten zu können, indem ihre Schwangerschaft schon zu weit vorgerückt war. Wir dürfen uns aber, wenn gegen Ostern hin das Stück endlich doch hervortritt, durch das vereinte Talent der Devrient und Dlle. Funk, welche die in Gesang und Spiel eben so dankbare Rolle der Eglantine übernommen hat, unter des Meisters eigner Aufführung einen großen Genuß versprechen. Die Funk singt jetzt auch die ersten Rollen in der Italiänischen Oper, und hat besonders in Morlacchi’s Gioventù d’Enrico und in Rossini’s Mose durch ihren Gesang und neuerlich auch viel lebhafteres Spiel allgemein gefallen.

Ueber die wahrhaft gelungene Vorstellung von Julie und Romeo, worin insbesondere unsere Schirmer in Lebendigkeit und Wahrheit des Spiels ihre unbestrittene Kraft als Meisterin bewiesen hat, muß man Tieck’s geistreiche Critik in der Abendzeitung lesen. Wir unterschreiben jedes Wort darin, bis auf die Critik über den wackern Schauspieler Burmeister, der den Capulet nicht vornehm genug gespielt haben soll, ob er gleich den lautesten Beifall ärndtete*. Was könnte Tieck für unsere und die Deutsche Bühne überhaupt thun! |

Ein Schauspieler, Pauli, ist jetzt mit Recht der Liebling des Publicums. Rollen, worin er als Bösewicht oder in comischer Verzweiflung, in gewaltiger Verlegenheit die volle Kraft seines vielgestaltenden Talents entwickeln kann, gelingen ihm vortrefflich. Dabei gehört er zu den wenigen Künstlern, die sich nie genügen, die stets ein höheres Ziel sich setzen. Auch Devrient könnte der Liebling des Publicums seyn, da ihm die Natur die wünschenswerthesten Ausstattungen zum Liebhaberfach gab. Allein er ist mit sich selbst nicht einig und zu unstät. Wer nach vielen Kränzen zugleich greift, hält keinen fest! Eine junge Schauspielerin, Frau v. d. Klogen, die im vorigen Jahr vom Hamburger Theater zu uns kam, würde wohl auch noch zu vielen andern Rollen, als zur Preciosa, die nur sie hier spielen kann, zu brauchen, und in allen eine sehr angenehme Erscheinung seyn, wenn sie nicht anderen, von der Regie vielleicht zur Unzeit begünstigten Schauspielerinnen zu oft nachstehn müßte.

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler
Korrektur
Eveline Bartlitz

Tradition

  • Text Source: Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode, Jg. 39, Nr. 2 (Januar 1824), pp. 13–15

    Commentary

    • “… gleich den lautesten Beifall ärndtete”Abend-Zeitung, Desden, Jg. 7, Nr. 289 (3. Dezember 1823), S. 1156, Nr. 290 (4. Dezember 1823), S. 1160, Nr. 291 (5. Dezember 1823), S. 1164, Nr. 292 (6. Dezember 1823), S. 1168, Nr. 293 (8. Dezember 1823), S. 1172, Nr. 294 (9. Dezember 1823), S. 1176, Nr. 295 (10. Dezember 1823), S. 1180 (hier die Kritik zu Burmeister), Nr. 296 (11. Dezember 1823), S. 1184, Nr. 297 (12. Dezember 1823), S. 1188.

      XML

      If you've spotted some error or inaccurateness please do not hesitate to inform us via bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.