Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 9. Dezember 1817 (Teil 1 von 2)

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Am 9. December. Zwei Nichten für Eine von A. v. Kotzebue und plastisch mimische Darstellungen, geordnet von F. Flor.

Das Publikum hatte in Fr. Kinds genialer Dichtung, im Weinberg an der Elbe, die durch lebende Figuranten gestellten, nach antiken Vasengemälden geordneten drei Tableaux á l’Etrusque auf der Bühne durch unzweideutigen, bei jeder Wiederholung sich laut aussprechenden Beifall anerkannt. Früher waren wir durch die Aufeinanderfolge von 12 Gemüthsbewegungen, welche die unvergleichliche Schröder uns vorzauberte, mit sehr ausgezeichneten Leistungen der Mimik bekannt worden. Auch war vieles noch unvergeßlich, was die vielgestaltende Hendel-Schütz uns zum Besten gegeben hatte. Wir wußten es daher der Direction großen Dank, daß sie das Anerbieten eines geistreichen Skizzisten in der Malerkunst, eines Schülers des Eutiner Hofmalers, vormaligen Neapolit. Directors, Wilhelm Tischbein, des Hrn. F. Flor, der theils in Berlin, theils hier in Dresden, wo er sich seit einigen Jahren aufhält, schon manche gelungene Proben seiner plastisch-mimischen Darstellungsgabe abgelegt hatte, annahm und ihm Gelegenheit verschaffte, seine Kunst in mannigfaltigen Versuchen auf der Bühne selbst zu entwickeln. So etwas bleibt nicht ohne mannigfache Aufregung, Anreizung und Besprechung. Das hier und da vielleicht zu freigebig gespendete Lob erregt und begründet Widerspruch. Das Historische der Sujets weckt Forschung. Die ganze Gattung dieser Gemäldestellungen wird erneuerten Prüfungen und Zweifeln unterworfen. Der Geschmack und Kennerblick der kundigen Zuschauer wird verfeinert und geübt. Der Sinn für malerische Geberde, für Ordonnanz der Stellungen, für Gruppirungen, wird bei den ausübenden Künstlern sowohl als bei dem aufmerkenden Publikum in lehreich eingreifender Wechselwirkung geschärft. Darum verdiente es gewiß auch die lebhafteste Anerkennung, daß unser unermüdeter Regisseur Herr Hellwig durch thätige Mitwirkung alle Schwierigkeiten zu entfernen wußte und daß die ersten Schauspielerinnen unsers Theaters die Sache mit lobenswürdiger Bereitwilligkeit unterstützten und gern alles aufboten, um die Idee des Künstlers in sich selbst aufzunehmen und zu verwirklichen. Es war der erste Versuch dieser Art. Es konnte bei der Kürze der Zeit, in welcher es beschlossen wurde, kaum eine einzige vollständige Probe vorausgehn. Dieß muß die allzueigensinnige Kritik entwaffnen. Ein zweiter Versuch – er kann nicht ausbleiben – entscheide erst über die ganze Leistung!

Ein Amazonenkampf in drei Bildern eröffnete die sogenannten plastischen Darstellungen. Sie wurden als Proben des hohen Styls in der griechischen Kunst gegeben. Allerdings stammen die herrlichsten Gruppen der Amazonenkämpfe auf Reliefs und in Vasengemälden aus dem Zeitalter des Phidias und seiner Zeitgenossen, in welches die Kunstgeschichte den hohen Styl setzt. Herr Flor machte dabei den griechischen Helden, einige Choristinnen hatte er in Amazonen umgeschaffen. Störend mußte hier, wo strenge ¦ Beobachtung des Costüms allein bestimmte Umrisse in den Formen gewährt, der weiße Frauenrock wirken. Die Amazonen, die aus Tischbeins Vorzeichnungen hier allein anwendbar waren, tragen enganliegende Felle um Schenkel und Füße, als fertige Reiterinnen. Am gefälligsten erschien die dritte Gruppe, die halbhingesunkene sterbende Amazone von einem griechischen Kämpfer unterstützt. Nenne man sie Achilles und Penthesilea nach der bekannten Stoschischen Gemme. Es ist eine wunderschöne Gruppe. Aber wer vermag sie nachzuahmen oder gar zu verkörpern. Gewiß es gehören langfortgesetzte Vorstudien dazu, um so fremdartige Erscheinungen mit Erfolg in unsern Gesichtskreis zu bringen. Die Vorwelt verklärt sich herrlich in diesen Gestalten und darum ist Tischbein so verliebt in sie. Wir loben uns etwa Cosakenkämpfe und Marketenderscenen in Wallensteins Lager!! – Aus der griechischen Kunst überhaupt erschien uns hier der Raub der Cassandra (Cassandra durch Dem. Christ malerisch-reizend dargestellt, wozu die volle weiße Drapirung der Beleuchtung günstiger war, als in andern Figuren), der Triumph der Helena über den Zorn des Menelaus, noch ein Gemälde Tischbeins (wir würden die berühmte Vasenvorstellung Tischbeins Homer weit vorziehn) und Menelaus (nicht Ajax) mit dem Körper des Patroclus. Diese Gruppe wurde nach dem herrlichen Abguß in unserm Mengsischen Museum (sie ist so nirgends weiter vorhanden) von Herrn Hellwig, der im blitzenden Zornblick und bebender Muskelanstrengung die Kraft des griechischen Heros (man lese die Iliade XVII., 588) herrlich wiedergab, und Herrn Flor, der den Leichnam bildete, so genau ausgedrückt, daß sie auch, ohne alle historische und technische Vorkenntniß in Anspruch zu nehmen, doch allgemein gefiel. Hier war also ein Fingerzeig, was uns aus der Antike in plastischen Verkörperungen auch heute noch ansprechen kann. Die so oft gewählte und auch im neuen Trauerspiele auf die Bühne gebrachte Versöhnungsscene Coriolans durch die römischen Frauen, die uns hier auch als Tableau gegeben wurde, kann nur durch Kindergruppen ins Sentimentale hinübergespielt, unsrer Art zu sehen und zu empfinden, näher gerückt werden. Wie vorherrschend die Neigung zum Sentimentalen in den Zuschauern sey, zeigte der entschiedene Beifall, den die allegorische Gruppe des gesunkenen Mannes erhielt. Sie war vom Künstler, der den gesunkenen Greis selbst bildete, geistreich geordnet und wohlgefällig ausgeführt worden. Der Sinn des Bildwerks ist: der Zeitgott, ein bärtiger Greis mit großen Flügeln an den Schultern in grauem Gewand, will einen entkräfteten, schon auf die Knie eingesunkenen Greis entführen (Bild des griechischen Todes, des Thanatos). Glaube und Hoffnung stehen als stützende Trösterinnen ihm zur Rechten und zur Linken. Den Zeitgott machte Herr Burmeister, die zwei personifizirten Tugenden Dem. J. Zucker und Dem. Schubert, die auch noch einige andere Darstellungen sehr freundlich unterstützte, so fertig und anmuthig; die Sache selbst sprach sich so deutlich und gemüthlich aus, daß es seine Wirkung wohl noch öfters thun würde.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden: „Zwei Nichten für Eine“ von August von Kotzebue am 9.Dezember1817 / Plastisch-mimische Darstellungen von F. Flor

Entstehung

vor 24. Dezember 1817

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 307 (24. Dezember 1817), Bl. 2v

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