Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 16. März 1817

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Am 16. März: Der Geizige nach Molière. Erste Gastrolle von Herrn Wohlbrück. Nur dadurch, daß ein Künstler von entschiedenem Ruf mit kräftigen Zauberformeln den Geist Molières noch einmal auf die Breter herauf beschwört, und alten, wohlbegründeten Kunstüberlieferungen über die Rolle des Geizigen durch eine erfrischende Zuthat von Originalität neuen Eingang verschafft, mag dieß Stück sich der Gunst des Publikums jetzt noch erfreuen können. Schade nur, daß dabei fast alle Mitspielenden zu sehr in den Hintergrund treten, und es nur zu lebhaft fühlen, daß sie nur Einrahmung dieser einzigen Charakterrolle im Stücke sind. Wo soll ihnen also Lust und Anmuthung herkommen, um auf eine ergötzliche Weise zum ganzen hinzuarbeiten? Mit einigen achtungswürdigen Ausnahmen, war die Kälte der Mitspielenden auch dießmal sehr bemerkbar. Darum hat uns auch Herrn Wohlbrück’s: sprich lauter! ob es gleich nicht in der Rolle steht, sehr wohlgefallen. Mit vollem Recht trat der Künstler in diesem Augenblick in alle Machtvollkommenheit des Anordnenden ein.

Schon durch den Umstand, daß nicht mehr der alte, ächt Molierische Harpagon, sondern der von Zschokke statt seiner auf unsrer Bühne eingeschwärzte Kammerrath Fegesak als Geiziger auftritt, und eine Menge Züge des Originals durch diese sehr zur Unzeit nachbessernde Bearbeitung ganz verwischt worden sind, erhält die Rolle des Geizigen auf unsrer Bühne nothwendig einen Zusatz von Humor, den man wohl auch Ironie nennen möchte; auch würde unser überverfeinertes Publikum den Molierischen Geizigen in alles überströmender, wo nicht gar überbrausender Kraftfülle und Gewaltthätigkeit, wie ihn der für die deutsche Bühne in hundert Berührungen, welche noch fortdauern, unsterbliche Schröder in Hamburg noch nach der alten Bockischen Bearbeitung gab, nur für grelle Uebertreibung und geschmackwidrige Caricatur halten. Daher bleibt dem denkenden Künstler, der uns in diesem Spiele seine Genialität in Durchführung einer rein ausgesprochenen Charakterrolle geben will, kaum etwas anders übrig, als was schon die Erfindungskraft großer Vorgänger schuf, was theils eigne Anschauung, theils wohlbewahrte Theatertradition ihm zubrachte, auf eine neue Weise bald mildernd, bald verstärkend zusammen zu schmelzen und so einer alten guten Copie eine neue nicht schlechtere unterzuschieben, oder wo diese ihm schon früher gerathen war, bei er neuen Ausstellung etwas frischen Firnis aufzusetzen. Dieß alles that Herr Wohlbrück mit einer Vollendung und Sicherheit, die nicht nur große Technik und vertraute Bekanntschaft mit allen Theilen seiner Kunst, sondern auch geistreiche Selbstständigkeit und das Vermögen, dem Erfundenen neues hinzuzufügen, jedem, der Vergleichungen anzustellen Gelegenhteit gehabt hatte, zur Gnüge beurkundete. Es versteht sich von selbst, daß der denkende und über die Ausstattung des nur zu oft ausgestatteten nie verlegne Meister die alten wohlbekannten Späße mit den 3 Händen, mit dem Taschenumtasten und Ausräumen, mit den lächerlichen Ausbrüchen der Ungeduld seiner Geliebten gegenüber, wenn diese den Diamantring behält, mit dem Stecknadelaufheben, Lichtauslöschen u. s. w. durch mancherlei kleine Zusätze und Auszierungen, welche Iffland wohl zuweilen auch Affen ¦ schwänzchen zu nennen pflegte, herauszuputzen und in ihrer abgebrauchten Altäglichkeit zu verjüngen nicht unterlassen habe. Man sah den Virtuosen, der zu jedem Thema seine Variationen in Bereitschaft hat. Nur gestattet die Enge des Raumes hier nicht, die einzeln zu entwickeln. Herr Wohlbrück wußte durchs ganze Stück eine gewisse Heiserkeit der Stimme, die durch den kachektischen Zustand und den immer wiederkehrenden Husten des Geizhalses so gut motivirt wird, so zu behaupten, daß sie selbst auch in dem lautesten Ausbruche der Verzweiflung in der berühmten Schlußscenen des 4ten Akts immer anklang. Dagegen bogen sich seine Finger weit weniger zum steten Greifen und Festhalten zusammen, als wir in andern Darstellungen dieser Rolle zu bemerken Gelegenheit hatten. Diese Zuckungen der zur Fertigkeit gewordenen Habgier, die bis in die Fingerspitzen wirkt, mag dem Martin Rousset und Gripon in dem bekanntenn Singspiel: die beiden Geizigen, überlassen bleiben. Sie wären reine Unnatur und Misgriff geworden in dem noch mancher andern ausmalenden Geberdung fähigen, durchaus etwas höher gehaltenen Fegesack. Darum bemerkten wir mit Wohlgefallen ein oft wiederkehrendes Anstemmen der rechten Hand in die Seite im Moment wo der Husten eintreten will und erfuhren zur rechten Zeit auch die Ursache dieses, das Lächerliche in der Situation sehr vermehrenden Geberdenspiels. Die durch mancherlei Abkasteiung und Gemüthsbewegung zugezogene Kränklichkeit und Geckenhaftigkeit des verliebten Geizhalses tritt so noch stärker hervor.

