Aufführungsbesprechung Berlin, Opernhaus: Vorstellung zugunsten des “Vaterländischen Vereins” am 3. April 1816 (darunter “Lieb’ und Versöhnen” von Carl Maria von Weber)
* * *
Die vom Herrn Professor Gubitz veranstalteten „artistisch-theatralischen Vorstellungen“ zum Besten des vaterländischen Vereins wurden am vergangenen Mittwoch im großen Opernhause, vor einer überaus zahlreichen Versammlung, welche Se. Majestät der König und die gesammte Königliche Familie durch ihre Gegenwart verherrlichten, auf das glänzendste ausgeführt. Herr Professor Gubitz, der schon früher seinen Kunstsinn und seine Kunstkenntnisse mit dem gelungensten Erfolge zu wohlthätigen Zwecken angewandt hat, bewies diesmal die Vielseitigkeit seines Dichtertalents, in so fern alles, was hier theils declamirt theils gesungen ward, aus seiner Feder geflossen war, nemlich: ein lyrisches Drama (Sappho), ein Volksgesang, drei Balladen, drei Lieder und ein kleines Schauspiel. Sappho – die hier vom Phaon, wie einst Ariadne vom Theseus, verlassen, einsam klagt und, vom Schmerz verschmähter Liebe überwältigt, sich in die Wellen stürzt, aus denen Iris sie zum Olymp hinausträgt – Sappho, ward von Mad. Schröck mit seelenvollem Ausdruck dargestellt, und das Drama war von unserm Weber durch eine Ouvertüre, durch Chöre der Priester und durch musikalische Zwischensätze, welche die Deklamation unterbrachen, gar herrlich ausgestattet. Diese Composition | trägt ganz das Gepräge von Webers gediegenem Talent. Wer seine schmelzenden Accorde zum Monolog der Jungfrau hört, der glaubt, daß ein solcher Effekt ausschließlich nur durch Blase-Instrumente zu erreichen sey. Er komme aber und höre, was hier, im Monolog der Sappho, auch die Saiten Instrumente für sich allein vermögen! Welche süße Modulation in der hier in Rede stehenden Stelle, und welche wunderbar-zarte Haltung im Vortrage! Referent freut sich, sie bei der zweiten Vorstellung (am 17ten April) abermals zu hören, und wünscht sich und allen Freunden der Musik eine öftere Wiederholung in Concerten. Nachdem, unter rauschenden Beifallbezeigungen, der Vorhang niedergelassen war, erscholl, hinter demselben, ein wahr empfundenes und kräftig ausgedrucktes Volkslied von Gubitz, von Zelter, durch Bewegung, Ausdruck und Melodie ergreifend, ganz im ächten Character eines Volksliedes componirt. Wir können es uns nicht versagen, die zwei ersten Strophen dieses Liedes hieher zu setzen:
Den König preis’t! Mit HochgesangBeglückt die Herzen all.Da wo Sein hoher Nahm’ erklangErwächte Wonneschall.Auf Seinem Pfad erblüht uns Glück,Und wider grauenvoll GeschickIst er uns Felsenwall.Er der die Jugend innig liebtVerehrt den Spruch der Zeit:Daß es nur eine Tugend giebtSie heißt – Gerechtigkeit;Ihm ist der Unterthan nicht KnechtDoch Er ist unterthan dem RechtWas Ihn zum Thron geweiht ec. ec.Als nach einigem Zögern der Vorhang wieder aufgezogen war, recitirte Herr Beschort eine Ballade – das stumme Kind – deren Gegenstand das Gefühl mächtig ansprach. So wie der Bänkelsänger seinen Legenden dadurch noch mehr Interesse zu geben weiß, daß er die vornehmsten Momente aus denselben durch gemalte Bilder versinnlicht; so kamen auch hier, während der Recitation, in jeder Ballade drei solcher Bilder, durch lebende Personen dargestellt, zum Vorschein. Sie erschienen auf einem acht Fuß vom Fußboden erhöheten Sockel, der achtzehn Fuß weit vom Proscenio entfernt war, in drei neben einander befindlichen Rahmen, oder Abtheilungen, jede 13 Fuß hoch, die mittlere 14, die