Carl Maria Webers Oberon (Teil 2/8)

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Carl Maria Weber’s Oberon.

Fortsetzung.

Charaktere also verlangt nach Webers Ansicht die Oper, stufenweise Entwicklung der Leiden¦schaft, eine geistreiche herbeigeführte Steigerung aller Interessen – um jene Stillstände der Leidenschaften, jenes Festhalten der leidenschaftlichen Momente herbei zu führen, die als eigentliche Vorwürfe der Musik dadurch so motivirt werden, dass eben mit Hülfe der Musik das Aufhören im Fortschreiten der Handlung in uns statt eines Missbehagens einen neuen Genuss erzeugt, den das redende Drama, wo die in Handlungen entwickelten Charaktere hauptsächlich zu wirken haben, gar nicht kennt. – Je mehr wir die Wahrheit dieser Ansicht anerkennen müssen, die in kurzer Worten auf das Bestimmteste das innere Wesen der ganzen Oper bezeichnet, desto auffälliger muss uns wiederum der Oberon erscheinen. Die Wahl des Sujets an sich, ist unbedingt der Musik vortheilhaft, zuerst im Allgemeinen der schönste Gegensatz zwischen einer lieblichen Geisterwelt, deren klangreiches Wesen vom grössten Dichter, von Shakespeare so unübertrefflich im Sommernachtstraume benützt und angedeutet wurde, mit einer von mannigfacher edler Leidenschaft bewegten menschlichen, wo Zorn, Stolz, Liebe, Hass, Demuth, Gehorsam, Ehre, Muth, Furcht, Angst, Wemuth, und alles dies wieder im schönsten Contrast des morgenländischen und abendländischen Natur- und Menschenlebens walten können; – eine von der Tradition geheiligte, unendlich natürliche Verknüpfung des Schicksals einer Geisterwelt an die Schicksale der Menschen; zwei von einem unserer lebendigsten Dichter schon auf das charakteristische gezeichnete Charaktere in den bewegtesten, der Musik unendlich günstigen – verschiedenartigsten Situationen – von dem höchsten, äussern und innern Glück in dem äussersten Prunk, bis zur tiefsten Verzweiflung in einer das Nothwendigste des Lebens entbehrenden Einöde, und von den noch mannigfaltigern äusseren und innern Bewegungen und Lockungen, die Rückkehr zum schönsten Jubel der siegenden Tugend! Welche Contraste, welche Charaktere, welche Gefühle, Leidenschaften in dem poetischten, ätherischen Kleide, in den poetischten Umgebungen! – Was die Musik Sinniges, Tiefes, Gemüthliches, was sie Erhabenens, Grossartiges, Malerisches, was sie Sinnliches, Lockendes, was sie Religiöses, was sie Drohendes, Furchtbares, was sie humoristisches und ¦ Scherzendes nur aufzuweisen hat, Alles das später sich an diesem Stoff im schönsten Einklange, in schönster Verschmelzung und Versöhnung und Auflösung aller Dissonanzen, in den mannigfachsten Uebergängen entwickeln lassen müssen, oder nie – aus keinem Stoffe hätte mehr ein Kunstwerk der Repräsentation der ganzen Welt hervorgehen können.

Aber sehen wir die Ausführung. – Was die Opern-Charaktere betrift, so lässt sich dreist behaupten, dass eigentlich gar keiner vorhanden ist. Kein einschreitendes das Glück der Liebenden aus irgend einem, selbst edlen Grunde des Stolzes oder der Ehre oder sonst (denn wir verlangen keinen Tyrannen u. s. w. dazu) hemmendes Wesen, wodurch alle Gelegenheit durchaus zu charakteristischen Ensemble’s abgeschnitten wird, wie denn in ganzen der Oper nur zwei Duetts, ein Quartett und ein Terzett, und alle diese unter befreundeten Personen ohne Gegensätze, vorkommen; ja in dem ganzen Stücke nicht einmal die Grundlage und die erste Forderung einer Oper, eine Bassparthie. Aus dem gemüthlichen, komischen und humoristischen Scherasmin ist ein Ding geworden, weder ernst noch komisch, das neben seinem Herrn herläuft ohne zu wissen, soll es dem Text mit faden Spässen aufhelfen, oder eine fröhliche oder traurige Miene machen; im musikalisch an sich wunderschönen Terzett: „Geist hoch verehrt“ (spirit adored) singt er ein paar Takte religiös; das einzige Duett, wo er mehr zu thun hat, in dem mit Fatime, „on the banks of sweet Garonne“ ist der komisch sein wollende Text von seinem Wasserhassen, Prügeln der Knaben und Küssen der Mädchen, so prosaisch fade, dass der Componist beim besten Willen nichts daraus machen konnte, und im Quartett des 2ten Acts: „over the dark blue waters“ ist er bloss dazu da, in Terzengängen mit dem Horn zu singen, damit ein Quartett herauskäme, weil der Dichter zu wissen schien, dass dazu 4 Stimmen nöthig sind. – Wo finden sich irgend nur in den Ensemble’s jene verschiedenen Aussenseiten zugleich, „und jener vielfältige, auf einen Blick zu übersehende Januskopf?“ – (Fortsetzung folgt.)

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Schreiter, Solveig

Tradition

  • Text Source: Münchener allgemeine Musik-Zeitung, Jg. 1, Nr. 41 (12. Juli 1828), col. 649–651

Text Constitution

  • “kurzer”sic!
  • “poetischten”sic!
  • “poetischten”sic!
  • “in”sic!

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