Carl Maria Webers Oberon (Teil 7/8)

Back

Show markers in text

Carl Maria Weber’s Oberon.

Fortsetzung.

Und diese Meinung von dem Antheile Webers an dem Texte der Oper und die bestimmte Vorschrift des ihm für seine Musik zu Liefernden, wird durch innere Gründe auf’s Augenscheinlichste bewiesen, und hier kommen wir denn auf den Punkt, von Webers Kunsthöhe und musikalischer Eigenthümlichkeit zu sprechen. Wir dürfen nur das in’s Auge fassen, was theils mit Liebe und Ausführlichkeit von dem gegebenen Stoffe benutzt, ferner was Fremdes zu dem Stoffe zugethan ist, und es mit Webers Eigenthümlichkeit und seinen andern Produktionen vergleichen, um uns der Gründe klar zu werden, warum das so zu tadelnde Ganze absichtlich in dieser Gestalt erschien, und das Räthsel des in vieler Hinsicht sonst unbegreiflichen Buches zu lösen.

In der ersten Beziehung kommen wir hier noch einmal auf jene schon zweimal besprochene Scene, in der die grosse Arie der Rezia, zurück. Sie ist anerkannt undramatisch, und ist mit der grössten Ausführlichkeit behandelt; sie erinnert ferners aufs Deutlichste an die Scene und Arie der Agathe im Freyschütz. Es finden sich nun durch alle Webersche Opern, (von dem beständig gleichem Zuschnitt seiner Ouverturen ein andermal zu sprechen) gewisse immer wiederkehrende Gänge, Scenen und Gegenstände, die, wenn auch nicht Tonreminiscenzen im Sinne, wie wir von Rossini und Spontini sagen, doch dramatische sind. So die Echo-Chöre im Freischütz, der Preziosa, der Euryanthe, die abgebrochene Begleitung des Chores bei einem Liede der Heldin, wie in der Euryanthe und im Oberon u. s. w. Es ist jener Punkt, den Herr von Miltitz in der Abendzeitung vertheidigen zu müssen glaubte, doch nur dadurch, dass er ihn mit dem Beispiel Cherubini’s entschuldigte, zugleich aber selbst zu gab, dass bei den grossen Komponisten bei Mozart z. B. nichts dergleichen sich fände. Wir ¦ können das nicht anders als eine dramatische Gedankenarmuth nennen, und kann uns schon das an Webers Beruf zum dramatischen Componisten überhaupt einen Zweifel einflössen.

Musikalisch und zugleich dramatisch am Besten ist ferner das Finale zum ersten Akte. Von der Musik nachher; aber auch hier ist der Chor und die Stimme der Rezia ebenso behandelt wie die Stelle in der Euryanthe: Sehnen, Verlangen, Hoffen und Bangen u.s.w. Bei der geringen Anzahl der Musikstücke sind zwei so bedeutende Reminiscenzen, bei den bedeutendsten Scenen, schon stark genug.

