Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Die Braut von Messina“ von Schiller am 13. Juli 1819 (Teil 2 von 3)

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Die Braut von Messina.

(Fortsetzung.)

Mad. Schröder gab uns wirklich überall, wo es nur hervorgehoben werden konnte, den Niobestolz und Niobeschmerz und drückte dadurch ihrem Spiele das Siegel gediegener Alterthümlichkeit auf. Wie fodert sie mit dem stolzesten Muttergefühl alles heraus, als sie ihre drei Kinder durch Hochzeiten verdoppelt erblickt: „Die Mutter zeige sich, die Glückliche, die sich mit mir an Herrlichkeit vergleicht!“ So foderte im plastischen Niobecyclus des Alterthums der zum Uebermuth gesteigerte Mutterstolz Latonen, die Zwillingsgebährerin heraus, und dahin zielen auch mehrere Huldigungsstellen im Chore der Alten. Nun der Ausdruck des Zorns, als sie alle Beredtsamkeit an den noch grollend abgekehrten Söhnen erschöpft hat. Wie offenbart sich ihre innerste Empörung, da sie uns die zweigespaltene Flamme auf dem thebanischen Scheiterhaufen mit der beredtesten Mimik zeigte und bei ihrem zürnenden Abgang! Die Stelle ist klassisch und die Art, wie sie gesprochen wurde, war es nicht weniger. In diesem Sinne malt sich nun auch in einer wahrhaft plastischen Stufenfolge ihr bis zum Hohn, bis zur Erstarrung gesteigerter Schmerz durchs ganze Stück. Das erste Symptom der Art sehen wir bei der Schilderung, die Don Cesar von den Exequien des Vaters entwirft. Da wankt sie, da lehnt sie sich an die Schulter des Don Manuel, wobei zugleich der oft gehörte Vorwurf vom Dichter gewälzt wurde, als habe er die Mutter ohne sichtbare Vorgunst vor einem ihrer Söhne (also unnatürlich, denn keine sterbliche Mutter blieb bei mehrerern Kindern ohne einen Liebling unter ihnen) gedichtet. Wir übergehen mehre Zwischenstufen und eilen zur obersten Spitze des nur noch nicht versteinernden Schmerzes in der Szene, wo Don Manuel’s Leiche verhüllt hereingebracht worden ist. Während der erste Chor hier die inhaltschweren Sprüche vom Rufe des Todesengels an entnervte Greise und blühende Jünglinge und die Warnung, die Blitze vom heitern Himmel herab zu fürchten, ausspricht, vernimmt die große Künstlerin diese Orakel in einem Wechsel von drei, stets durch 6–8 Verse festgehaltenen Stellungen, fast ohne Zucken und Bewegung, so lange jede Stellung dauert, und nur im Augen- und Mienenspiele den innern Zustand verrathend. Zuerst, dürstend nach Aufschluß, vorwärts gebogen, beide Arme im malerischen Gegensatz vorstreckend. Dann, als vom Mord und stygischem Boot die Rede ist, mit zurückschauderndem Entsetzen den Oberkörper weit über die eingewurzelten Füße zurückgebogen, ein Bild des grausenden Schreckens. Dann endlich, als stünden die Schwingungen des Perpendikels auf einmal still, eine mittlere Stellung, gerader Körper, aber mit gesenktem Kopf und Nacken. Ein solches stummberedtes Zuspiel würde durch die vollendete Plastik auch in jedem akademischen Saale das begehrungswürdigste Vorbild der hier auf einander folgenden Leidenschaften aufstellen können, beweißt aber auch zugleich, wie eine wirklich große Schauspielerin die langen Chor-Tiraden durch zurückspiegelnde Pantomime zum höchsten Genuß für die Zuschauer machen und dem vorlauten Chor die Herrschaft über das eigentliche Spiel entreißen können. Schiller, wie uns aus Besprechungen mit ihm wohl bekannt ist, hielt diese anapästischen Chöre für ganz geeignet zur ausdruck¦vollsten mimische[n] Begleitung oder Attitüdenstellung, die freilich so erst Zweck und Würde bekäme *). Wie würde er sich freuen, seine Ideen durch die Künstlerin so verwirklicht zu sehen. Gleich nach diesem großgedachten Zusammenspiel mit dem Chore kommt nun der furchtbare Moment mit der Enthüllung der Leiche. Es war ein Blitzschlag, der um so mehr erschütterte, als wir durch das unaufhaltsame, von ihr wieder sehr malerisch dargestellte Hinstreben zur Leiche schon früher für die Unglückliche zu zittern anfingen. Sie scheint nach dem grausenvollen Ausrufe: „O himmlische Mächte, es ist mein Sohn!“ auf einige Zeit in hinbrütenden innerm Anschauen verschlungen. Jetzt kommt sie zu sich. Mit einem höchst wehmüthigen, leis aufjammernden Klagetone kehrt sie zur Besonnenheit und schrecklichem Umschauen in die Gegenwart zurück. So verhaucht sie das: „mein Manuel, mein Sohn!“ Nun aber durckzuckt sie plötzlich der wüthendste Schmerz. Im gewaltigen Aufathmen ruft sie mit einem gellend lauten Schrei: „O ewige Erbarmung!“ Wir übergehen die folgenden Szenen und die furchtbare, ganz im Geiste der Niobe, emporgeschleuderte Herausfoderung an die Götter, sie noch unglücklicher zu machen als sie sey, und die Glutpfeile, die sie aus den Augen schießt, als sie vom Basilisken spricht, der ihren besseren Sohn zu Tode stach, und gedenken nur noch des Schlusses der Rede, mit der sie sodann mit Beatrice abtritt und – nicht wiederkehren sollte. (Denn, was folgt, sollte nur noch zwischen Bruder und Schwester verhandelt werden, und die Schwester sollte es wohl auch nicht überleben können). Der Schluß heißt:

