Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 18. September 1817: Grillparzer, Die Ahnfrau (Teil 2 von 3)

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Die Ahnenfrau. (Fortsetzung.)

Die Doppelerscheinung von der Ahnenfrau und der ihr völlig ähnlichen Bertha, das sinnreichste dieses dämonischen Spiels, wurde bei uns durch den günstigen Umstand gefördert, daß Dem. Christ, die Schwester von Mad. Schirmer, welche die Bertha spielte, die Ahnenfrau übernommen hatte. Wenn einige diese Ahnenfrau dunkler costümirt wünschten, was allerdings der Deutlichkeit zugesagt und die Wirkung verstärkt haben würde; so erinnerten sie sich nicht, daß um der allerersten Erscheinung willen, wo Bertha selbst die Ahnenfrau seyn muß, beide auch in Farbe des Gewands gleich costümirt seyn müssen. Bertha aber kann als ein blühendes, junges Mädchen, die noch obenein ihren Geliebten erwartet, unmöglich in grau oder in eine andere dunklere Farben gekleidet seyn.

Das Haupt dieser dem Verderben geweiheten Familie, den alten Graf Borotin, gab Herr Burmeister mit der seinem Spiele eigenen Wahrheit und Gemüthlichkeit. Es kann nicht Würde und Anstand genug in diese Rolle gelegt werden, und daher sahen wir ihn besonders gern an der Stelle, wo der Alte, durch Mangel des Zartgefühls ihm gegenüber gereizt, noch einmal, wie der kranke und gekränkte Löwe, sich aufrafft. Die Sterbescene könnte doch etwas verstärkter und rascher gespielt werden. Sie wird sonst langweilig und – was wirklich dießmal der Fall – dem großen Theil der entfernten Zuschauer unverständlich. Man darf ja annehmen, daß der plötzliche Tod nur durch das Aufspringen des Verbandes herbeigeführt wird. Dieß wurde auch durch das Weglassen der letzten Tirade gut motivirt. – Herr Kanow als Jaromir g[e]nügte seiner Rolle, die ein ungewöhnliches Maß der Stimme und Kraft fordert, so vollkommen, daß wir einen andern ihm nicht zur Seite zu setzen wüßten. Das Haus erzitterte ob der gewaltigen Töne. Aber es lag in der Rolle, die so häufige Rezidive in den Räuber-Hauptmann hat. Der Genius der Kunst wird den trefflich begabten Künstler in andern Rollen schon Mäßigung einflüstern. Einige weiche Stellen gelangen ihm nicht minder, und würden noch größere Wirkung hervorgebracht haben, wenn die Dämpfung der Verständlichkeit nicht Abbruch gethan hätte. Das Entsetzen, mit dem er, der Gespenstererscheinung in der Erkerstube entsprungen, hereinstürzt, und das durch die Erscheinung der ihn auch hieher verfolgenden Ahnenfrau noch gesteigert wird, erhielt in seinem Spiel sein volles Recht und die darauf folgende Erzählung, die Perle des ganzen Stücks, wirkte sympathetisch auf die Zuschauer, in deren Gliedern ein kalter Schauer rieselte. Aber die Scene vor der Grabkapelle dauerte auch jetzt noch zu lange. Doch wurde der schroffe Uebergang vom vernichtenden Gefühl des Vatermords zum Zweifel, daß dieß sein Vater nicht gewesen sey, gut gegeben und dadurch die ruchloseste Begierlichkeit zur Zusammenkunft mit Bertha allein erträglich. Herr Herrmann als Kastellan gab das staunende Aufhor¦chen und die beklommene Theilnahme sehr gut und der Räuber Bolislav (Herr Schirmer) war ganz, was er seyn sollte. Möchten wir nun dasselbe von dem Schauspieler sagen können, dem der Hauptmann zugetheilt war. Declamation und Haltung unterbrachen unangenehm die schöne Rundung des Ganzen. Nur die angestrengteste Uebung wird gewisse Tonfälle in seinem Vortrag wegschleifen können! – Mad. Schirmer als Bertha vereinigte Tiefe mit Zartheit in ihrem Spiel und zeigte aufs neue, daß sie selbst Dichterin im Auffassen ihrer Rolle, dem Dichter meisterhaft zu ergänzen und zu verstehen wisse. Die Rolle kann bis zur empörendsten Widerwärtigkeit vergriffen werden, wenn Bertha als ein mantolles Ding sich dem Räuberhauptmann, den sie doch als solchen erkennt, nach bald erstürmter Weigerung hinwirft und sich überreden läßt, mit dem Bösewicht unter den Särgen ihrer Vorfahren um Mitternacht zusammen zu kommen und ihren ehrwürdigen Vater auf immer zu verlassen. Die Aufgabe ist also, durch die kunstreichste Entwicklung aller vor unsern Augen auf sie einstürmenden Motiven jede Unnatürlichkeit verschwinden zu lassen und uns statt Verachtung das tiefste Mitleid einzuflößen. Dieß im Auge, gab sie in dem ersten Akte die höchste Unschuld und sich hingebende Unbefangenheit eines fern von der Welt in einsamer Burg aufblühenden Mädchens mit der ganzen Macht der zum erstenmale gefühlten Leidenschaft. Wie mädchenhaft unbefangen erzählt sie den ihr vor dem Spiegel begegnenden gespenstischen Spuk, als sie sich putzen wollte. Wie naiv ihre Neugierde bei der Erzählung des Castellans von dem Schrecknisse der Ahnenfrau Daher kann sie auch später noch den grausenden Auftritt, den Jaromir mit der Ahnenfrau gehabt hat, mit rührender Arglosigkeit nur für eine Ausgeburt seiner erhitzten Fantasie erklären. Doch wird sie nun zum erstenmale ängstlich und sie überläuft der erste Gespensterschauer. Aber ihre reine, kindliche Natur schüttelt noch einmal dieß Gift ab und sie kann nun sogar wieder muthwillig werden, im scherzenden Ton das: ei, glauben, glauben u. s. w. aussprechen und beim Umbinden der Scherpe, die sie für ihren Jaromir gestickt hat, recht kindlich verliebt tändeln. Aber nun bricht eine Welt von Wehe und Jammer über sie herein. Damit verändert sich natürlich ihr ganzes Wesen. Sie lebt, fühlt nur noch in ihrem wunderbar erschütterten Geliebten. Dieß sagt uns der von der Künstlerin schon in immer höher steigender Bewegung sehr ergreifend gespielte Schlußmonolog des zweiten Akts. Schade, daß von den hier so rührend eingeflochtenen Erinnerungen ihrer Jugendfreude alles wegblieb. Es geht viel durch diese freilich kaum zu vermeidende Abkürzung verloren. Jetzt ergreift sie zuerst die Angst des Alleinseyns. Die Fantasie ist gespenstisch aufgeregt: was streift da an mir vorüber! bist Du’s geistige Sünderin! so überwindet sie zuerst die jungfräuliche Scham und läuft ins Schlafgemach des Jünglings.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden: „Die Ahnfrau“ von Grillparzer am 18.9.1817

Entstehung

vor 1. Oktober 1817

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 235 (1. Oktober 1817), Bl. 2v

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