Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater, 1816

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Correspondenz-Nachrichten.

Prag. Das Pensionsinstitut für die Mitglieder der hiesigen Bühne ist nun fest gegründet, und unser menschenfreundliche Director Liebich, der durch jahrelang unermüdetes Bestreben – durch die größten Selbstopfer – und durch muthige Bekämpfung so mancher Hindernisse, rastlos an dem Werk seiner schönen Schöpfung arbeitet, hatte das selige Vergnügen, das Ziel seiner Wünsche und Anstrengung erreicht, und seine Schöpfung vollendet zu sehen.

Sämmtliche Mitglieder waren im Redoutengebäude versammelt; Sr. Durchlaucht Fürst Isidor Lobkowitz, als Praeses des Pensions-Institutes, und Intendant des Theaters, eröffnete die Feyerlichkeit mit einer schönen zweckmäßigen Rede, worauf Herr Anton Feiertag b. R. D. die mittelst höchstem Hofdecret vom 27ten Oct. 1814 und 19ten Oct. 1815 bestätigten Gesetze des Pensionsinstitutes vorlas, und die Mitglieder in Hinsicht des bereits bestehenden Capitals-Fond in Kenntniß setzte. Sodann wurden unter Beysitz Sr. Exzell. des Herrn Grafen von F. Jos. Wrtby, Hrn. Grafen Christ. Clamm Gallas, Herrn Grafen Franz Sternberg Manderscheid und Herrn Anton Feiertag b. R. D. von Seite der hohen Landesstände, so wie von Seite des Theaters unter Beysitz des Herrn Director Liebichs, und der ¦ drey ältesten Mitglieder als Ausschuß, nähmlich Herr Joseph Allram, Herr F. Rudolf Bayer, und Herr Ferdinand Polawsky, die dießfälligen Decrete an die betreffenden Mitglieder vertheilt.

Ruhig und kummerlos kann nun der Schauspieler und Sänger an dieser Bühne seinem gebrechlichen Alter entgegen sehen, seine Lebenstage sind vor Mangel geschützt, und sein Bestreben und Verwenden lohnt ihm, so wie dem Staatsbeamten, eine den erreichten Dienstjahren angemessene Pension. Mit Recht darf unsere Bühne, die unter den ersten Deutschlands ihren Rang behauptet, durch diese wohlthätige Einrichtung bey sich eröffnenden Fächern wieder auf brave Künstler zählen, die sich’s, wie ihre Vorgänger, zur Ehre rechnen werden, Mitglieder dieses erhabenenen Institutes zu seyn, und wenn Liebichs Gebeine längst modern, werden die spätesten Künstler, diesen Mann mit dem hohen Herzen als Schöpfer ihrer fest begründeten Existenz segnen.

Daß Herr und Mad. Grünbaum auf einer theatralischen Kunstreise sich befinden, enthaltet schon ein früheres Blatt. Madame Gervais, Sängerinn am Karlsruher Hoftheater befindet sich an unserem Theater seit einigen Wochen als Gast. Wir sahen sie als Emeline in der Schweizerfamilie, als Elise im Sargin, als Agnes im Agnes Sorel, als Aline in der Oper gleichem | Nahmens, als Donna Anna im Don Juan, als Marie im Blaubart und als Constanza im Wasserträger. Die Stimme dieser braven Künstlerinn hat einen großen Umfang, Reinheit, Praecision und gehörige Verbindung der Töne; ihr Vortrag ist höchst gefällig, und, woran es so mancher Sängerinn gebricht, die mit einer schön vorgetragenen Arie ihre ganze Pflicht gelößt zu haben glaubt – ihr Spiel ist vorzüglich brav und meistens gelungen.

So manche Sängerinn dürfte hier, wo, wir im Besitze einer Mad, Grünbaum, einer der ersten Künstlerinnen ihres Faches sind, einen schweren Stand haben, allgemein Genüge zu leisten, und es versteht sich von selbst, daß auch über Mad. Gervais die Meinungen und Urtheile getheilt sind. Langjährige Gewohnheit und gerechte Vorliebe für die eine, Reiz der Neuheit und gastfreundlicher Eifer für die andere, berühren sich kontrastirend. Indeß hat jede ihr eigenthümliches Verdienst, und man kann ohne partheyisch und ungerecht zu seyn, keine auf Kosten der andern beurtheilen. Mad. Gervais wurde nach jeder Vorstellung gerufen, und es ist nicht mehr als billig, dieser würdigen Künstlerinn, die uns einstweilen für Madame Grünbaums Abwesenheit schadlos hält, die Opfer unsers Dankes zu entrichten. Herr Karsten trat in einigen Rollen nicht mit bestem Glücke auf, und wir enthalten uns einer weitern Analyse hierüber. Sein Pudel, zum Hund des Aubri im Walde Mont Didier abgerichtet, veranlaßte die Direction, dieses Schauspiel zum ersten Mahle aufs Repertoir zu bringen. Die Vorstellung und ihre Wiederhohlungen füllten Haus und Cassa; der gewöhnliche Fall solcher Spektakelstücke. Mad. Liebich als Gervais, Mlle. Brand als Elvi verdienen einer ehrenvollen Erwähnung. Es sind auch die einzigen Charaktere in dieser Ola-Potrida, die Interesse erwecken. Wie erbärmlich erscheinen der Seneschall und der Chevalier Gontram, und wir mußten den Kunstaufwand bedauern, den Herr Liebich für erstere, Herr Sewald für das zweyte Zerrbild verwendeten. Die Rolle des Macaire wurde durch Herrn Wilhelmi sehr gut gegeben. Dem Pudel, der bereits abgereist ist, wollen wir nichts schlimmes nachreden, um sein anderwär¦tiges Glück nicht zu schmälern; vielleicht gewöhnt er sich bey mehrerer Routine so einige Unvollkommenheiten ab, die er hier sich zu Schuld kommen ließ.

