Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „König Yngurd“ von Adolph Müllner am 12. August 1819 (Teil 2 von 2)

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König Yngurd.

(Beschluß.)

Natürlich herrscht die gespannteste Aufregung bei der Schlußscene, wo der ahnende Mutterschmerz in Wahnsinn und von diesem in Wahnwitz übergeht. Wir kennen des Dichters eigene Ansichten über dieses Spiel und wagen daher unbedenklich die Versicherung, daß er mit dieser Kraft und Herrlichkeit, womit die Schröder alles gestaltete, gewiß ganz zufrieden gewesen seyn würde. Wie tritt sie ein. – Das schiefe Krönchen auf dem Haupte fehlte auch hier nicht, weil man annehmen muß, daß sie früher schon Anfall von Wahnsinn hatte, also dadurch das, was darauf geschah, gleich an die Gegenwart angeknüpft wird. Unsäglich leidend, erschöpft, zermalmt ist ihr Eintritt. Sie vermag die Hände nicht ganz empor zu heben, oder auch nur mehr auswärts zu strecken, sondern sie hält sie immer einwärts eingebogen, halbschlaff herabhängend. Der Kopf ist ihr unendlich schwer. Natürlich also die einzelnen wiederkehrenden Gesten – da, wo eine Motive von außen oder innen eintritt – das Aufstützen des Kopfes auf der einen untergeschobenen Hand, des Greifens an der Stirn und Schläfe u. s. w. Es ist aus voller Erschlaffung Versunkenheit geworden. Mahlt nun schon ihre Stellung, so geschieht dieß noch weit mehr durch ihre Stimme. Wie vielbesaitet erklingt ihr Organ in diesem Jammer der Mutter, in diesem Irrereden des Wahnwitzes! Im Grundton ist sie immer im tiefsten Wehmuth aufgelös’t, zerschmolzen. Allein der herzzerschneidende Jammer ist durch die sie in der Mitte beschleichenden Geistesverwirrung gleichsam verhärtet, versteinert. Das nannte jemand einen crystallisirten Klageton. Da ist alle Modulation verschwunden, aller Wohllaut getödtet. Es ist gleichsam nur noch das fest da stehende Sklelet der Stimme übrig geblieben. Man möchte in einzelnen Momenten eine vierfache Tonleiter in ihrer Stimme hier annehmen; der weichste Jammerton der Mutter, da, wo sie noch Bewußtseyn hat und nur auf’s rechte sich nicht besinnen kann; der in sich murmelnde Ton im Wahnsinn, (wobei wir die Feinheit nicht unbemerkt lassen können, daß, als sie das sogenannte Wiegenlied zum zweitenmal geschwirrt, nicht gesungen hat, sie beim drittenmal nur die Endworte: „Mutter – den Knaben ein“ in sich hinein wisperte und doch vernehmlich war!) den entschlossen abwehrenden, wo sie auf einmal aus dem langsam gezogenen Jammer fällt. (So wie sie vom Abwaschen der Leiche spricht und plötzlich in schnellem, familiären Tone hinzusetzt: „der Mutter ist’s nicht zuzumuthen“); der im Wahnsinn frohlockende Ton. Hier ist der Klang der Stimme, was das aus der Starrsucht aufgelös’te feuchte Aufblicken des Auges, das nun in Liebäugeln oder in kindische Freundlichkeit übergeht und die Lippen ¦ zum Lachen verzieht. Dieß thut die furchtbarste Wirkung, z. B. bei den Worten: „Du zärtlich Ding! wenn auch das Herzchen bricht!“ Hier hilft das vom Dichter mit tiefem Sinn gewählte Spring-Metrum: „Der Bauer ist kräftig, der König ist mächtig“ u. s. w. – Wie sprach sie die Worte, in Honig verrückter Zärtlichkeit getaucht, von Eglof: „Der Narr, ich hatt’ ihn lieb!“

Zum Ueberfluß nur noch folgendes: Sie kommt gleich anfangs gleichsam herein gehuscht, tritt zutraulich zu Yngurd, als wollte sie ihm etwas an’s Herz legen, schaudert aber mit dem entsetzlichrn: „o Yngurd!“ zurück. Unbeschreibliche Innigkeit in der Beschwörung der Irma. Sie macht die Stellung der Supplication lange vorher, ehe sie ihre Knie zu umfassen sich niederläßt. „Rette ihn aus des Tiegers Klauen!“ nicht mit Zorn, nur als Angstschrei ausgestoßen. Meisterhaft gab sie die stufenweis eintretende Ideenverwirrung, wo sie Ottfried, Eglof, die Verjüngung im Ehebette in einander verwickelt. Sie weint nicht. Als sie aber mit schmelzendem Wehmuthsk[l]ange die Worte gesagt hatte: „Seit Oskar fort ist, weiß ich alles schlecht!“, da wurde alles unbeschreiblich ergriffen und kein lauter Athemzug war im vollen Hause zu bemerken. Was Irma ruft: „Unglückliche, mich überfällt ein Grauen!“ war das Unisono aller Anwesenden. Herrlich war das Auflodern bei Yngurd’s Namennennung. Hier mußte der schneidendste Contrast eintreten. Doch leiser wird alles und in Gemurmel geht’s über, als sie auf Yngurd’s Härte kommt. Für die Mimik war die folgende Stelle, wo sie den Tod Oskar’s malt, ein Fest. Immer tiefer beugt sich ihr Oberleib, immer fester wurzeln die Augen im Boden. So vorbereitet wirkt das Malen des Sturzes vom Felsen herab mehr als erschütternd. Bei nachfolgenden Klagen zittert Mitgefühl in jeder Brust und Thränen in vieler Augen. Wahrhaft naturgemäß war ihr Niedersinken. Wer so ermattet und doch nur wahnsinnig ist, stürzt nicht. Wie malt sie den Leichenstein, wie kreiset sie um die Leiche! Doch bemerkt wurden vor allem die klugen Geberden mit dem Bittersüß ihrer oben weinenden, unten lachenden Miene, als sie bei der Ankündigung von Oskars Tode sich die Klügste dünkt. Sie giebt nicht nur das Lächeln des Wahnwitzes, sie hält auch, ein Zeichen die Schlauheit bezeichnend, den Finger zum Mund!

Daß bei ihrem Abgange von der letzten Szene, bei ihrem Hervorrufen, nachdem der Vorhang gefallen, alles gleichsam entfesselt aufrauschte, bedarf kaum der Erwähnung. Warum hat Wien nicht auch solche Zeichner für eine Succession der wichtigsten Momente einer Dartellung, wie sie Iffland und die Bethmann in den Brüdern Henschel in Berlin gefunden haben? Hier, bei dieser ächt plastischen Künstlerin, wäre Stoff!

Böttiger.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „König Yngurd“ von Adolf Müllner (Teil 2 von 2)

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 202 (24. August 1819), Bl. 2v

Textkonstitution

  • „Sklelet“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • entsetzlichrnrecte „entsetzlichen“.

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