Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 29. Mai 1817 (Teil 1 von 2)

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Am 29. Mai. Im Hoftheater in der Stadt. Die kluge Frau im Walde, oder: Der stumme Ritter, von A. v. Kotzebue. Ueber dieß Stück jetzt noch eine Beurtheilung geben zu wollen, wäre schlimmer, als Senf-geben nach dem Confekt. Seit es 1799 zum erstenmal auf unsere Bühne gebracht wurde, hat es 48 Vorstellungen erlebt! Wollten wir der neun und vierzigsten heute weniger unsern Beifall zollen? Im Gegentheil: jeder Unbefangene kam darüber überein, daß es noch immer auf unserem Repertorium zu stehen verdiene. Ein hellaufsprühender Funke von Gozzi’s Fackel fiel in die Seele des Dichters, als er dieß Zauberspiel zuerst in seiner fruchtbaren Fantasie empfing, ein Drama, welches man in mehr als einer Beziehung als einen Vorläufer seines Schutzgeistes betrachten möchte. Man nimmt es denn mit einem guten alten Bekannten nicht so genau. Selbst ein kleines Leberfleckchen oder Malzeichen auf der Stirn oder Wange fällt uns dabei nicht mehr auf. Indeß möchten wir wohl bei dieser Veranlassung an den unerschöpflichen, für Deutschlands Bühnen auch heute noch rastlos thätigen Dichter, der uns aufs neue auch durch seine Nachbarschaft erfreut, die bescheidene Bitte gelangen lassen, die gelungensten seiner dramatischen Arbeiten aus der frühern Periode in ein Bad der Verjüngung und Wiederbelebung zu tauchen, das heißt, eine neue Ausgabe derselben mit kritischer Sichtung und Ueberarbeitung zu veranstalten, und ihnen dadurch ein frisches Leben einzuhauchen, einen neuen gewiß unwiderstehlichen Empfehlungsbrief an die vorzüglichern Bühnen des deutsch-sprechenden Völkervereins mitzugeben. Wir haben seit 20 Jahren unstreitig auch im Drama löbliche Fortschritte gemacht und sind in vielem schwerer zu befriedigen. Oft könnte mit wenigen Strichen nachgeholfen werden. Um nur gleich bei der klugen Frau stehen zu bleiben, wie mancher Sancho-Pansastreich des Stallmeisters Liebmund ist nun völlig verrufene Münze geworden. Kotzebue ist reich genug, um sogleich in besserer Valuta zu zahlen. Wer erträgt jetzt noch die ungeregelten in kein Sylbenmaß recht passenden Verse, in welchen Welleda ihrem gepreßten Herzen einigemal Luft macht. Wie leicht wären diese mit Klang- und Gehaltvolleren zu vertauschen!

Unser wackerer Künstlerverein ließ es an Nichts ermangeln, um auch durch sein Spiel diesem alten Lieblingsstücke volle Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Es kann nicht zum Vorwurf gereichen, daß die meisten der hier betheilten und bethätigten Schauspieler mit dem Stücke selbst etwas älter geworden waren, ¦ wenn sie nur das Alte mit ungebrochener Kraft darzustellen suchten. Wer wollte nicht Hrn. Schirmer als stummen Ritter mit seiner beredten und wohl durchdachten Mimik auch heute noch, wie vor mehren Jahren, gern sehen? Dasselbe läßt sich auch von allen übrigen Rollen versichern, die noch nach der alten Besetzung gespielt wurden. Die kluge Frau im Walde, die eigentlich allein vollauf zu spielen hat, Mad. Hartwig, entwickelte, seit der ihr früh befreundete Dichter diese Rolle ganz eigentlich ihr zudachte, stets in ihr die ganze Kraft ihrer Kunst in angemessenem Geberdenspiel und Vortrag um so gewisser, als der in dieser Rolle liegende würdevolle Anstand auch der Empfindsamkeit eine ruhigere und und gehaltenere Darstellung erlaubte. In ganz ungeschwächter Leistung und Rundung des Spiels erblickten wir unsere Welleda auch heute auf der Bühne, und der Ausdruck der in ihr oft auflodernden alten Leidenschaft im Kampfe mit schwer errungener Beruhigung und einem sich selbst opfernden Edelmuth wurde von ihr vorzüglich in den Scenen, wo Luitgarde ihre unwandelbare Liebe ihr entdeckt, und wo sie den heißgeliebten Oswald zum erstenmale wieder erblickt, mit einer Wahrheit und fortschreitender Steigerung des Affekts gegeben, die uns in Ton, Geberdung und Bewegung die wahre Künstlerin durchaus bewährten und uns in frühere Zeiten aufs lebhafteste zurück versetzten. Möge ihr diese schwach angedeutete Anerkennung, die wir nöthigenfalls durch die genaueste Entwickelung ihres meisterhaften Spiels zu erläutern bereit wären, ein geringer Ersatz für den Mangel von Aufregung bei einem Publikum seyn, welches das Gelungenste bloß darum, weil es zum zwanzigstenmale gelang, still und bewegungslos hinnimmt und wenig erwägt, daß dieß heute vielleicht dreimal mehr Kraftaufwand foderte, und eben darum auf erhöheten Dank Anspruch machen darf, weil dabei nicht die geringste Anstrengung sichtbar wurde. – Neu besetzt waren heute unter andern Edmund durch Herrn Wilhelmi und Volkmar durch Hrn. Genast. Ersterem gelang der hinter dem Bruder verkappte Liebhaber recht gut. Wenn letzterem die vielgewandte einschmeichelnde Geschmeidigkeit und die schmelzende Glut des sich ganz hingebenden jungen Rittersmann schon seiner, für so viel andere Rollen trefflich passenden Aeusserlichkeit und Stimme wegen etwas abzugehn schienen; so bemerkte man dagegen die fein gemessene Bewegung seines Geberdenspiels im besten Einklange mit seiner, aus einer sehr guten Schule abstammenden, richtigen Declamation mit Wohlgefallen und fand dadurch aufs neue frühere Erwartungen vollkommen bestätigt.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden: „Die kluge Frau im Walde“ von A. Kotzebue am 29. 5.1817 (Teil 1)

Entstehung

vor 9. Juni 1817

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Hafenstein, Deborah

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 137 (9. Juni 1817), Bl. 2v

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