Aufführungsbesprechung Dresden, Linkesches Bad am 24. Juni 1819: „Die Freistatt“ von Ernst Freiherr von Houwald (Teil 2 von 2) und „Die Junggesellenwirthschaft“ von Adalbert Gyrowetz (Teil 1 von 2)

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Die Freistatt.

(Beschluß.)

Wir können die Darstellung des Conrad durch Hrn. Julius nicht anders als eine sehr gelungne nennen. Er besaß sich bei der lebhaftesten Aufregung bis zum Schluß vollkommen, wo nur durch die Wiederholung des aus der Ferne vom Thurm herabgeblasenen Morgenliedes eine unwillkommene Störung eintrat. Die steigernde Unruhe, die mit jeder Weigerung des die Gefahr nicht ahnenden Freundes immer sichtbarer hervorbrechende innre Bewegung wurde, da auch Hr. Hellwig trefflich zuspielte, mit erschütternder Wahrheit gegeben. Vielleicht hätte das so gesteigerte Andringen, die auf’s höchste getriebene Ungeduld durch irgend ein fortziehendes Ergreifen der Hände seines Freundes noch stärker motivirt werden können. Doch so etwas läßt sich nicht künstlich berechnen. Bei der Schilderung der Sitzungscene im Rathsaale:

So saßen lange schweigend wir im Kreise,in unsre schwarzen Mäntel eingehüllt,und eine Ahnung überschlich mich leise,als säh’ ich deines Todtenzuges Bild!

überlief durch die Art, wie sie gesprochen wurde, wirklich alle Zuschauer ein geheimer Todesschauer. Obgleich die Rolle, welche Sara von Ulstrade dabei spielt, gegen die zwei Männer-vollen ziemlich zurücktritt; so legte doch das durch richtiges Gefühl geleitete Kunsturtheil unsrer Sara alles hinein, was mit Anstand daraus entwickelt werden konnte. Wir haben die Bemerkung gehört, als sei ihr erstes Auftreten zu abgemessen, ihre Unterredung mit Bruckthal zu kalt und feierlich gewesen. Wie hätte sich aber leidenschaftliche Hast mit der klugen Frau, die wohl selbst mit zu Rath gesessen und die auch hier Anfangs den Schleier noch nicht sinken lassen darf, vertragen? Sie trete daher nur immer verschleiert ein und enthülle, so wie der Todtengräber sich ihr selbst enthüllt und ihr volles Zutraun abgewinnt, zugleich mit dem Gesichte den tiefen Kummer in ihrem Innersten. Vortrefflich spielte Mad. Schirmer den Uebergang vom bangenden Zweifel zur Zuversicht, die in der beklommenen Brust zurückkehrt. Gestärkt, raschen Schrittes, mit entwölkter Stirn, kann sie nun ausrufen: „von Gräbern geh’ ich fast beruhigt fort!“ Aber schon früher erglänzte ihr Auge, hob sich die Stimme, als die deutsche Frau ihre Theilnahme an den patriotischen Rathschlägen gegen die Unterdrücker zu erkennen giebt. Die Aussöhnungs- und Umarmungsszene am Sarge der Abgeschiednen wurde mit großer Wahrheit gegeben und gruppirte sich malerisch gegen den Glanz der hier gut angedeuteten Morgenbeleuchtung. Das feierlich-schwarze, reichsstädtische Frauenkostüm mit der lang herabhängenden, goldenen Gürtelkette war nur in so weit alterthümlich gewählt, als es wirklich ¦ schön und kleidsam erschien. – Eine in diesem Lokal seltne Ruhe und Stille bewieß die gespannte Aufmerksamkeit und Theilnahme der Anwesenden und lösete sich erst zum Schluß in lautes Beifallklatschen und Rufen, die angemessenste Anerkennung, in die sich Dichter und Schauspieler theilten. Forschende Blicke suchten den uns vielfach theuern Dichter. Möge er uns bald in einem Trauerspiele von größerem Umfange erscheinen, ein Wunsch, der durch einige schon mitgetheilte Szenen zur Hoffnung wird. Unterdessen verdanken wir ihm gern zwei schöne Gaben, die uns die letzte Messe brachte, ein Bändchen Erzählungen voll Zartheit und Tiefe, beim Verleger dieser Abendzeitung, von welchem vor kurzem erst in diesen Blättern mit Recht viel Gutes gesagt worden ist, und ein Buch für Kinder (Leipzig, bei Göschen) mit einem lieblichen kleinen Schauspiele, mit Romanzen, Mährchen, eine der Levana (die Erziehungsgöttin der Alten) sehr willkommene Gabe, der lebendige Abdruck seines reinen, kindlichen Gemüths.

Böttiger.

Nach der Darstellung der Freistatt spielte Herr Kammermusikus Fr. Kummer, Variationen für Violoncell von seiner Composition, mit gewohnter Fertigkeit und Gewandtheit. Wegen der nöthigen Anordnungen auf dem Theater vermuthlich spielte Hr. Kummer unten im Orchester, welches der Wirkung, besonders des Tones, nicht anders als nachtheilig sein konnte und mußte. In einem Theater, und noch dazu in der Tiefe des Orchesters, wo der Ton nicht verhallen kann, zu spielen, ist sehr undankbar für den Virtuosen, der dadurch, bei aller Anstrengung und Virtuosität, doch oft schiefen und ungünstigen Urtheilen Derer, die diesen Uebelstand nicht zu beurtheilen wissen und ihn nicht berücksichtigen können oder wollen, fast nie entgehen kann.

Zuletzt: Die Junggesellenwirthschaft. Diese Operette ist bereits allgemein bekannt, und durch den Titel hinlänglich bezeichnet. Die Schilderung der zerrütteten häuslichen Angelegenheiten zweier gutmüthigen, aber leichtsinnigen jungen Männer und einer daraus für diese entstehenden Verlegenheit, ist wahr, launig und für den Zuschauer belustigend. Vom innern poetischen und ästhetischen Gehalt ist hier nicht die Rede; allein es soll auch nur ein Scherz seyn. Die Musik des Kapellmeisters Gyrowetz, dessen leichte, gefällige und doch dabei reelle und gründliche Schreibart bekannt ist, schmiegt sich ganz dem Charakter des Ganzen, wie der einzelnen Personen an. Sie ist leicht und fließend, ohne flach oder wäßrig zu seyn, und launig, wie es für ein solches Scherzspiel sich gebührt, worin es gar manche Componisten sehr versehen, die ein solches Werkchen mit eben dem Aufwande von Mitteln ausstaffiren, wie eine große Oper, weil sie glauben, man könne nur durch Erschütterung wirken. Besonders gut ist in der Doppelszene das Quintett.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Linkesches Bad: „Die Freistatt“ von Ernst Freiherr von Houwald (Teil 2 von 2) und „Die Junggesellenwirthschaft“ von Adalbert Gyrowetz (Teil 1 von 2)

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 162 (8. Juli 1819), Bl. 2v

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