Carl Baermann sen. an Friedrich Wilhelm Jähns
München, Dienstag, 21. November 1876

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Lieber verehrter Freund!

Tausend Dank für Ihren lieben Brief, welcher mir so wieder recht und echt Ihre Seele und Ihr liebes Bild vorführte. Ja wohl haben Sie recht wenn Sie dieses Erdenleben mit einem Theater und uns armes Menschengewürm mit den Comedianten vergleichen. Wohl tausend u tausendmal hab ich dasselbe gefühlt, gedacht und ausgesprochen, und selten daß ich in einem Theater oder Puppenspiel gewesen in welchem nicht dieser Gedanke mich durchkreutzte, und ich mir dachte was sich im Theater in Kleinen zeigt, erfüllt sich außen im Großen, und der liebe Gott führt da außen seine Lust- Schau- und Trauerspiele auf. Nun wenn nur jeder seine Rolle so gut als möglich spielt, dann denke ich kann kommen was mag u. muß. –

Was nun Ihre Fragen betrifft so bin ich leider nicht im Stande gewesen etwas näheres erfahren zu können, so viele Mühe ich mir auch gab. Sie wißen daß bei dem Theaterbrand Anno 19* die ganze werthvolle Bibliothek und das Inventar-Verzeichniß nebst allen Theater-Zetteln verbrannt ist. Das Hoftheater ist zwar durch einen glücklichen Zufall wieder zu den Theater Zetteln von 1807 angefangen durch eine Privat-Person gekommen, doch sind dieselben etwas lückenhaft. In der jetzigen Theater-Bibliotheck findet sich nun gar nichts von einer OperInes de Castro[] vor, und nur ein Trauerspiel mit ähnlichen Titel ist verzeichnet, welches ich auch durchstöberte aber nicht den geringsten Anhaltspunkt fand. Ich durchblätterte alle Zettel bis auf 1824, fand aber auch gar nichts. Ich ließ mir nun das Musik-Verzeichniß der musikalischen Accademie geben, und hier fand ich unter Nro 9 u. 10 von den Compositionen von Weber allerdings die eine Arienon paventar* jedoch in einer abgeschriebenen Partitur ohne irgend ein Zeichen oder eine Bemerkung, daß dieselbe als Einlage zu einer Oper gedient hätte. Dafür fand ich aber die zweite Arie für Tenor und Chor in der Or[i]ginal-Partitur von Weber*. Die Handschrift ist zwar aus seiner ersten Periode aber nicht zu verkennen. Nur weicht der Text von den Ihrigen mir angegebenen gänzlich ab. Die ersten Worte sind:

Qual altro attendi

und die ersten Noten MW_WeV-E04, Takt 1–3 der Szene und Arie aus Demetrio

Der Titel ist folgender: Scena ed AriaCon Corocomposta par Uso dell SignoreWeixelbaumdaCarlo Maria de WeberMonaco il 22 9bre 1811

Der Text in dieser Partitur scheint mir fast von anderer Hand eingeschrieben, ich hätte Ihnen die Partitur überschickt, allein die Direction der Accademie will sie nicht aus den Händen geben, da die Bibliotheck durch sogenannte Postverluste schon um manch’ werthvolles Autograf gekommen ist.

Sehr erfreut hat es mich daß Sie sich so ziemlich wohl fühlen, ich kann dieß leider nicht von mir sagen, und nebst meinen körperlichen Leiden hat mich diesen Winter eines der traurigsten Schicksale getroffen, von welchem Jeden Gott in Gnaden bewahren möge. Meine gute liebe hochverehrte Frau ist durch nervöse Aufregung in tiefe Melancholie verfallen, welche sich dermaßen steigerte, daß sich diese geliebte Frau u. Mutter zum größten Schmerz der Ihrigen seit Monat Mai in der hiesigen Irrenanstalt befindet. Erlaßen Sie mir Ihnen dieses Meer von Hoffnungen, Befürchtigungen und Entäuschungen zu beschreiben, was noch werden soll liegt wie ein schwerer Alp auf mir, und ich kann wohl sagen ich habe ungeheueres erduldet; es ist wohl so ziemlich das Ärgste was einen treffen kann! – ! –

Daß mein Sohn Fritz u. meine Tochter Marie sich glücklich verheirathet haben werden Sie durch die überschickten Karten erfahren haben. Es waren dieß kurze Lichtblicke in meinen jetzigen dunklen Leben. Letztere ist jetzt preußische Unterthanin, da sie einen Rittergutsbesitzer bei Danzig, Herrn Georg Hepner-Schwintsch geheirathet hat. –

Nun lieber Freund leben Sie wohl u. der Himmel bewahre Sie u. Ihre liebe Familie vor allen Kummer und Sorgen. Mit alter treuer Liebe Ihr
schwergeprüfter Freund
Carl Baermann

Apparat

Zusammenfassung

Abermals vergebliche Suche nach Ines de Castro, auch kein Theaterzettel (bis 1824); im Katalog der Musikalischen Akademie unter Nr. 9 u. 10 Abschrift der Arie Non paventar und Autograph der Arie für Weixelbaum Qual altro attendi. Gibt Notenincipit und Titelblatt wieder, vermutet, dass es Abschrift sei. Bibliothek leiht das Ms. nicht aus, da schon viele Postverluste. Des Weiteren Familiennachrichten (Krankheit seiner Frau), auf Bl. 2r Bestätigung von Jähns, dass die Münchener Hs. eine Copie sei, das Autograph sei im Besitz von Max Maria von Weber

Incipit

Tausend Dank für Ihren lieben Brief, welcher mir so wieder recht und echt

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl. X, Nr. 32

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)
    • Am unteren Rand Bl.2r von Jähns: „Das Münchener Exemplar ist eine Copie, aber darum werthvoll, weil dem Autograph Carl Maria’s v. Weber im Besitze seines Sohnes Max Maria zu Wien pag. 13 u 14 und 23 u 24 fehlen. F. W. Jähns.“

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Eveline Bartlitz, „Ich habe das Schicksal stets lange Briefe zu schreiben …“. Der Brief-Nachlaß von Friedrich Wilhelm Jähns in der Staatsbibliothek zu Berlin – PK. Die Briefe Carl Baermanns an Friedrich Wilhelm Jähns, in: Weberiana. Mitteilungen der Internationalen Carl-Maria-von-Weber-Gesellschaft e. V., Heft 8 (1999), S. 38–39

    Einzelstellenerläuterung

    • „… bei dem Theaterbrand Anno 19“Hier irrt Baermann, der vernichtende Brand brach während einer Vorstellung am 14. Januar 1823 aus.
    • „… die eine Arie non paventar“Vgl. Brief vom 3. Januar 1865. Der Verbleib dieser von Baermann genannten Abschrift ist unbekannt.
    • „… Or i ginal-Partitur von Weber“Es handelt sich um eine Abschrift von Franz Anton von Weber, vgl. Brief vom 3. Januar 1865. Das Autograph befand sich damals noch in Familienbesitz (Max Maria von Weber), ist heute aber verschollen; vgl. dazu auch Jähns (Werke), S. 149, sowie den Nachtrag zum Werkverzeichnis.

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