Notiz über Weber in London
Notiz.
Maria von Weber in London.
Natürlich sind alle englische Blätter voll von Schilderungen seines Aussehens, seiner Manieren; ja selbst der schlaue Blick, der zum Lächeln verzogene Mundwinkel, als er zum ersten Mal ganz in den Hintergrund einer Loge zurückgezogen Coventgarden besuchte*, und dort das seltsame musikalische Potpourri im Rob Roy belauschte, ist ausgespäht und in den Tageblättern berichtet worden*. Man beeifert sich, ihn vom Scheitel bis zur Fußzehe, als gelte es einen Steckbrief, zu signalisiren. Man beklagt, daß sein seelenvoller Blick durch das Tragen einer Brille meist verdeckt sey. Aber sein schlichtes und doch feines Betragen erhält die größten Lobsprüche. ¦ His deportment, heißt es im Examiner, is gentlemanly and remarkably unassuming.
In allen Blättern, welche einen sogenannten Modenspiegel, Mirror of fashion, oder ein enge Spalte für den Chitchat, das Tagesgeschwätz haben, ist von einer großen Gesellschaft die Rede gewesen, welche der reiche Marquis von Hertford Webern zu Ehren veranstaltete, und worin er zur größten Zufriedenheit vor der zahlreichen Gentry, die hier in voller Pracht erschien, einiges auf dem Piano vortrug. Ja, man hat sich selbst mit dem Barbier des Gastherrn in Einverständniß zu setzen gesucht, und herausgebracht, daß er für diesen musikalischen Abend 50 Guineen erhalten habe!*
Schon waren die Proben von Weber’s Oberon in vollem und wahrhaft gedeihlichem Gange. Alle Sänger waren mit dem größten Eifer erfüllt. Der in ganz England gefeierte Braham, der die Partie des Hüon vorzutragen hat, läßt nicht ab, den Meister zu bestürmen, daß er für ihn noch eine große Arie im ersten Akt setze, die mit der von der Agathe im Freischütz (der alle Brittinnen stets den Kranz reichten) wetteifern müsse, und Weber that, was er einem solchen Virtuosen, dem Pfeiler des Operngesangs, nicht verweigern konnte*. Es waren zur Vervollkommnung des Orchesters noch viele ausgezeichnete Talente blos für den Oberon in Requisition gesetzt worden. Man berechnete, daß spätestens den 10. April die erste Aufführung des Oberon Statt finden könne. Da erkrankte plötzlich das einzige Kind der Miß Paton, der ersten Sängerin, die Masern schlugen zurück, das Kind starb, und die trostlose Mutter vergrub ihren Schmerz auf den Landsitz ihres Gemahls (eines englischen Lords, der mit ihr wirklich vermählt ist, diese Vermählung aber noch nicht öffentlich erklärt, und gar nichts dagegen einzuwenden hat, daß die gefeierte Sängerin auch noch durch ihre Zauberkehle gefalle und ein schönes Nadelgeld sich erwerbe). So lange nun diese nicht wieder zu den Proben kommen kann, muß die Opern selbst aufgeschoben werden. Wer kann aber den Schmerz einer englischen Mutter nach Tagen und Stunden ermessen, und seine Dauer im Voraus bestimmen? Doch hoffen die öffentlichen Blätter, daß die Aufführung gegen den 20. April sich gestalten könne. Dem Unternehmer, Charles Kemble, ist dies um so unangenehmer, als nun auch die Intermezzi oder Vorspiele aus dem Freischütz*, wo sie die Agathe singt, nicht ergänzend eintreten können.
Dabei findet noch eine andere Störung Statt. Die Unternehmer des mit Covengarden wetteifernden zweiten großen Theaters, Drury-Lane, haben in aller Geschwindigkeit von einem gewissen Cooke auch einen Oberon zusammenstoppeln lassen, und führen ihn nun mit dem Spektakelstücke Benyowski* um die Wette Tag für Tag auf. Die Singstücke dabei werden nach allen‡ bekannten Kompositionen gesungen. So ist z. B. die Ouvertüre von Mozart. Es ist [ein] gar buntscheckiges, abgeschmacktes Machwerk, welches in allen englischen Blättern auch tüchtig mitgenommen wird. Indeß muß die Pracht und Herrlichkeit der Dekorationen, worin Drurylane stets excellirt hat, und schon um des großen Raumes willen noch Erstaunenswürdigeres leisten kann, als das beschränktere Coventgarden-Theater, dies alles ersetzen. Und so wird wenigstens die frivole Schaulust schon jetzt übersättigt. Der Sturm, bei welchem Hüon und Amanda ausgeworfen werden, gleicht wirklich einer Zauberei in furchtbarer Wahrheit. – Uebrigens bekümmert sich ganz London um Webers Gesundheitszustand, und die neuesten Nachrichten über denselben sind ungemein beruhigend. Der König war noch am 29. März sehr leidend. Er will Webern persönlich wohl. Man erwartet, daß er ihn, wenn er sich nur etwas leidlich befindet, nach Windsor berufen werde.
Editorial
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Frank Ziegler
- Korrektur
- Eveline Bartlitz
Tradition
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Text Source: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 26, Nr. 74 (17. April 1826), col. 599–600
Commentary
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“… (Aus Briefen aus London”U. a. liegen der Zusammenstellung Webers Briefe an seine Frau Caroline vom 23./24. März, 27./28. März und 29.–31. März zugrunde.
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“… einer Loge zurückgezogen Coventgarden besuchte”6. März 1826.
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“… des Operngesangs, nicht verweigern konnte”Neukomposition der Nr. 5 nach dem neuen Text „Yes, even Love“ zwischen 2. und 6. April.
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“… oder Vorspiele aus dem Freischütz”Gemeint sind die angekündigten weiteren konzertanten Darbietungen von Auszügen aus dem Freischütz; vgl. den Beitrag in derselben Zeitung, Jg. 26, Nr. 65 (4. April 1826), Sp. 528.
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“… nun mit dem Spektakelstücke Benyowski”Benyowski, or the Exiles of Kamtschatka, Oper nach Kotzebues Schauspiel von James Kenney (Libretto), wurde ab 16. März 1826 im Drury-Lane-Theatre gespielt.
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“allen”recte “alten?”