Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Johanna von Montfaucon“ von Kotzebue am 14. August 1819 (Teil 1 von 2)

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Sonnabends, am 14. August. Johanna von Montfaucon, romantisches Gemälde in fünf Akten. Johanna Mad. Schröder.

Kotzebue, damals Theaterdichter in Wien, schrieb die Rolle der Johanna für die gepriesene Betty Rose. Seitdem ist sie das bis zum Ueberdruß abgetriebene Paradepferd aller nach Effect geizenden, gastirenden Schauspielerinnen geworden. Das Stück schwimmt in falscher Sentimentalität und hat, nimmt man die Hörner und die Knappenderbheit aus, kaum einen Anklang der Zeit, worin es dem Titel nach spielt. Man kennt A. W. Schlegel’s Epigramm auf das Stück:

Mit Horsthörnern und Burgen und Thürmen pranget Johanna,Traun mir gefiele das Stück, wären nicht – Worte dabei.

Es ist schon von andern bemerkt worden, daß diese Johanna in den ersten Akten völlig so spricht und empfindet, wie eine sentimentale Dame aus den Familiengemäldeu Lafontaines. Und doch wie interessant ist der Stoff, welche Gelegenheit giebt diese Rolle einer vollendeten Schauspielerin, alle Steigerungen der Gatten- und Mutterliebe uns auf’s lebendigste zu vergegenwärtigen! Wenn eine Schröder sich zu dieser Rolle noch einmal herabläßt, so will man nur sie sehen. Alles andere ist nur Einfassung. Dann müßte man aber auch wünschen, ihre Clementine von Aubigny zu sehen. In der Johanna siegt die Mutterliebe. Sie opfert sich dem Verräther. Clementine bringt die heißeste Mutterliebe dem Ganzen, der Rettung des Vaterlandes, zum Opfer und steht in so fern noch höher.

Es giebt bei Rollen der Art einen doppelten Abweg. Wir sahen sie mit der übertriebensten Beweglichkeit und Leidenschaftlichkeit spielen. Da wird’s lächerliche Carricatur. Oder die verständige Schauspielerin mildert die Weichlichkeit des ersten Akts und die Gräßlichkeit des fünften. Das heißt man verschönern und es wird hochgepriesen, ist aber doch auch falscher Firniß. Zwischen beiden hält das Natur-Spiel der Meisterin die allein zu rechtfertigende Mitte. In dieser Rolle erschien Mad. Schröder uns in allen ihren Stellungen und Bewegungen ächt plastisch. Nur eine manirirte, ja tollgewordene Sculptur – man gehe in die Gärten von Sanssouci oder andere Lustplätze mit alt-französischen Bildwerken geschmückt – geht in Verzuckungen und gewaltsame Bewegungen über. Ruhige, gehaltene Würde blieb bei Mad. Schröder auch dießmal der Grund¦ton. Aber sie malt auch – mit der Stimme. Da ist Schatten und Licht und jede Mitteltinte in herrlichster Verschmelzung. Die gewöh[n]lich declamirenden Schauspieler malen nur in Geberden und solcher Malerei thut man die Ehre an, sie Mimik zu nennen.

Wir übergehen hier alles, wodurch sie im ersten und zweiten Akt die wahre Künstlerin beurkundete, den Wohllaut, womit sie dem verkappten Lasarra das Glück ihrer Ehe schildert, welches aber im fünften Akt, wo sie die Reize ihres Lebens mit Adelbert selbst in der Verbannung mit unbeschreiblicher Süßigkeit ausmalt, noch überboten wurde; die Wahrheit, womit sie das Schrecken der Burgfrau nach der erstürmten Burg darstellte. Entsetzen beugt ihr die Knie, Schrecken pei[t]scht sie fort. Daher das geknickte Hinhutschen, aber auch die Steigerung durch Schnelligkeit der Füße und Beweglichkeit der Arme. Uebrigens nicht die geringste Spur von berechnetem Studium. Man ist überzeugt, daß es nur so seyn kann und daß es der Affect, die Situation in diesem Augenblick so und nicht anders ausprägen mußte. Dasselbe gilt auch von der darauf folgenden Dolchscene im zweiten Akt, wo die Ohnmacht, in welcher ihr Lasarra den Dolch entreißt, und ihre Zurückkehr zur Besonnenheit ganz dazu geeignet war, uns zu zeigen, was Seelenschmerz, was physisches Unvermögen zur Ohnmacht beitragen. Dabei nirgends Trotz, in dem wir so viele Johannen sich vergreifen sahen, nur Muth im Selbstgefühl.

Ihren Racheschrei und Jubelschrei im fünften Akte zu hören und die sie begleitende Mimik zu beobachten, ist ein so seltener Genuß, daß man selbst die Unnatur des Flickwerkes bei einem solchen Stücke gern aushält. – Sie tritt nun im Trauerkleide und aufgelös’ten Haaren ein. Kotzebue läßt sie durch einen lächerlicehn Mißgriff als Büßerin erscheinen. In sich gekehrt, im Innersten ermattet, aller Umgebung abgestorben, in hoffnungloserem Hinbrüten steht sie da mit gesenktem Haupte und herabgesunkenen Armen. Hier spielt also anfangs nur die Stimme. Diese ist gedämpft, langsam eintönig, aber doch fest und mit einzeln starken Betonungen, Anklängen unerschütterlicher Entschlossenheit. So wirft sie’s mit furchtbarer Kälte hin: Ich dulde allen Spott. Nur mit einer Viertelsbewegung des Kopfs zum wüthenden Lüstling hin Worte, wie: ihr könnt noch scherzen, oder: für mich ist keine Zukunft. Ihr nein! nein! verdient Glauben.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Johanna von Montfaucon“ von Kotzebue (Teil 1 von 2)

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 203 (25. August 1819), Bl. 2v

Textkonstitution

  • „Familiengemäldeu“sic!

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