– alles dießErleid’ ich schuldlos – doch bei Ehren bleibenDie Orakel und gerettet sind die Götter.

Sie hat gewüthet. Sie wird weich und kehrt in sich selbst ein. Mit dem „schuldlos“ kehrt aber ihr stolzes Bewußtseyn und mit diesem Verachtung gegen so ungerechte Götter in ihre Brust zurück. Alles zieht sich krampfhaft um den Mund zusammen, die Kinnbacken scheinen sich zu verlängern, und so wirft sie dann mit einem fast schnaubenden, dumpfen Halston, in Hohn und bittere Galle getaucht, das furchtbare: „in Ehren bleiben die Orakel“ u. s. w. hervor und geht schnell ab. Die vollkommenste Stellung der über die Getödteten sich hinbeugenden Niobe ist übrigens ohnstreitig die, wo sie über die, ganz am Schluß, in Ohnmacht niedergesunkene Tochter beide Arme ausbreitet und, sich überbeugend, diese auf ihrem Schooß zu tragen scheint. Hier verbessert ihr richtigeres Kunstgefühl die Vorschrift des Dichters, der Beatrice der Mutter sich bloß in die Arme werfen läßt. Eine solche Verbesserung hatte sie sich auch schon früher erlaubt. Als sie vernimmt, daß ihr die Tochter geraubt sey, soll sie – so will es der Dichter – auf einen Sessel niedersinken, wobei denn freilich später das aufstehn, wenn sie, durch Don Cesar’s leise geäußerten Verdacht einer freiwilligen Entführung verwundet, die Tochter rechtfertigt, mehr hervortritt. Allein das Niedersetzen ist hier durchaus erkältend und nur der Nothbehelf einer Künstlerin, die dieß alles nicht ausstehen, nicht stehend hinausführen kann.

(Der Beschluß folgt.)

[Originale Fußnoten]

  • *) Dieß ist das secundas agere der römischen Bühne, worüber schon vor 25 Jahren in den "Entwicklungen des Ifflandischen Spieles, S. 217, das Nöthige beigebracht worden ist.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Die Braut von Messina“ von Schiller (Teil 2 von 3)

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 176 (24. Juli 1819), Bl. 2v

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