Gehen wir aber nun zu dem über, was hinzugefügt ist, d. h. dem Charakter der Fatime; so ist dieser rein bloss der Lieder wegen da. Sie, als doch eine untergeordnete Person, singt am meisten, wenigstens eben so viel als die beiden Hauptpersonen, und nie zum Vortheil des Dramatischen. Nehmen wir alle Schöpfungen Webers durch, so ist überall das Lied vorwaltend; seine originellste und passendste Schöpfung, die Preciosa ist ganz Lied, die Euryanthe ganz Lyrisch, die Hauptsachen im Freischütz Lied. Seine frühern Chöre, Jägerchöre, Jungfernchor, Zigeunerchöre sind meistentheils nur von Vielen gesungene Lieder ohne Gegensätze, Verschlingungen und Durchführungen der Stimmen. In seinen übrigen Arbeiten, wie unverhältnissmässig sind da seine Instrumentalcompositionen gegen die unendliche Anzahl origineller Lieder, die sein kurzes Leben an Masse, geschweige an Gehalt, fast mehr als das lange von Himmel, Schulz, u. s. w. aufzuweisen hat! Nehmen wir dagegen Mozart, Haydn, Beethoven, unsere selbstschöpferischsten Genie’s; die unendliche Masse von Mozart’schen Sonaten neben seinen Opern mit immer neuer Fülle von unerschöpflichen selbst geschaffenen Gedanken und Melodien, und wenig oder gar keine eigentliche Lieder; die Unzahl Haydn’scher Symphonien, die Messen, wo ein Gedanken (während jedes Lied neue darbietet) nur auf die mannigfaltigste Weise durchzuführen und wiederzugeben ist, die eben so grosse Menge des ewig originellen nie sich ausgebenden Beethoven, auch von beiden letztern eigentlich wenig Lieder; die Oratorien dieser Männer ferner, die schwersten mu¦sikalischen Schöpfungen beinah, weil die selbstgeschaffne musik. Zuthat hier das Monotone umkleiden muss – von Webern dagegen keins. – Wer alles das sich genau vor die Seele führt, der wird darin einstimmen müssen, dass Weber in aller seiner Musik allein aus seiner Seele nur hervorrief und schöpfte, dass er, was der Liedercomponist überall ist, eigentlich der reine Uebersetzer dichterischer, bereits auf das bestimmteste angegebener, bezeichneter und individualisirter Gedanken in der Musik war. Darin war er allerdings unsere musik. grösste Erscheinung, darin ist er ewig zu studieren, aber dies war sein ihm vorgeschriebener Kreis, der zu überschreiten ihm nicht gelang. Er vertheilt sich verschieden in der Musik, wie Uhland und Wilhelm Müller, unser neuester bester Liederdichter in der Poesie; und wie Uhland und Müller weit über Bürger, Göcking, Ramler, Utz, u.s.w. stehen, so steht auch Weber weit über Himmel, Schulz und Zumsteeg, Männer, die ihrer Zeit das waren, was er in unserer. Der Mangel an eigentlichen dramatischen Componisten, seine Verstandesschöpfungen, seine originelle deutsche Musik und Töne, in und um die Rossinische Klingelei haben ihn im dankbaren Vaterlande auf die Höhe gehoben, deren er sich erfreute. Eben jene beschränkte Schöpfungsindividualität bewirkte, dass bei aller Ansicht des Verstandes, bei der Kenntnis und dem vollständig ihm zu Gebote stehenden Gebrauche aller Mittel, bei dem unverdrossensten Fleisse, dem tiefsten Studium und Nachdenken, in welchen Dingen er allen Kunstjüngern als das höchste Muster da stehen kann, doch von ihm, so sehr er danach strebte, kein eigentlich dramatisches Produkt, das der Zeit trotzte, hervorgebracht werden konnte. Wunderbar genug fand sich Reflektirendes, Poetisches. Wer je den rührenden Brief, den Mozart zur Antwort auf die Frage, wie er es mit seinem Schaffen mache, mit Webers Künstlerleben, seinen Reflexionen, Deduktionen und Recensionen verglich, dem wird der Unterschied zwischen dem universellen Genie und dem Talent, zwischen beiden Männern also, nicht unklar bleiben können. In der Musik ist es am anschaulichsten, dass die unbedingte Schöpfungskraft in jeder Kunst, als wahrer Himmelsfunken im Menschen, eine bewusstlose ist, ¦ die die Seele zu sehr erfüllt, die in ihrer ewig produzirenden Thätigkeit nicht Raum für andere Thätigkeiten übrig lässt, die der kritisirende Verstand nur zersetzt und auflösst. Vergleiche man nur, um den Unterschied zwischen dem schöpferischen Genie und dem wiedergebenden Talent zu finden, Mozarts Don Juan, und die Zauberflöte mit den Weberschen Opern. Das Allgemeine war dort nur dem Mozart gegeben[,] danach schuf er, der Dichter musste sich wundern, was auf dem von ihm gegebenen Gerüste aufgebaut war, da Text stets unter der Musik steht, während bei Weber uns freut, dass er den Text traf, die Sprache in Musik wieder gab. Vergleiche man nur z. B. das am Besten von Webern durchgeführte Stück das Terzett zwischen Max, Agathe und Annchen im zweiten Akte des Freischütz: „doch hast du auch vergeben“ – wie der Dichter da vorangearbeitet hat, mit den musikalischen Durchführungen desselben Textes der verschiedenen Personen im 1ten Finale des Don Juan: „hoffe nicht uns irr zu leiten“ – u. s. f.

Wir wollen aber hier nicht missverstanden werden, nicht gesagt haben, dass Weber bloss das gegebene Wort übertrug; er traf auch das ganze Wesen ihm vorgezeichneter Leben vortrefflich; so das Jägersein, das Zigeunerleben, als in ihrer Individualität sich charakteristisch und scharfhervorhebende Zustände. (Fortsetzung folgt.)

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Schreiter, Solveig

Tradition

  • Text Source: Münchener allgemeine Musik-Zeitung, Jg. 1, Nr. 48 (30. August 1828), col. 760–763

Text Constitution

  • “gleichem”sic!

      XML

      If you've spotted some error or inaccurateness please do not hesitate to inform us via bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.