Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Don Gutierre, der Arzt seiner Ehre“ von West am 15. Juni 1819 (Teil 1 von 3)

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Dienstags, am 15. Juni. In der Stadt. Zum Erstenmale: Don Gutierre, der Arzt seiner Ehre, Trauerspiel in fünf Akten, nach dem Spanischen von Calderon, von West.

Es hat auch unter uns nicht an spanischen Puristen gefehlt, die bei diesen Calderonschen Trauerspiel dieselbe Treue in der Uebertragung auf unsrer Bühne gewünscht haben, die bei der Aufführung von Leben ein Traum hier wirklich beobachtet worden ist. Wir achten ihren Eifer, selbst dann, wenn er bis zum Zorn aufloderte. Möchte er nur recht anregend und aufreizend wirken. Allein dazu – das sollte nicht schwer werden zu beweisen – fehlt es uns noch an Empfänglichkeit. West wußte, was und wie viel er bieten konnte. Wie würden wir z. B. die prachtvollen Stanzen ertragen haben, in welchen die gekränkte Leonore gleich Anfangs ihren Schmerz aushaucht? Der Schluß des Trauerspiels, das sich im Original mit der wirklichen Heirath Leonorens endet, mußte so abgeändert werden. Das spanische Princip der an eine Frau verpfändeten Ehre, honor despues do la muerte, fassen wir nicht. Auch ist die Abtheilung der letzten zwei Akte in vier unerläßlich. Dem sehr verständigen Wiener Theater-Dichter unsern Dank, daß er uns in Gutierre ein überall aufführbares, höchst effectvolles Calderonisches Stück zuführte! Möchte es nur überall mit solcher Liebe gepflegt und mit so viel künstlerischer Wärme aufgeführt werden, als bei uns. Daß es auf einer unsrer Hauptbühnen, wie der in Berlin, noch nicht zur Aufführung kam, ist wirklich unbegreiflich.

Schon aus A. W. Schlegel’s Vorlesungen ist jedem bekannt, bis zu welchen Grade Ehe, Liebe und Eifersucht in allen Calderonschen Schauspielen, die nicht religieusen oder fabelhaft-romantischen Inhalts sind, sondern auf spanischen Boden spielen, hinaufgetrieben werden. Sie sind auch in unserm Trauerspiel aufs innigste verschmolzen. Auch die unglückliche Mencia ist, wie die zarteste Sinnpflanze, reizbar gegen die Ehre und es vermehrt das Hochtragische ihrer Situation, daß eine makellose Frau durch Verkettung der Umstände in der Zweideutigkeit ihrer Lage untergehen muß. Vorzüglich ist Calderon der Dichter der Eifersucht nach spanischem Ehrbegriff. „Die immer rege, oft furchtbar ausbrechende Gewalt der Eifersucht, wir bedienen uns hier Schlegel’s eigener Worte, nicht wie die der Morgenländer bloß auf den Besitz, sondern auf die leisesten Regungen des Herzens und auf die unmerklichste Aeußerung derselben, adelt die Liebe, weil dieß Gefühl, sobald es nicht ganz ausschließend ist, unter sich selbst herabsinkt.“ Für die, welche mit Calderon’s Werken vertrautere Bekanntschaft stiften möchten, sey hier die Bemerkung, daß wir bei ihm einen ganzen Cyclus der Eifersuchtsstücke ¦ haben. Das Gegenstück zu unserm Arzt seiner Ehre (Medico de su honor) ist der Maler seiner Schande (el Pintor de su deshonra) welches auf einer höchst geistreichen Intrigue beruht und völlig neue Situationen darbietet. Dann kommt: Für geheime Beschimpfung geheime Rache (a secreto agravio secreta venganza). An der Spitze steht: Die Eifersucht, das größte Scheusal (el major monstruo los Zelos) ein historisches Trauerspiel, worin das eigentliche Scheusal, der Tetrach Herodes, die aus der jüdischen Geschichte bekannte Mariamne bloß darum vergiften läßt, damit sie nach seinem Tode kein andrer besitze, und ein Dolch, fast wie in unserer Schicksalsfabel, die Hauptrolle spielt. Dieß letzte Stück, worin die blutdürstige Leidenschaft weder entsteht noch fortschreitet, sondern nur in ihrer ganzen Häßlichkeit uns angrinzt, widerstrebt unsrem Gefühl am meisten. Von ihm besitzen wir im dritten Bande der Griesischen Uebersetzungen eine meisterhaft-getreue Uebertragung. Kenner haben dem Arzte seiner Ehre schon darum stets in diesem ganzen Cyclus den Vorzug gegeben, weil er in der Entwicklung der Leidenschaft, vom ersten Funken bis zur Flamme, die alles verzehrt, auch als psychologisches Seelengemälde einzig dasteht. Was ist Shakspear’s brutaler Othello gegen diesen Don Gutierre?

Wir setzen auch für solche, die es versäumten, dieser merkwürdigen Vorstellung beizuwohnen, die Bekanntschaft mit der Fabel und dem Gange des Stücks aus andern Zeitschriften, vorzüglich aus der gehaltreichen Wiener Zeitschrift für Theater und Moden, voraus und erlauben uns nur einige Bemerkungen über Spiel und Aufführung. Die schwerste Rolle im Stücke, den Eifersüchtigen, den Don Gutierre, hatte Hr. Hellwig übernommen. Eine solche Frucht reift wa[h]rlich nicht bei der ersten und zweiten Vorstellung. Das eifrige Streben dieses uns allen theuren Künstlers war überall unverkennbar. Und wie viel wurde für’s erstemal wirklich geleistet! Alles, wo die gährende Leidenschaft in Flammen aufschlägt, wo Kraft mit mimischem Ausdruck sich paarte, waren sehr gelungen zu nennen. Besonders gut bezeichnet waren, z. B. beim Anblick des ähnlichen Schwertgriffs die ersten Zukkungen und Aufwallungen der Leidenschaft, der Stich der Bremse, wie es die Griechen nannten, die, wie wir aus den von Millin herausgegebenen Vasen von Canossa wissen, ihn sogar weiblich personifizirten. Die große Aufgabe für den Darstellenden ist die Ausbrüche der Eifersuchtswuth von der Zornwuth gehörig zu unterscheiden. Selbst Garrick soll daß, wie wir aus Murphy’s Memoires lernen, für sehr schwer, aber unerläßlich gehalten haben. Davon ein andres mal!

(Die Fortsetzung folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Don Gutierre, der Arzt seiner Ehre“ von West (Teil 1 von 3). Die beiden anderen Teile folgen in den nächsten Ausgaben.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 151 (25. Juni 1819), Bl. 2v

Textkonstitution

  • „daß“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • diesenrecte „diesem“.

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