Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 10. Juni 1817

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Die Unglücklichen. (Beschluß)

Indeß haben es auch die Schauspieler selbst in ihrer Gewalt, dem alten Stücke die kleinern Runzeln mit neuer Kunst zum Theil wegzuwischen. Zuerst dadurch, daß sie die Rollen wechseln. Denn hier tritt wirklich der Fall ein, wo der sonst alles bessere Zusammenspiel zerstörende Rollenwechsel sehr erfreuliche Wirkung hervorbringen kann. Dieß Verjüngungsmittel trat auch wirklich in vier Rollen bei der diesmaligen Aufführung ein. Wie sehr hatte z. B. die Rolle des Hofjunkers durch die neue Besetzung gewonnen! Ferner: Es muß erlaubt, ja sogar sehr wünschenwerth seyn, daß der denkende, fantasie= und erfindungsreichere Künstler aus eigner Machtvollkommenheit nachhelfe und durch witzige, zeitgemäße Einfälle ergötze, wie der Sänger durch passend eingelegte Arien. Für das Mehr oder Weniger läßt sich dabei freilich kein Maßstab angeben. Das muß der feine Takt des Künstlers und die Empfänglichkeit des Publikums bestimmen. Wir wissen und haben es selbst mit angesehn, daß selbstschaffende Künstler hier mit der größten Freiheit sich bewegten, und zum höchsten Genuß der Zuschauer extemporisirten. Allein dieß dürfte doch nur bei ganz eigner Kunstweihe anzurathen seyn. Im gewöhnlichen Falle würde die Sache schon im voraus bei der Probe auszumachen, auch mit der Direktion und dem Soufleurkasten in Richtigkeit zu bringen seyn. Wir glauben bei der dießmaligen Aufführung auch hier einzelne sehr gelungene Zusätze und Abänderungen bemerkt zu haben. Endlich kommt hier auch die verstärkende Carrikatur zu Hülfe. Auch davon erhielten wir dießmal wieder die vergnüglichsten Proben, die auch mit dem lautesten Beifall aufgenommen wurden. Herr Geyer stattete den harpagonischen Hungerleider, Mad. Hartwig die hochtragirende Schauspielerin mit einem ungemein ergötzlichen Ueberfluß der Art aus. Ueberhaupt aber wurde die ganze Vorstellung mit einer Fröhlichkeit und Rundung gegeben, welche fast nichts zu wünschen überig ließ und einen Abend vollendete, den wir auch wegen der vorhergehenden sehr gelungenen Darstellung leicht zu den genußreichsten zählen möchten, die uns seit lange zu Theil wurden. Herr Heuser, der Sohn eines denkenden Schauspielers, der Mitglied der Bühne zu Aschaffenburg ist, trat heute zum erstenmal in einer selbstständigern Rolle als Gustav Falk auf. Er verbindet mit einer schalken und angenehmen Bildung, die, durch die höhere Tanzkunst geregelt, einmal sehr wohlgefällig werden kann, ein biegsames und dankbares Organ, und gab einiges, wie z. B. das Erstaunen beim Anblick der Franziska, mit angemessener Mimik. Möge er fürs erste nur dem Haushalter gleichen, der im Kleinen getreu war, und dann über vieles gesetzt wurde. Ungern vermißten wir un¦ter den Rollen, die wegblieben, die des Philosophen, den wir einst von unserm Veteran Christ mit erquickender Selbstabtödtung spielen sahn. Doch es war ja nur ein Rachspiel und zuviel ist auch beim Besten zuviel.

Böttiger.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden: „Peter und Paul“ von Castelli und „Die Unglücklichen“ von Kotzebue am 10. Juni 1817 (Teil 2)

Entstehung

vor 26. Juni 1817

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Mo, Ran

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 152 (26. Juni 1817), Bl. 2v

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