Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Simson“ von D. Blumenhagen, Musik von Ludwig Tietz am 1. Mai 1819 (Teil 2 von 3)

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Simson.

(Fortsetzung.)

Denn es wäre wahrlich baare Ungerechtigkeit, wenn wir nicht den, mit Einsicht und Gewissenhaftigkeit auf die scenische und mimische Aufführung des Stücks verwandten Fleiß rühmend anerkennen wollten, und blieb, was z. B. die Costüms anlangt, dem strengen Alterthümler auch manches noch zweifelhaft, so war doch auf Absonderung der Israeliten und Philister überall hinlängliche Rücksicht genommen und dabei nichts gespart worden. Dankbare Anerkennung verdiente der treffliche Hoftheatermaler und Maschinenmeister durch die höchst malerische Anordnung des Dagontempels und die bewundernswürdige Präcision, womit der imposante Tempelsturz in einem Moment bewirkt werden konnte. Das Gehör und die andern Sinne – man hat ja irgendwo gar den Staub aufsteigen lassen, – traten gern ihre Funktionen dem Auge allein ab. Auch verlautbarte sich, wenigstens bei der ersten ganz gelungenen Vorstellung, die allgemeinste Zufriedenheit durch ein wiederholtes Zujauchzen, wobei die rastlos eingreifende Thätigkeit unsers wackern Regisserus, Hrn. Hellwig’s, in Bändigung der belebten und unbelebten Stoffe gewiß nicht übersehen werden durfte.

Aber auch die mimische Darstellung war unsers, im verständigen Zusammenspiel und glücklichem Verein der mannigfaltigsten Kräfte gewiß ausgezeichneten Theaterpersonals vollkommen würdig, und es lag blos im Stücke selbst, wenn die Hrn. Burmeister und Werdy, die den Eli und Abimelech zu spielen hatten, der eine als herumwandelnder hoher Priester mit dem Ephod und allem Festtagsschmuck, der andre als ein aus dem Philistercharakter oft herausfallender, bald barscher, bald empfindsamer König, wenig Eindruck machen konnten. Hr. Hellwig, als Simson, sprach gleich im ersten Akt die Bitte an den Unsichtbaren: „so gieb mir Trotz!“ mit eben der Kraft, wie wir ihn früher das Gebet im Yngurd sprechen hörten, – in der letzten Vorstellung jenes Stücks war er krank und kann darnach ohne große Unbilligkeit nicht beurtheilt werden –; gab durch den mimischen und deklamatorischen Ausdruck des Affekts, der vom flammenden Zorn zur entmannenden Verzweiflung übergeht, in der Scene, wo er verrathen und gefesselt wird, in der Intention des Dichters, daß die Lähmung seiner Muskelkraft blos von der Idee ausgehe, möglichste Wahrscheinlichkeit und sprach und spielte in den Scenen im Kerker mit jener weichen, nur im Vertrauen auf Jehovah kraftvoll anklingenden Stimmung, die wir dieser frommen Selbstaufopferung so gern zutrauen mögen. Die Stellung und Emporhebung der Hände, wo er zuletzt als ein ¦ verklärter Seher aufsteht, zeichnete den Blinden eben so gut, als den Mann Gottes. Nirgends vermißten wir in dieser Rolle den denkenden Künstler. Möchte nur so viel Studium auf einen ganz belohnenden Gegenstand gerichtet gewesen seyn! – Peninna, Simsons Mutter, wurde von Mad. Hartwig mit frommer Schwärmerei, – da, wo sie ihre Mutterfreuden erzählt, – leider schon die zweite Erzählung in dieser Exposition, – mit erschütternder Wahrheit, da, wo sie den Fluch über die Delila ausspricht, so dargestellt, daß wir die Künstlerin darin erkannten. Auch die untergeordneten Rollen des zarten, gegen den Liebesbotendienst sich wohl mit Recht etwas ansträubenden Kedar, und die rauhe Treue Uzzi’s bildeten, von Dem. Schubert und Hrn. Pauli gespielt, einen wohlthuenden Contrast. – Vorzügliche Kunst bewiesen jedoch die Damen, Werdy und Schirmer, durch kunstgerechte und das weibliche Zartgefühl möglichst schonende Auflösung ihrer so leicht in verbuhlte Zweideutigkeit zu vergreifenden Aufgabe in den Rollen der Dikela und Delila. Der Dichter selbst, der in der Dikela, nach einer in der Chronik des Hannöverschen Hoftheaters gegebnen Charakterisirung der Personen dieses Schauspiels, weiblichen Adel mit südlicher Wärme und Kraft vereint in diesem Schutzgeist seines Heros, – so bennent er sie, – dargestellt wissen will, würde mit der würdevollen Milderung, welche Mad. Werdy in den durchaus unvermeidlichen Doppelsinn ihrer Rolle brachte, sehr zufrieden gewesen seyn. Zu dieser Würde rechnete die treffliche Künstlerin wohl auch die hier und da etwas zu lang ausathmende Deklamation. Auch können wir uns nicht vorstellen, daß die der Trauer wegen vom Dagonsfest abwesende Liebhaberin auch noch im Kerker im vorigen Prachtgewand erschiene. Doch bahnte ihr dies vielleicht durch die Wachen den Weg! Wie wahr und ergreifend schwor sie den Reinigungsschwur in einer sonst sehr überflüssigen Scene im vierten Akt. Nur schlimm, daß der Dichter desselben bedurfte! – Mad. Schirmer erhob die Delila zu einer ihrer kunstreichsten und durchdachtesten Darstellungen, und wurde darin von Hrn. Julius, als Talmai, meisterhaft unterstützt, der, durch die lebendigste Glut seiner Jugendliebe und durch die hinreißende Kraft, die er in seine Unterredungssprache zu legen wußte, seine schon erprobte Kunst auch diesmal bewährte. Das war nun freilich die Absicht des Dichters nicht, die er in jener Skizze in der Chronik ausdrücklich ausspricht: „Delila ist blos ein sinnliches, leichtsinniges Mädchen. Sie und Talmai müssen ja von den Schauspielern nicht zu hoch gestellt werden, denn sie sollen Schatten seyn für die Lichtgestalten des Simsons und der Delila.“ Allein Beide erfüllten nur mit Redlichkeit, was ihnen zukam.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Simson“ von D. Blumenhagen, Musik von Ludwig Tietz (Teil 2 von 3). Der erste Teil erschien in der vorigen, der letzte folgt in der nächsten Ausgabe.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 108 (6. Mai 1819), Bl. 2v

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