Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Die Braut von Messina“ von Schiller am 13. Juli 1819 (Teil 1 von 3)
Dienstags, den 13. Julius. Die Braut von Messina, von Schiller, in vier Akten. Dritte Gastrolle von Mad. Schröder.
Nicht bloß die, durch keine Scheingründe ganz zu rechtfertigende, Einführung des feindlich gespaltenen, in der Handlung viel zu sehr eingreifenden Doppelchors, auch die Aufstellung eines eisernen Fatums, das selbst durch Don Cesars Selbstaufopferung keine Versöhnung findet, hat längst das harte Urtheil über dieß Stück begründet, daß der Mißgriff, den Schiller hier thut, durch keine einzelnen Schönheiten, durch keinen Glanz und Zauber der lyrischen Dichtung in den Chören, durch kein Interesse des schneidendsten Gegensatzes, ganz aufgewogen werden könne. So hoch die Erscheinung gestellt ist, das Gemüthlose geht nicht zum Gemüth. Aber darum ist doch unendlich viel an diesem Stücke selbst für die ausübende Bühnenkunst zu lernen, und erhalten nur die Chöre ihre vollkommene Gebühr, so ist auch schon für die Zuhörer überschwenglich gesorgt. Darum eröffnete sich sehr verständig die neue Leipziger Bühne mit diesem Drama. Es ist das einzige Declamatorium, wie es seyn soll. Daher die Nothwendigkeit, den Ersten in jedem Bühnenvereine die Chorsprecher zuzutheilen. Sie sind der Hebel und Strebepfeiler des Stücks. Bei der ganz neuen Besetzung dieses, seit sechs Jahren hier nicht gesehenen, Stücks war darauf, wie billig, die größte Rücksicht genommen worden. Die Herren Kanow und Pauli als ältere und jüngere Chorführer declamirten – das erste Erforderniß – mit der gediegensten Deutlichkeit und aller Tonhebung und Senkung, die der Inhalt gebietet. Vorzüglich gelangen Hrn. Kanow dießmal auch die weichen Töne. Neben ihm wetteiferten in Vollendung des Vortrags als Mitsprechende die Herren Burmeister und Werdy. Das waren sehr erfreuliche Leistungen. Freilich wie Schiller beim ersten Einstudiren, dem wir selbst beiwohnten, den rhythmischen Wechsel des Sylbentanzes, den Aeolssturm und Aeolshauch in einzelnen Stellen des Chors sich fantasirte, dieß möchte nur einer langen Uebung bei ungewöhnlichen innern und äußern Mitteln ganz gelingen! Wir erinnern uns nicht, über den Vortrag der Chöre in der Braut von Messina als einem Tongemälde bei so unendlich vielen, was über dies Stück seit 20 Jahren geschrieben worden ist, eine ganz in’s Einzelne gehende Zergliederung und Anweisung irgend wo gefunden zu haben. *)
Was in Absicht auf die in der Handlung selbst betheilten‡ Schauspieler bei einer so schnell einstudirten Vorstellung gutes gesagt werden kann, ist, daß sie nicht in Manier und Uebertreibung ausarten. Aber das grandiose dieser Schicksalsfabel fodert freilich einen ganz andern idealen Aufschwung. Am meisten zu beklagen war, daß durch die Schuld eines nur durch den Ruf empfohlenen, aber einer sol¦chen Rolle durchaus nicht gewachsenen Gastspielers, an dem unser Julius den Don Cesar abtrat, alle Gegensätze in den feindlichen Brüdern verloren gingen. Doch wir wollten ja am Ende heute auch nur die Donna Isabelle sehen. Auf dieser der Iokasta in Euripides Phönizierinnen nachgebildeten, zu einer Niobe gesteigerten Vermittlerin und Leidensmutter, hatte Schiller selbst das dramatische Gelingen dieses Stücks gestellt. In ihr hatte sich der Dichter vor allen ein grandioses, hochtragisches Mutter-Ideal gedacht. Sie muß durch