Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Sappho“ von Grillparzer am 19. August 1819 (Teil 1 von 2)

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Donnerstags, den 19. August. Sappho, Trauerspiel in 5 Aufzügen, von Grillparzer. Sappho, zum zweiten Mal von Mad. Schröder.

Wir finden darin, was in der ersten Anzeige über das meisterhafte Spiel unserer Künstlerin gesagt worden ist, im Allgemeinen nur wenig zuzusetzen. So wie sie einmal das Bild dieser Sappho in sich hervorrief und gestaltete, muß es bleiben. Kleine Abänderungen gleichen dem beweglichen Faltenwurf in der Drapperie. Der damit umhüllte Körper bleibt derselbe. Der kunstfertige Beurtheiler des Sapphospiels in Leipzig (in der Zeitung f. d. e. W.) nennt die erste Vorstellung die gelungenere. Wir müssen der zweiten, wie sie sich uns darstellte, den Vorzug geben. Alles was die Kritik in falscher Betonung und Hervorhebung dort auszusetzen findet, war hier nicht bemerkbar. Auch kannte, wie wir mit Gewißheit versichern können, die Künstlerin jenen Tadel nicht. Dieß beweiset, daß selbst die besonnenste, sich ganz beherrschende Künstlerin von Umständen abhängt und daß die wahre Kritik nur dann dergleichen Fehler zu rügen berechtigt ist, wenn sie nicht Kinder des Augenblicks, sondern eines eingewurzelten, sich überall hervorthuenden Irthums sind.

Wir wollen nur aus den drei letzten Akten einiges ausheben, welches für uns bei der zweiten Vorstellung noch vollendeter hervortrat. War der bei der Erzählung des Traums, den Phaon hatte, von der gelöseten Zunge plötzlich abgeschnellte Laut Melitta! dießmal weniger schneidend und eindringend, so übertraf sich die nie ganz sich gnügende, stets im besten Einklang zum Ganzen, wie es eben jetzt fortschreitet, gestaltende Künstlerin selbst wieder in der Darstellung bei dem höchst malerischen Beschleichen, Belauschen, Küssen ihres auf der Rasenbank hingegossenen, schlummernden Phaons. Die Zärtlichkeitscene mit der ihr auf einmal schuldlos erscheinenden Melitta wurde noch viel weicher und einschmeichelnder gegeben, als das erstemal. Weit mehr motivirte sie auch die steigende, bis zum Dolchstich sich erhitzende Eifersucht über das Erröthen der Melitta. Als sie die Worte spricht: damals als Phaon – weißt sie, Melitten an der Schulter fassend, auf den Rasensitz hin. Da muß ja wohl Melitta erröthend sich wegwenden. Sappho ist betrogen. Die Eifersucht greift zum Dolch. Aber auch so geht die Liebe zum Phaon nie in Haß unter. Wie viel Seele auch dießmal in dem dreimaligen Ausruf: Phaon! Das letztemal ist’s nur der Hauch eines Seufzers, das sehnsüchtigste Sospiro. Im vierten Akt wurde gleich im ersten Monolog der Undank weniger gemalt, dagegen aber die ihr gleichsam von oben kommende Eingebung, das Mädchen zum Gastfreund nach Chios zu schicken, weit ausdruckvoller gespielt. Das Durchzucken des Gedankens, der in den Worten ausbricht: Ihr Götter lebt! wurde weit lebendiger vorgestellt. Wir sahen dießmal wirklich die Inspiration über sie kommen. Als von der Schlange die Rede ist, sieht sie heute nicht auf die glatte, schöne Gestalt auf der Erde. Sie blickt nur vorwärts. Die Schlange ist ja nur in ihrer Fantasie! Aber um so erschütternder giebt sie das letzte Beiwort giftig! in ihm ist alles Abscheu¦liche zusammengefaßt. Unvergleichlich sprach sie, sich mitten im Ertheilen rächender Anordnung unterbrechend, das schöne, mildernde Wort: nicht streng. Mit unwiderstehlichem Zauber ergriff es auch die Zuschauer. Der lauteste Beifall schallte dazwischen. Eben so ergreifend wirkte die mit schmerzlicher Wahrheit gesprochene Klage: Phaon, was hab’ ich Dir gethan! Auch brach alles in den lautesten Beifall aus. Welch eine Tonleiter zwischen dieser schmeltenden Klage und dem Ausbrechen der Zornwuth, als sie Phaons Flucht mit Melitten erfährt. Nach so einem Donnerwetter, dessen wir sie kaum fähig gehalten hatten, ist freilich das ermattete Niedersinken, wie sie es am Schluß dieses Akts giebt, die natürlichste Folge.

Beim Anfang des fünften Akts ging allerdings durch die noch mangelnde Beleuchtung Anfangs sehr viel vom ausdruckvollen Mienen- und Geberdenspiel der harrenden Sappho verloren. Allein im Verfolg, wo es ganz Tag geworden war, gab die Künstlerin, wenn wir unserer Erinnerung trauen dürfen, vieles noch wirksamer und gerundeter und lehrte uns dadurch, daß ihre stets neu gestaltende Kunst nichts von Stereotypen wisse. Höchstlebendig und für die Annahme, daß Schröder-Sappho sich nie gnüge, immer noch herrlicheres gestalte, vielbeweisend war dießmal ihr Abgang nach jener seelenvollen Ausrufung: Es ist zu viel, und nach der sie bebend-durchzückenden Berührung, wo das wehe mir! von andern Schauspielerinnen, die in der Sappho erscheinen, so gegeben wird, als unterliege sie der Schmach, da sie doch einen neuen Liebespfeil fühlt. Doch endlich ist der große Entschluß gereift. Sie eilt zur Sühne alles Irthums in den Hallen ihrer Villa zurück. Allein vorher besinnt sie sich erst nochmals, indem sie weiter vortritt. Kleine Pause. Dann wirft sie einen Blick auf das liebende Paar, nicht zürnend, auch nicht starr anschauend, sondern als ob sie ihnen huldreich verzeihe. Nun erst wendet sie sich und geht. Mit würdevoller Mimik gab sie das letzte Gebet an die Götter. Eine schöne Aufeinanderfolge malerischer Stellungen in hoher Ruhe. Während der ersten 14 Verse hält sie die rechte Hand bis zur Halshöhe malerisch empor, wozu ungemeine Kraft gehört. Der Purpurmantel deckt den Arm und drappirt sehr schön, indem er von da herabfließend eine breite Fläche bildet. Durch eine leise Wendung der Hand bald nach außen, bald nach innen unterbricht sie dabei die Einförmigkeit des Gests. Erst bei den Worten: Ihr habt der Dichterin vergönnt zu nippen! senkt sich die Hand und berührt den Busen. Herrliche Malerei in der Stimme bei den Versen: Ihr bracht die Blüthen, brechet auch den Stamm! Erlasset mir den Kampf! sehr eingesunken und ermattet. Nun halb rückwärts gewandt mit der lautesten Begeisterung: Das Feuer lodert u. s. w. Diese ächte antike Pantomime endet damit, daß sie schweigend noch einige Schritte vorwärts thut, zugleich aber die mit Inbrunst an ihrer Brust gedrückte Lyra – wie eine Mutter ihr Kind an sich preßt – mit dem Mantel einhüllt und nun schnell in den Mittelgrund schreitet, um den Segen über Phaon und Melitta zu sprechen.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Sappho“ von Grillparzer (Teil 1 von 2)

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 209 (1. September 1819), Bl. 2v

        XML

        Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
        so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.