Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 9. bis 10. Dezember 1817 (Teil 2 von 2)

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Mimisch-plastische Darstellungen.

(Beschluß.)

Die zweite Allegorie, die Göttin der Nacht, von Madame Hartwig mit ungemeiner Wahrheit und Mutterzärtlichkeit im Ausdruck dargestellt, ihren mit Sternen besäeten Schleier über die Genien des Todes und des Schlafes breitend, erhielt und verdiente aus ähnlichen Motiven gleichen Beifall. Nur würde der Eindruck noch reiner und ungestörter gewesen seyn, wenn die Träume, als Kinder, nicht um diese Hauptfiguren herumgruppirt gelegen hätten. Sie schlummerten. Wer hat aber je schlafende Träume gekannt? Phantasus und Morpheus sind ja die beweglichsten aller Gaukler. Man denke sich diese hinter einem ausgespannten Flor, die Nacht, ihre Mutter, umgaukelnd, umflatternd. Wie ganz anders würde die Wirkung seyn, da sie jetzt, wo sie auf einem Klumpen zusammengedrängt, aller Absonderung im Halbdunkel entbehren, einen wahren Widerstreit der Plastik und Mimik begründen. Dem Genius des Todes war die umgekehrte Fackel zugetheilt. Dann müßte aber auch der Schlaf sein Horn voll Mohnsaft, das ihm das Alterthum giebt, nicht entbehren. Würde dies aber auch verstanden, oder auch nur aus weiterer Ferne gesehen worden seyn? Besser, man unterscheide beide Zwillingsgenien durch die Farbe. In der bekannten Stelle beim Pausanias ist der Genius des nie erwachenden Schlafs schwarz. Es muß von der Farbe der Tunika, womit die Nacht bekleidet ist, abhängen, wie man die Gewänder des Schlafs und Todes färben will. Aber weiß kann eigentlich keine von beiden gekleidet seyn.

Zu den dankbarsten Gegenständen in der Kunst gehört gewiß die Belebungsfabel der Galatea durch den Bildner Pygmalion. Denn daß ein schönes Marmorbild vor unsern Augen sich belebt und den vor Liebe gegen seine eigne Schöpfung entbrannten Bildner in die Arme sinkt, kann ohne alle historische Ausdeutungen, schon in naturgemäßer, jedem gesundorganisirten Beschauer verständlicher Pantomime ganz anschaulich gemacht werden. Darum wird man nie satt werden, diese Darstellung im Melodrama oder auch nur mimisch uns vor’s Auge gebracht zu sehen. Mad. Schirmer gab uns eine vollendete, keines Reizes entbehrende Galatea. Nur durften wir hier, wo im beschränktern Kreise nur das Ich und Nicht-Ich, das Erwachen zum Selbstbewußtseyn und der Liebesblick auf den Künstler gegenüber, mit dem Her¦absteigen und der Umarmung ausgedrückt werden konnte, die ganze schon hinlänglich bekannte Sinnenbezeichnung des Gefühls, Geruchs u. s. w. nicht erwarten. Erblicken, Sehen, Umarmen, diese drei Momente wurden von der Alles fein bedeutenden Künstlerin mit höchster Wahrheit und Anmuth gegeben und durch Pygmalion-Flor im Ganzen auch richtig motivirt. Es lassen sich in Stellung und Geberdung beider Figuren hundert feine Schattirungen einzeichnen. Der Stoff ist unerschöpflich. Wir wünschen daher diese Pantomime noch öfter zu sehen. Sehr verständig war Galatea’s zarte Drapirung in einem, dem Rosenduft ähnlichen, fleischfarbnen Ton so gehalten, daß das Ganze im vollkommnen Einklang mit der Carnazion des Gesichts und der Arme wirklich nur ein Stoff (alabastro fiorito) zu seyn schien, welches unsren weißumschleierten Galateen gar sehr zu empfehlen seyn möchte. Aber die Statuen-Blende muß bei einer zweiten Vorstellung ganz in die Mitte kommen, wenn nicht die eine Hälfte der Zuschauer das Bild auf dem Fußgestelle blos aus der Mimik des Künstlers errathen soll. – Ueber die diesmal durchaus noch mangelhafte, der sinnlichen Motiven noch entbehrende Pantomime: das Erwachen des Orestes, soll in einem andern Aufsatz gesprochen werden. Die darauf folgende Doppelfolge ernster und launiger Gemüthszustände beurkundete ganz unzweideutig das sehr erprobte mimische Talent des Künstlers durch Mannigfaltigkeit und gelungnes Festhalten. Aber bei vielen vermißte die strengere Anforderung alle Grazie in geründeter Bewegung. Vieles war seiner Natur nach hier undarstellbar, z. B. Kummer, Geradheit, Grobheit, Dünkel und die verschiedenen Modificationen des Stolzes nach den Ständen. Auch ging Alles zu schnell, und konnte eben darum in den Uebergängen nicht fest genug abgegränzt werden. Wir wünschen, daß es dem an Fantasie und Gewandheit wohlbegabten Mimen künftig gefallen möge zu beherzigen, daß in der Kunst oft die Hälfte weit mehr sey, als das Ganze. Das Publikum erkannte mit lautem Beifall die vielfache Geschicklichkeit und den Eifer des Künstlers. Er wurde herausgerufen. Man erwartete auch hier nur einen Dank in Pantomime ausgedrückt. Er sprach. – Wir versprechen uns noch manchen erhöheten Genuß von ihm, und danken zugleich dem Künstlerverein unsrer Bühne, der auch dies Reich der Gestalten nicht außer seinem Kunstbereich und liebender Umfassung liegen ließ.

Böttiger.

Am 10. Decbr. Ser Marc Antonio.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden: Plastisch-mimische Darstellungen von F. Flor am 9.12.1817

Entstehung

vor 25. Dezember 1817

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 308 (25. Dezember 1817), Bl. 2v

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