Erhabenheit imponiren. Und Erhabenheit ist nur in der gehaltensten Ruhe. Im höchsten Affect darf also diese Mutter doch nicht zur gewöhnlichen Mütterlichkeit herabgehn. Die gewaltsamsten Ausbrüche müssen durch edle Haltung, durch den Stolz der Fürstin, den tragischen Adel behaupten. Hier droht aber eine andere Klippe, erkältende Gezwungenheit und im Affect Affectation. Besonders muß ihr neben einer idealisirenden Mimik ein unendlicher Umfang und Wohllaut im ächt musikalischen Vortrag zu Gebote stehn. Selbst die bewunderte Bethmann blieb hier im Einzelnen zurück. Schiller fühlte wohl, daß hier etwas Unnatur obwalte, die auch von den Zuschauern stets mehr oder weniger gefühlt wird. Darum schuf er zuletzt noch seine Marsa im Demetrius. Hätten wir dieß Stück ganz, welche Mutter würde da von uns stehn! – Die Bekanntschaft mit den fast nie ganz zu beseitigenden Schwierigkeiten in der Rolle der Fürstin, bewog uns daher anderswo den Wunsch auszusprechen, daß sie von einer Siddons dargestellt werden möchte. **) Was wir damals nicht zu erleben hoffen durften, es ist erfüllt worden. Mad. Schröder ist uns in dieser Rolle wirklich als eine deutsche Siddons erschienen. Sie hat uns mit der edelsten Haltung in ächt tragischer Mimik und Declamation ein gerundetes Ganze durch die folgerechtesten Entwicklungen und Steigerungen erblicken lassen, sie hat uns erschüttert und – gerührt! Aber wir können hier nur Einiges ausheben, dem Ganzen inrgendwo eine besondere Entwickelung vorbehaltend.
Das Spiel der Fürstin-Mutter kann also, soll es gnügen, nur in sehr grandiosen Formen und in Anklängen und Abschattungen nach der Antike genommen werden. Schiller selbst dachte sich immer eine Niobe darunter, die in die, durch solchen Bruderzwist und durch Beatrice, den Nachklang Thekla’s, repräsentirte, romantische, neue Welt mit ihrer alterthümlichen Hoheit und ungebeugtem Frauenstolz eintritt. Denn wie Niobe, die hellenische mater dolorosa, doch im höchsten Affecte, von aller Verzerrung fern, schön bleibt und selbst noch in ihrer Apolithose (Versteinung aus Schmerz) würdig erscheint: so darf auch Isabella im furchtbarsten Kampfe mit dem eisernen Schicksale die hohe Frau nie in sich verdunkeln lassen. Sie schmilzt nur einmal, als sie am Schlusse wieder heraustritt und dem Mörder ihres Manuels liebkosend zuspricht. Aber es ist auch schon von andern bemerkt worden, daß der Dichter hier dem tragischen Mitleid die Wahrheit der Rolle aufgeopfert hat. Je andringlicher und inniger die Bitte: lebe für uns! vorgetragen wird – und unsre Schröder bot ihrem ganzen Schatz von sänftigendem Wohllaut und Schmeichelrede dazu auf – desto auffallender das Unzusammenhängende mit dem Totaleindruck, worauf bis dahin der Dichter in diesem unbezwinglichen Stolz hinarbeitete.
(Die Fortsetzung folgt.)
[Originale Fußnoten]
- *) Einige feinere Bemerkungen finden wir in Wendl’s Andeutungen im 2ten Stück der viel zu früh verstummten Leipziger Kunstblätter und in der Beurtheilung des von dem genialen Tonsetzer Neukomm gemachten Versuchs, diese Chöre auf eine ganz neue Weise zur musikalischen Declamation zu bearbeiten, in der musikalischen Zeitung von 1815, Nr. 14.
- **) In der Minerva von 1814, S. 48.
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Die Braut von Messina“ von Schiller (Teil 1 von 3)
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 175 (23. Juli 1819), Bl. 2v