Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: 21. bis 22. Februar 1818

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Am 21. Februar. Raoul der Blaubart. Mad. Sandrini gab die Rolle der Marie mit vielem Beifall.

Am 22. Februar. Zum dritten Male: Die Waise und der Mörder, Melodrama in drei Akten, mit Musik vom Kapellmeister Ignaz von Seyfried.

Die zweite und dritte Vorstellung dieses Stücks erndtete bei überfülltem Hause den lautesten und gegen das Ende zu stets steigenden Beifall. Die tief ergreifende, rührende Beredtsamkeit in der Pantomime des stummen Victorin bis zum convulsivischen Zorn, der ihm die Sprache wieder giebt, tritt bei jeder Weiderholung herzgewinnender und vollendeter hervor. Fragt man, durch welche Zauber Madame Schirmer, in deren Spiele sich dieser verstummte Jünglingsknabe zu einer in ihrer Art einzigen Erscheinung auf unserer Bühne gestaltet, dieß bewirkt, so ist es jene sittliche Grazie und Reinheit des Gefühls im lebendigem Quell ihres eigensten Selbst, gegen welche alle bloße Kunstleistung doch nur als eine geschminkte Lüge erscheint. Nur eine moralisch gute Künstlerin kann dieser Rolle ganz genügen. Es versteht sich aber von selbst, daß ein so durchdachtes, in jeder Miene und Bewegung geregeltes Spiel nicht ohne das, was man das innere Bewußtseyn der Kunst nennen möchte, seyn kann. Denn da ist nie Sicherheit des Erfolgs, wo es von der augenblicklichen Begeisterung, so nennt man ja die Anregungen des sich mit der Rolle identifizirenden Gefühls am liebsten, allein abhängt. Es giebt wohl große Effecte, gewaltige Lichtmassen, aber auch höchst verdrießliche Verdunkelungen. Die geringste Störung wird Zerstörung. L. Tiek hat in der zweiten Abtheilung des dritten Bandes seines Phantasus neuerlich viel Treffendes darüber gesagt. Das unverkennbare Merkmal, daß Kunst mit dem Gefühle im Bunde zur Natur werde, ist, wenn nie mehr gegeben wird, als eben nöthig ist. Und gerade darin, in dieser vollendeten Mittellinie des Spiels, zeigt Mad. Schirmer als Victorin ihre ganze Kunst. Sie erlaubt sich nie auch nur eine Linie weiter zu gehen, als die Situation gerade fordert. Es ist alles so, weil es so seyn muß. Es hat daher auch Einzelnen, die an starke Farbgebung gewöhnt nur durch Effecte gereizt seyn wollen, fast bedünkt, als sey hie und da Eintönigkeit und Wiederholung im Spiel. Diese würden auch einem Carravagio vor einem Rafael den Vorzug geben. Die Manier gefällt stets der Menge. – Es versteht sich, daß die Scenen, die wir schon bei einer frühern Beurtheilung, als vorzüglich dankbar erwähnten, bei der Weiderholung noch mehr gefielen, zum Theil auch wirklich durch kleine Zusätze reicher ausgestattet erschienen. Die bis zu einer Art von Heroismus gesteigerte Leidenschaftlichkeit, womit Victorin den treuen Valentin umklammert und ihm selbst ins Gefängnis folgen will, erhielt bei jeder Vorstellung noch einige aussprühende Lichtfunken mehr. Vieles kommt dabei auf den Zu¦spielenden an. Herr Schirmer als Valentin übertraf durch Wahrheit und malerische Haltung seines Spiels in diesen Scenen seinen Vorgänger ungemein. Man fühlt sich tief ergriffen, wenn er dem knieenden Victorin die streichelnde, gleichsam segnende Hand auf den Kopf legt. Dreimal steigert Victorin die der Schreibtafel sich bedienenden Ungeduld. Wie sehr gelang ihm die letzte Stufe, wo er niederknieend auf dem Knie schreibt! Mit höchster Präcision wurde bei der dritten Wiederholung der blitzschnelle Effect des erst nur halb, dann ganz gesehenen Mörders gegeben. Beim ersten Blick die krampfhafte Zuckung, beim zweiten der Schrei! Zu dem, was aufmerksame Zuschauer am meisten befriedigt, mag überhaupt wohl noch die oft wiederkehrende, aber immer anders motivierte Andeutung gerechnet werden, daß die Künstlerin, so oft sie sich einer sie flüchtig berührenden Empfindniß der Freude oder Zärtlichkeit gegen Angelique bewußt wird, sogleich sich gleichsam selbst strafend wieder zum Grundton ihres Spiels, zur unaussprechlichen Wehmuth, in leisen Bebungen zurücktritt. Solchen Leistungen mag das lauteste Beifallklatschen nur ein geringer Zoll seyn. Auch durchschneidet es unangenehm die das Ganze tragende Musik. Dennoch rauschte es einigemal recht laut entgegen. Die lieblichste Anerkennung wurde der Künstlerin wohl durch die Thränen der Rührung, die von allen Seiten flossen, und durch die Anregung edler Gefühle in mancher sonst harten Brust. Daß sie nach jeder Vorstellung herausgerufen wurde, versteht sich von selbst, ob sich gleich dies bei uns sonst nur selten zuträgt. Es fodert aber die Gerechtigkeit, hiebei allen Mitspielenden das Zeugniß nicht vorzuenthalten, daß sie redlich zum Gelingen des Ganzen beitrugen. Herr Werdy, welcher die Rolle des Grafen übernommen hatte, spielte mit angemessenem Anstand in geschmackvollem Costüm, der redliche Kriegsmann Martial, von Hrn. Zwick ganz im Character aufgefaßt, hatte recht gelungene Momente. Angelique, in welcher Dem. Julie Zucker eine recht liebliche Erscheinung war, zeigte in einigen gefühlvollen Situationen ein ausdruckvolleres Mienenspiel. Vor allen aber gnügte Herr Geyer in der verhaßten Rolle des Mörders, besonders bei der dritten Vorstellung, durch kräftige Wahrheit und zeigte durch die gediegene Haltung, daß er als denkender Künstler ein Ganzes zu geben verstehe. Er ist kein ganz verhärteter Bösewicht und hat menschliche Anwandlungen. Daraus würde sein dem ersten Anschein nach nicht genug verlarvtes Spiel gleich in der ersten Scene schon vollkommen gerechtfertigt werden, wenn nicht dieß auch im Fortgang motivirt würde. Sehr verständig hatte er in der 3ten Vorstellung die rothe Bekleidung in schwarze verwandelt. Auch gelang dießmal der Theatercoup an der Kapelle vollkommen. Schade, daß der Blitz nur einige Secunden zu spät beleuchtete. In der Kapelle muß wohl auch ein Licht brennen.

Böttiger.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: 21. bis 22. Februar 1818, dabei besonders über „Die Waise und der Mörder“ von Ignaz von Seyfried.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 61 (13. März 1818), Bl. 2v

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