Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Simson“ von D. Blumenhagen, Musik von Ludwig Tietz am 1. Mai 1819 (Teil 3 von 3)

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Simson.

(Beschluß.)

Wir wissen es Mad. Schirmer großen Dank, daß sie, mit strenger Verbannung aller sinnlichen Lüsternheit, bloß den Kampf zwischen der mächtig erwachenden ersten Liebe und der aus Dankbarkeit und Ehrfurcht entsprungenen Hingebung an Simson, mit den späterhin eintretenden Motiven erwachter Eifersucht und Hinneigung zu ihrem Stammvolk und Stammfürsten, so ergreifend darstellte, daß Einheit und Wahrheit uns überall aus diesem, schwankenden Character ansprach und wir die Unglückliche, Verblendete nur bedauern konnten, Simsons Entsetzen aber, in dem Moment der Enttäuschung, sich von einem solchen Weibe verrathen zu sehen, nun erst zu begreifen wirklich anfingen. Es ist schwer zu bestimmen, ob die zartfühlende aus der Rolle alles, was den Schleier der sittlichen Weiblichkeit webt, sinnreich entwickelnde Künstlerin sich selbst oder die Zuschauer mehr durch ihr feines Spiel ehrte. So gelang es ihr, eine ganz andere Theilnahme, als die der aufgeregten Sinnlichkeit, zu erregen und bis zum halbwahnsinnige Austritt auf immer fest zuhalten. Als besonders gelungen, zeichnen wir den Seelenkampf zwischen Pflicht und Liebe in der Ueberredungsscene zum Verrath und vorzüglich den Ausdruck der Eifersucht aus, durch deren Anfachung Talmai endlich siegt. Das aufgeregte Geberdenspiel, die verstärkte Stimme, alles sagt uns, wie die Eifersuchtsnatter im Busen steche. Wie dieß hier gespielt wurde, war auch das Verbrechen völlig motivirt. Wir wollen gern zugeben, daß in der Ueberlistungsscene selbst diese Delila ihre Schmeichelkünste nicht erschöpft. Sie ist bloß zärtlich, nicht schmelzend. Hätte sie mehr geliebkos’t, die Arglist der Verstellung wäre noch schwärzer erschienen. Aber wir sollten es ja fühlen, wie viel ihr selbst dieß koste. Und nun die Zerknirschung nach der That. Wie sprach sie die Worte: Ich hab’ ihm schlecht vergolten, schlecht ¦ vergolten! erst mit der abwehrenden, dann mit der Beschämungsgeberde, das Gesicht mit den Händen bedeckend. Doch noch erschütternder gab sie die bis zu Visionen des Wahnsinns gesteigerte letzte Scene. Wie zuckt alles in ihr, als die Mutter die Verfluchung donnert, in immer belasteterm Hinstarren, im gesunkenen Ausgestreckseyn auf dem Boden. Aber Hals und Kopf werden gleichsam von unsichtbarer Gewalt emporgehoben. Es versteht sich, daß sie beim Fantasiegraus des ihrem geistigen Auge vorschwebenden Simsons mit ausgestochenen Augen nicht nach ihren eigenen Augen griff und sie drückte, was wohl anderswo geschehn; denn dieser bloß malerische Gest könnte doch nur in der Wirklichkeit des Anschauens seine Entschuldigung finden. Wir bemerken hier bloß, daß, da der Dichter diesen Wahnsinn selbst vorgeschrieben hat, er dadurch auch das tiefere Spiel in dieser Rolle selbst gut heißt. Denn ein bloß leichtsinniges Geschöpf kann nie solche Anwandlungen haben. Beim famosen Lockenschnitt blieb alles ernsthaft. Wie leicht hätte dieß aber an’s Lächerliche streifen können! Auch diese Klippe vermieden zu haben, war das Verdienst unserer Künstlerin.

Wenn wir nun gleich dies Stück in seinen innern Motiven unzureichend und in vielem verfehlt halten; so wird doch auch schon aus dem, was über das Spiel unserer Künstler erinnert worden ist, hervorgehn, daß es ihm nicht an wohlerfundenen Situationen fehlt, in welchen die Kunst vollen Spielraum erhält. Auch das Auge will, wie nun einmal die Sachen stehen, wenn auch nicht stehen sollten, seine Befriedigung. So mag auch dieser Versuch, der reich an vielfacher Belehrung und Berichtigung des Kunsturtheils ist, der Schaulust noch manche mit Dank angenommene Unterhaltung gewähren. Vielleicht ließe sich sogar, was mit Correggio in den ersten zwei Akten bei uns mit Erfolg vorgenommen wurde, hier mit den letzten drei Akten durch geringes Verrücken und Einschieben, wir glauben, mit allgemeiner Zustimmung des Publikums bewerkstelligen.

Böttiger.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Simson“ von D. Blumenhagen, Musik von Ludwig Tietz (Teil 3 von 3). Die beiden ersten Teile erschienen in den vorigen Ausgaben

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 109 (7. Mai 1819), Bl. 2v

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