Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater, 4. September 1813

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Ständisches Theater in Prag.

Am 4. September wurde zum ersten Mal gegeben: Das Angebinde, oder: Die großen Kinder, Lustspiel in zwei Aufzügen und in Alexandrinern von Dr. Müllner. (Manuscript.) Der talentvolle Dichter beschenkt unsere Bühne mit diesem zart- und seelenvoll gehaltenen Gemälde recht angenehm. Denn nicht eine kahle Intrigue, sondern kämpfende Leidenschaft der Liebe spannt unsere theilnehmende Erwartung in so mannichfaltigen Modificationen zu einer sanften Auflösung, und das Schöne spricht uns so veredelnd aus dem Ganzen an, daß wir uns am Schlusse in eine idyllische Scene versetzt glauben. – Wahrhaft idealisch ist Manons Charakter, und der des Grafen Albert eben so feinsinnig als gemütlich anziehend angelegt und vollendet. Aber beide wurden auch mit reizender Wahrheit von Mad. Brede und Hrn. Liebich dargestellt. Dieser versinnlichte den innern Kampf seiner Liebe zu Manon in den Verhältnissen des Vaters, des Herrn – ja mit sich selbst so sichtbar, und gab zugleich (wie immer) seiner Darstellung eine so edle gutmüthige Haltung, daß unser Interesse für seine verborgenen Wünsche dadurch von Scene zu Scene wuchs. Manon (die uns dann und wann an Thümmels Margot erinnert) wußte die kindliche Einfalt, Unschuld und den Frohsinn der Winzerin, in der lästigen Maske der Gouvernante, mit einer Wahrheit, und in in dem zarten Verhältnisse mit dem Grafen so reizend darzustellen, daß die Scenen dieser Liebenden sich im Colorit des Schönen spiegelten, und dem gebildeten Zuschauer hohen Kunstgenuß gewährten. – Eben so feingefühlt und dargestellt wirkten die übrigen Rollen des Fritz, (Hr. Polawsky) der Lina, (Mad. Brunetti) der Leonore (Mad. Löwe) und des Franz, (Hr. Bayer) zur Vollendung des Ganzen, daß wir einer Wiederholung dieses Lustspiels mit Vergnügen entgegen sehen. – Nur wünschten wir aufrichtig, der fähige Dichter beschenkte uns künftig mit gefeilten Arbeiten einer klassischen Prosa, statt dieser holprichten Poesie, die hier nichts anders als Vehikel der Geschwindschreiberei ist, und die Kotzebue nur, hoffentlich, für seine Gesellschaftsspiele, aber nicht zur¦Bildung unserer Sprache und dramatischen Kunst gebraucht haben will. Denn unangenehm reißt der verlegene Reimer den Gebildeten aus der Täuschung, die er mit vor die Bühne nimmt: „er habe die gemeine Wirklichkeit verlassen“ – – wenn er uns mit „Näschen andrehen“ – „den Kopf waschen“ – „bring’ ichs nimmer von der Zunge“ – „Beelzebub verhindert das Gelingen“ – „roth bis in die Fingerspitzen“ – „wie fädl’ ichs ein“ – „Waar – paßt nicht in meinen Kram“ – „Blitz! – mich überlief die Hitz“ – „Nun, was hat’s mich anzuklotzen?“ – unter die Buden des Jahrmarkts versetzt. – Gewiß, Kunst und Sprache würden gewinnen, wenn unsere Dichter dieser Verselei für das feine Lustspiel ganz entsagten, und sich bemühten unsern Nachbarn eine geglättete, gerundete, feingespitzte Prosa, von der unsere Sprache ja schon Vorbilder aufzuweisen hat, statt dieser nachlässigen Reimerei gegenüber zu stellen; und unsere gebildeten Schauspieler würden es ihnen Dank wissen, wenn sie ihr Zartgefühl mit jenen Gemeinheiten, die leider! der Reim nicht zu vertilgen erlaubt, zu verschonen wüßten.

Qdt.

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Schaffer, Sebastian

Tradition

  • Text Source: Allgemeiner Deutscher Theater-Anzeiger, Jg. 4 (1814), Nr. 5 (Fortsetzung zu Jg. 3.1813), pp. 17

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