Herr Labes, Sohn des Sängers und Schauspielers am Berliner Hoftheater, gab als Gast den jungen Klingsberg, im Lustspiele die beyden Klingsberge. Dieser junge Mann hat eine schöne gefällige Gestalt, und dürfte, wenn er seine zu schnelle Sprache, die besonders im Affecte unverständlich wird, und sein manierirtes mit Gesticulationen zu überladenes Spiel ablegt, einst für das jugendliche Liebhaberfach sehr brav werden. Allgemeinen Beyfall erhielt Herrn Seewalds durchdachtes fein nüancirtes Spiel als alter Klingsberg, und rühmlich standen ihm zur Seite, Mad. Liebich (Gräfinn) Mad. Junghans (Wunschl) Mademois. Böhler (Henriette) Madame Sontag, Friedberg, und Herrn Löwe (Lieut. Stein.)

Die zweyte Gastrolle des Herrn Labes war der Philipp in Johanna von Monfaucon, worin er sich die bereits gerügten Unarten noch mehr zu Schuld kommen ließ, und noch minder behagte.

Mademois. Ritzenfeld, vom Berliner Theater, trat als Gast in der Talentprobe in der Rolle der Minna Waller auf. Herrn Gubitz hat es beliebt, das unter dem Titel: der „Beruf“ bekannte Lustspiel umzumodeln, und dem Kinde einen neuen Nahmen zu geben. Derley Metamorphosen sind im Lande der Deutschheit jetzt häufig an der Tagesordnung; aber das alte Gewand deckt unsers Erachtens die Blößen besser, als die Gace, womit das Kindlein hin und wieder behangen ist. Besonders scheint der Charakter des sentimentalen Milchmädchens nur vorhanden zu seyn, um aus dem alten Waller einen ächten Theatervater zu machen, der nichts merken darf und soll, wenns gleich die ganze Welt mit Händen greifen kann. Lebhaft erinnern wir uns noch der Mad. Brede, die uns früher die Rolle der Schauspielerinn im Beruf mit einer Gewandtheit und Zartheit gab, die wohl nicht sobald übertroffen werden kann; auch sah Referent Mad. Renner in dieser Rolle, die unstreitig zu den vorzüglichsten dieser anerkannten Künstlerinn gehört. Solche | Eindrücke bleiben lebhaft in uns zurück, und schärfen unser Urtheil, ohne deßhalb gegen das spätere Verdienst ungerecht zu seyn; aber auch ohne beyde dieser Meteore am Theater im Vorbilde gesehen zu haben, müssen wir dennoch gestehen; Mademois. Ritzenfeld bestand nicht zum Besten in ihrer Talentprobe. Sie ist zwar, wie man zu sagen pflegt, auf dem Theater zu Hause, aber über dem zu Hause seyn, vergißt sie die Gegenwart der Gäste, die der etwas unbescheidenen Ungezwungenheit die Fesseln des Schicklichen anlegen sollten.

Man vermißt im Ton, Sprach und Geberde jene weibliche Zartheit, die uns so wohlthätig anspricht, und erblickt eine gemeine Individualität, die den Gebildeten beleidiget. Als Milchmädchen und junger Engelländer machte sie keinen angenehmen Eindruck – als Mad. Freude, Jüdin Rahel und Hofräthinn, riß sie mit fort, und wurde zum Theil vorgerufen. Ihre zweyte Rolle im Landhaus an der Herrstrasse, bestätiget unser obiges Urtheil. Die schon vom Dichter zu grell gezeichnete Charaktere faßte sie noch greller auf, und erregte Mißfallen.

Die Herrn Stöger und Gned, neu engagirte Mitglieder dieses Theaters, verdienen volle Zufriedenheit. Beyde haben hier Gelegenheit durch Fleiß und Verwenden ihr Talent zu vervollkommnen, und daß unserm Publikum Verdienst und Fleiß nicht entgehen, erhielten beyde durch öftere Aufmunterung und Hervorrufen Beweise.

Wir haben das Vergnügen in einigen Tagen Herrn Kostenobl vom Hamburger Theater als Gast zu sehen. Der schöne Ruf, der diesem Künstler voran tritt, läßt uns genußreiche Abende erwarten, und ich werde Ihnen nächstens die Resultate hierüber mittheilen.

Prag, am 25ten Juny 1816.

Joseph Rhöder.

Editorial

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Responsibilities

Übertragung
Charlene Jakob

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Commentary

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