Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Corregio und Michel Angelo“ von Oehlenschläger am 7. Dezember 1818 (Teil 2 von 2)
Correggio und Michel Angelo.
(Beschluß.)
Michel Angelo’s Rolle fodert ganz den kernfesten, kräftigen, in Jähzorn auffahrenden und doch gefühlvollen Ausdruck, den Hr. Hellwig ihr gab. Der stolze Florentinische Bürger, den, wie uns seine Biographen erzählen, die Päbste neben sich sitzen ließen und die Fürsten aus dem Hause Medicis oft nur mit entblößtem Haupte anredeten, der 90 Jahr alt wurde, an dem alles plastisch war, tritt, so dargestellt, wirklich vor uns. Selbst sein geschmückteres, dem bloßen Künstler kaum angemessenes Costüm mag uns daran erinnern, daß ihn sein Herzog einst als Ambassadeur brauchte. Der neckende Spott, womit sich seine gewaltige Kunstnatur selbst gegen den Giulio Romano herrisch ausspricht; die kleine, aber höchst ergötzliche Scene, worin er dem schleichenden, heimtückischen Battista (von Hrn. Zwick ganz im Charakter dargestellt), die anspringende, nach dem Rücken des Gauners lüsterne Wünschelruthe zeigt; vor allem aber das ungemein gemüthliche Spiel mit dem Knaben und der Mutter vor Correggio’s Staffelei, ward nach Verdienst auch vom Publikum erkannt. Derb mag der Buonarota mehr schon gespielt worden seyn, aber diese Mischung von Genialität und Gemüth setzt noch etwas besseres voraus. Nur in der Scene, wo ihm Giulio wegen seines Mißbenehmens gegen den zarten Correggio den Text lies’t, wo er endlich verstummen muß, hätten wir wohl noch ausdruckvolleres Mienenspiel erwartet.
Aber auch dem Guilio Romano wiederfuhr durch Hrn. Julius sein volles Recht. Maske, Costüm, Haltung, Bewegung waren ganz, wie wir sie von diesen kräftigen Geisteserben seines Meisters Rafael zu denken gewohnt sind. Selbst die kleine Glatze auf dem Kopfe stimmt zu dieser Fröhlichkeit und Lebenslust. Michel Angelo macht ihm einmal in der Unterredung seine Galanterie zum Vorwurf. Aber es ist die eines Meisters, der den Gigantensturz im Pallast del T, und den Polyphem in der Villa Madama malte. Er hat die Welt genossen, aber dabei nicht vergessen, daß Herzensgüte der Engel sey, der „den Weg zur Heimath mit dem Lilienstengel“ zeigt. Nur beim Hereintreten, wo er von der Beschauung der Nacht in der Kirche kommt, hätte er, vielleicht durch eine kurze, sinnende Pause in dem, das Gesehene noch einmal vergegenwärtigenden, Fantasiespiel, uns den gewaltigen Eindruck, den er so eben empfing, noch anschaulicher machen können.
Die kleine, und für diese Aufführung noch weit enger zusammengerückte Rolle der Frau des Correggio, der Maria, wußte Mad. Schirmer durch ¦ stille Demuth, züchtigen Anstand und Ergebung in den Willen des einzig geliebten Gatten dennoch bedeutend zu machen. Man glaubt es, weil man es sieht, daß Correggio zu seinen Madonnen und Magdalenen keines andern Ideals bedurfte, als diese, ihre Anmuth selbst kaum ahnende Töpfertochter. Die zarte, sich in sich selbst zurückziehende Sinnpflanze entfaltete jedoch in der Unterredung mit Michel Angelo, wo dieser ihren Glauben an den geliebten Gatten und seine Kunst so hart auf die Probe stellt, ihre ganze innere Blüthe; ihr Blick vergeistigte, ihre Miene belebte sich. Es ist die Rede mehrmals von honigsüßem Lächeln, das Kenner wohl selbst schon Correggität in den Bildern dieses Meisters genannt haben. Die Künstlerin wußte auch dies in dem Moment, wo er sie dem Bilde gegenüber stellt, ohne Grimasse „süß, unschuldig,“ wie er es selbst haben will, wiederzugeben. Vielleicht hätte es auch beim Schlußvers des Ganzen: „jetzt blüht ein paradiesisch Leben uns!“ noch kräftiger zurückgespiegelt und überhaupt dieser Schluß durch eine stärker hervortretende Mimik und Steigerung des Ton ergreifender gehoben werden können! – Wie gern möchte man nach diesen wenigen Probescenen die Künstlerin auch in der Situation, wo Ottavio als lüsterner Verführer zurückgewiesen wird, und an der Leiche ihres Mannes sehn?
Dies bringt uns zum Schluß zur Darlegung eines Wunsches, den ein achtungswürdiger Theil des Publikums, wohin besonders auch die zahlreichen Künstler und Kunstfreunde unsrer Stadt gehören, hier mit Bescheidenheit auszusprechen wagt. Möge uns bald der ganze Correggio auf der Bühne erscheinen! Die Scenen in der Bildergallerie des Ottavio zu Parma, die Krönung Correggio’s durch die himmlische Celestina, die Räuberscene im Walde mit dem Eindruck, welchen das Bild der Magdalene auf diese verwilderten, doch reizbaren Wegelagerer machte, Laurette’s Lied (wir haben eine sehr liebliche Laurette bei unsrer Bühne), der herrliche Monolog des sterbenden Correggio mit der verspäteten Botschaft des Herzogs von Mantua, sind Scenen, die, recht dargestellt, zu den gelungensten auf deutschen Bühnen gehören. Man mag dem Dichter, der auf einen Tag so viel zusammendrängt, gar manches zur Last legen. Man mag den historisch-wahren Tod des Correggio unpassend für’s höhere Trauerspiel finden. Aber er erfüllt uns doch, so motivirt und herbeigeführt, wie es Oelenschläger zu machen wußte, mit tiefer Wehmuth. Mit alle seinen Mängeln ist Correggio eines der effektvollsten und lehrreichsten Stücke der deutschen Bühne. Wer möchte noch nach einer so lockenden Probe den Genuß des Ganzen entbehren? –
Böttiger.Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Corregio und Michel Angelo“ von Oehlenschläger (Teil 2 von 2), der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe.
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 304 (22. Dezember 1818), Bl. 2v