Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 18. September 1817: Grillparzer, Die Ahnfrau (Teil 1 von 3)

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Den 18. September. Im Königl. Hoftheater. Zum erstenmale: Die Ahnenfrau, ein Trauerspiel in 5 Akten von Grillparzer.

„Ich muß den Menschen kennen lernen,“ sagte der englische Komiker Foote von Wilkes. „Wer so schmählig verlästert wird, muß mehr als eine gute Seite haben.“ So dachten gewiß auch manche beharrliche Theaterfreunde, als die Ahnenfrau von Grillparzer angekündigt wurde. Sie wußten es der Direction aufrichtigen Dank, daß sie des crucifige einiger Wiener Aristarchen, und ihrer Nachbeter außer Wien wenig achtend, uns Gelegenheit verschafften, diesen berüchtigten Gespenster- und Schicksals-Spuk durch eigne Anschauung kennen zu lernen. Denn auch hier gilt das alte Wort: zwei Augen sind mehr werth, als zehn Ohren. – Das Stück selbst ist seit der letzten Ostermesse in aller Leser Händen und jedermann zugänglich. Wir ersparen uns also alle Beurtheilung seines dichterischen und dramatischen Werthes, und bemerken nur, daß wenn es auch der Originalität entbehrte und aus lauter Reminiscenzen bekannter Schicksals-Tragödien der neuesten Fabrik zusammengesetzt wäre – welches im Ernst zu behaupten augenscheinliche Thorheit wäre – es ausgezeichnet in innerer Consequenz, in raschem Fortschritt bis zum Ende, und reich an ächt tragischen, gut in einander geschlungenen Situationen, der Blumengarten einer üppigen, fruchtbaren Fantasie sey, und als Erstling zu nicht geringen Erwartungen berechtige. Zarte Blüthen, wie jene, wo Jaromir die süße Auflösung in den Umarmungen des ersten Schlafes schildert:

Wehend fühl ich schon den Schlummer;Mild, wie eine Friedenstaube,Mit dem Oelzweig in dem Munde,Ueber meinem Haupte schweben,Und in immer engern KreisenSich auf mich hernieder lassen,Jetzo, jetzo senkt sie sich,Süße Ruhe fesselt mich,*

blühen hier häufig zwischen Dolchen, Gräbern und Gespenstern; nur daß die meisten bei der Verkürzung des Stücks für die Bühne nicht gesprochen werden konnten. „Aber das Ganze ist ein Gewebe des unsinnigsten Fatalismus, worin der Untergang eines sündigen Geschlechts und das Umgehen eines Geistes, der nur durch die Ausrottung des letzten seiner Nachkommenschaft zur Ruhe gebracht werden kann, zur höchsten Potenz der Verruchtheit gesteigert wird.“ Wo ist die Gränze, wenn auch nur Eine Einwirkung der Art auf die Sinnen- und Körperwelt zugegeben wird. Die Regel des Mährchens gilt auch hier. Ist nur dichterische Consequenz und innerer Zusammenhang vorhanden, so darf man weiter nicht rechten. Auf das Mehr und Weniger kommt es nicht an. Ja es ist gut, daß einmal die Sache auf die höchste Spitze gestellt wurde. Ist’s Unsinn, nun dann zerstört er sich so am ersten durch sich selbst, wie denn jedes Gift zum Gegengifte werden kann. – „Aber es strotzt von Ungereimtheiten in Plan und Ausführung“ Es ist wahr, die längste Winternacht faßt nicht die Hälfte der hier auf wenig Stunden zusammengedrängten Kämpfe ¦ und Missethaten, und die an Bäumen auf- und niederkletternde Katzennatur des Jaromir’s ist in Vergleichung mit seinem bessern Selbst höchst widerwärtig; allein wo einmal den Zaun der drei Einheiten durchbrochen, wo durch Shakspear und Calderon der wildesten Fantasie Thür und Thor geöffnet ist, da mag das Seltsamste noch überboten werden. Was ist denn für ein Unterschied, ob ein toller Prinz einen Kammerherrn zum Fenster hinaus wirft, wie dort in Calderon’s Leben ein Traum; oder ob ein Räuberhauptmann in toller Bestialität zum Fenster herunter klettert und sich unten mit den Diebsfängern auf Leben und Tod herumbalgt? So dürfte leicht auf jeden auch noch so gegründeten Tadel eine mildernde Antwort zu finden seyn. Wir aber begnügen uns, hier im Allgemeinen nur noch die Bemerkung anzufügen, daß wir das ganze Stück für geübte und talentvolle Schauspieler eben so angesehen wissen möchten, wie man etwa gewisse Gesänge als Bravour-Arien für Virtuosen braucht. Auch hat sich bei der Aufführung dieses Stückes in Wien, Prag, Breslau und zuletzt in Hamburg dies hinlänglich bewiesen. Es ist von ausgezeichneten Bühnen Künstlern gern und mit seltnem Erfolg gespielt worden, allen Kritikern zum Trotz, die mit Stangen und Spießen dagegen ausrückten. Wir müßten uns sehr irren, oder es wird auch in Dresden eben darum, weil vorzügliche Kunst von braven Meistern daran gewandt worden ist, öfter als manches zahme und regelrechte Stück gesehen werden. Was endlich den Vater dieses Kindes anbetrifft, das manche so gern einen Wechselbalg nennen möchten, so denken und hoffen wir das Beste von ihm, nicht vergessend, daß selbst Schiller seine dramatische Laufbahn mit den Räubern begann, über welche bei ihrer ersten Erscheinung Alles, was ehrbar heißen wollte in Deutschland, für Entsetzen die Hände zusammenschlug. Es sey erlaubt, hier die Stelle des Kirchenvaters Augustinus anzuwenden: Magno exemplo peccavit, magno exemplo resipiscet! (er sündigte nach großem Beispiel, er wird nach demselben Buße thun.) Jetzt nur noch Einiges über die Aufführung selbst.

Dolch und Ahnenfrau vertreten in dieser Grauserweckenden Verhängnißfabel die Stelle menschlicher Beweggründe. Der Dolch soll vorschriftsmäßig an einer Coulisse des Vordergrundes aufgehangen seyn. Bei uns war er (aus guten Gründen) weiter hinten angebracht. Wäre er nur dadurch nicht, bei dem etwas zweifelhaften Zwielicht unsrer Bühne, dem Auge der Zuschauer fast ganz entzogen worden. Jemand kam auf den Gedanken, daß eine besondre Lampe neben ihm hätte brennen sollen. Dies wäre dann um so natürlicher gewesen, wenn die übrigen Coulissen auch eine Waffendecoration, den alten Burghallen gemäß, gehabt hätten. Da übrigens dieser Dolch hier eine eben so wichtige Rolle spielt, als jener Unglückspantoffel im arabischen Mährchen, so ist’s unrecht, wenn am Schluß des vierten Akts der Blick auf diesen in Vaterblut getauchten Stahl uns, wie es bei der diesmaligen Vorstellung geschah, gänzlich erspart werden soll. Das ist eine falsche Barmherzigkeit. –

(Die Fortsetzung folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden: „Die Ahnfrau“ von Fr. Grillparzer am 18.9.1817

Entstehung

vor 30. September 1817

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 234 (30. September 1817), Bl. 2v

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