beiden Seitenstücke aber nur 8 Fuß breit. Sie waren sämmtlich verdeckt durch Vorhänge, deren jeder erst in dem Augenblick aufrollte, wenn der Vortrag den dargestellten Gegenstand berührte. Um die verschiedenen Gruppen gehörig abzustufen, und der Beleuchtung den erforderlichem Spielraum zu geben, hatten diese Bilder, von ihrer Rahmen Einfassung an bis ihrem gemahlten Hintergrunde, eine Tiefe von 8 Fuß. Die zu vorgedachter erster Ballade gehörigen,waren vom Hrn. Professor Schumann erfunden und geordnet und sie gefielen ganz vorzüglich, weil sie in ihrer idyllischen Einfachheit genau erkannt und allgemein verstanden wurden. Jetzt folgte, bei herabgelassenem Vorhange, ein vierstimmiger Gesang, „Fried und Unschuld“, vom Herrn Musikdirector Gürrlich sehr effectvoll componirt, in welchem der Milder-Hauptmann Silberton entzückend hervortrat. Dann ward „Swend und Edda“ eine Ballade, zu welcher der Stoff aus dem neunten Jahrhundert und aus der Geschichte des alten Sachsenlandes entlehnt ist, von Herrn Lemm gesprochen. Die drei dazu gehörigen Bilder waren vom Herrn Director Schadow sehr kunstreich und geschmackvoll geordnet, und, besonders die beiden kleineren, von vorzüglicher Wirkung. Den darauf folgenden Zwischenact füllte ein vierstimmiger Gesang, im Text ¦ buche überschrieben: „Sinnblüthe“ vom Herrn Musikdirector Seidel lieblich componirt. Nunmehro recitirte Demoiselle Düring die Ballade „Erry von Schlins“ aus der Schweizer-Geschichte des neunten Jahrhunderts entlehnt. Die dabei vorgestellten drei Bilder waren vom Herrn Rector und Hofmaler Weitsch erfunden und namentlich das mittlere eine sehr reiche Composition. Sodann ertönte ein Gesang, im Textbuch überschrieben: „innere Stimme“ vierstimmig gesetzt von Wollank mit allem diesen Componisten eigenen Wohllaut und Ausdruck. Den Schluß machte: Lieb’ und Versöhnen, oder die Schlacht bei Leipzig, ein Schauspiel in einem Act, dessen patriotische Tendenz schon allein ihm Beifall sichern konnte. Herr Carl Maria von Weber hatte die Ouvertüre und einen Chor dazu componirt und im Spiel der Darstellenden war besonders unser geniale Devrient durch den von ihm in ächt nationaler Manier repräsentirten Caspar Laufer, ausgezeichnet. Herr Professor Bürnat hatte außer der neugemalten Decoration eines Zimmers, auch den Hintergrund zu sämtlichen neun Bildern, mit welchen die Balladen ausgestattet waren, im Charakter des Gegenstandes mit vielem Geschmack und frappanter Wirkung gemalt und dadurch, nicht nur seine Kunstkenntniß und seine Kunstfertigkeit, sondern, durch unentgeldliche Darbringung dieser Arbeit, auch seine wohlthätige Vaterlandsliebe bewiesen. Ihm und allen den ausgezeichneten Künstlern welche in gleicher Art zu diesen Vorstellungen mitgewürkt hatten, gebührt dafür öffentliche und dankbare Anerkennung, vor allen Herrn Professor Gubitz.
Daß sich zu der ersten Aufführung dieser Vorstellung weit mehr Zuschauer gemeldet hatten, als Plätze vorhanden waren, veranlaßt am 17ten dieses Monats eine Wiederholung, die, des wohlthätigen Zwecks und um des Kunstgenusses willen, wahrscheinlich nicht weniger zahlreich besucht werden, und, was bei Wiederholungen oft der Fall ist, in mancher Hinsicht vielleicht noch gelungener als der erste Versuch ausfallen dürfte. Viel Glücks dazu den dabei Anwesenden und „dem Wohlthätigkeits-Verein.“
Editorial
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Amiryan-Stein, Aida
Tradition
-
Text Source: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 43 (9. April 1816)