Stets werden wir uns mit dem Vergnügen an die zwei Hauptscenen, das Wüthen des Bestohlenen am Schluß des vierten Akts und an die Liebkosungen erinnern, die er dem wiedergefundenen Schatzkästchen, knieend, in sich geschmiegt, mit unnennbarem Schmunzeln, verliebten Ausstöhnungen und Halbseufzern im letzten Augenblicke erweiset. Das an Wahnsinn grenzende Verwechseln des eignen Selbst mit dem Dieb wurde durch ein sehr ausdrucksvolles Erfassen des Kopfs mit beiden, krampfhaft zusammengeballten Händen bedeutsam verstärkt. Der Contrast des kläglichsten Jammers: ich sterbe, ich bin begraben! mit dem neuen, gewaltsam aufbrausenden Sturm der Leidenschaft, die überall Diebe sieht und ausfragt, wurde durch eine reiche Modulation tiefherabsinkender, immer leiser werdender Klagetöne, wo endlich die Stimme ganz auszugehen schien, und dann durch eine trefflich motivirte Pause eines augenblicklichen Starr-Krampfes, worauf die Wuth aufs neue hervorbricht, mit eben so viel Geschmeidigkeit des Organs, als innerer psychologischer Consequenz durchgeführt.

Wenn nun demohngeachtet einzelne Beobachter, welchen man Unbefangenheit und Kunstsinn abzusprechen billig Bedenken tragen müßte, noch eine gewisse Rundung zum vollendeten Ganzen in der ganzen Darstellung vermißt hätten: so würde erst auszumitteln seyn, wie überhaupt in diese so zerstückelte und aus ihren innern Fugen durch die neue Bearbeitung herausgerissene Rolle eine wahre Natur, nicht bloß eine, mit feiner Schminke angestrichene Schein-Wahrheit zu bringen sein möchte; und dann würde billig auch noch gefragt werden müssen, wie der wackere Künstler durch die ihm noch fremden Mitspielenden in jedem kritischen Moment unterstützt worden sei?

B.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden: „Der Geizige“ nach Molière am 16. März 1817

Entstehung

vor 25. März 1817

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 72 (25. März 1817), Bl. 2v

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