Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater, 8. Juli 1819: „Phädra“ von Schiller (Teil 2 von 3)

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Phädra.

(Fortsetzung.)

Es versteht sich also zunächst wohl von selbst, daß allen den Stellen ihr ganzes Recht wiederfuhr, wodurch Racine selbst mit großer Kunst uns Phädren als eine bis zum verliebten Wahnsinn Verirrte, nicht als frevelnde Verbrecherin erblicken läßt. Vor allen mußten die beachtet werden, die den Zorn der Venus anklagen. Schon das Alterthum fand in diesem Zorn den Grund, wodurch die ehebrecherische Liebe der Königin allein für die tragische Bühne sich eigne und, um dieß hier nur im vorbeigehen zu erinnern, das einzige Denkmal alter Kunst, das uns die von Liebe verzehrte Phädra in den Armen ihre Amme ohnmächtig-liegend vorstellt, stellt die Bildsäule der Venus ihr auch gegenüber*). Unsre Schröder sprach alle diese Stellen, besonders den kleinen Monolog an die Venus gleich im ersten Akt, mit dem tiefsten Ausdruck des mit dem Himmel rechtenden Stolzes. Nur wäre es bei einer solchen Künstlerin mehr Tadel, wenn wir sagten, sie habe die so wichtige Stelle hervorgehoben. Ihr Spiel ist so Eins und in ein Ganzes verschmolzen, daß man überall nur fühlte, es könne nicht anders seyn. Eben darum möchten wir auch nicht sagen, daß sie, wie andere denkende und mit Recht gepriesene Künstlerinnen, gewisse entscheidende Momente und Effekte vorbereite. Die hohe Zuversicht und Machtvollkommenheit, womit sie ihre Rolle beherrscht, nie von ihr fortgerissen wird, bedarf solcher Kunstgriffe nicht. Wir erinnern hier nur an die Art, wie sie in dem ersten Geständnisse ihrer Liebe zu Hippolyt an Oenonen bis zu dem gewaltsam hervorbrechenden: „Du nanntest ihn,“ sich den Weg bahnte, oder in der Unterredung mit Hyppolyt endlich ihm das Schwert entreißt. Es erregt Lächeln, wenn die mit dem Schwert an die Hüfte Hippolyt’s in voraus liebäugelnde Schauspielerin eher darauf hinblickt, als bis sie eben im unstäten Blicke des Wahnsinns einen Augenblick vor dem Worte: „leih’ mir Dein Schwert!“ ihr Auge darauf fallen läßt. Um die Lächerlichkeit vollkommen zu machen, darf nur auch Hippolyt vorher schon das Schwert heimlich vorschieben und locker machen, welches wir auch schon vor unsern Augen erlebt haben. Darum wird wohl auch kein Verständiger das tiefergreifende Spiel, wie sie zur Unterredung mit Hippolyt vortritt, und die ersten zwei Reden ganz mit gesenktem Haupte und die Augen niederwärts heftend ausspricht, für eine Vorbereitung auf die Augenblitze rechnen, die, wenn sie nun das Auge zum Hippolyt aufschließt, wie elektrische Funken hervorsprühen. Sie will ja nur für ihren Sohn bitten. Aber sie weiß zu gut, welche Gefahr ein Blick auf den geliebten, frischen Jüngling ihr bringen würde. Als sie nun aber durch Hippolyts Versicherung, Theseus könne doch noch leben, gereizt aufblickt und ihn vor sich sieht, da hört alle Schaam auf, da erblickt und liebkos’t sie im Hippolyt den verjüngten Theseus, da kommt das mit unaussprechlicher Zartheit und verführerischer Verwirrung zauberisch in eine Pause, die in jedem Gliede ihres Körpers Pause war, hervorgehauchte: „so wie ich – Dich sehe!“ zum Vorschein. Und da nur erst das Dich heraus ist, wie steigt da in jedem neuen Satze die Glut des ¦ Tones und der Geberde. Fürwahr, wer sagen wollte, unsre Künstlerin sei mehr der Pallas als der Aphrodite verwandt, mag freilich für ihr jetziges Rollenfach im Ganzen recht haben, wird aber, wenn er diese in jedem Sinne einzige Szene gesehen hat, ihr auch die holdeste, gewinnendste Weiblichkeit zugestehen müssen. Wie nun die kalt Zurückgewiesene mit noch höherm Feuer und endlich in Zorngluth entflammt wird, da entfaltet sich allerdings die Allgewalt und unerschöpfliche Kraft der Künstlerin schon in ihrer ganzen Größe. Doch hat sie noch ganz andere Pfeile in ihrem Köcher, wenn nun der Wahnsinn verschmähter Liebe noch durch den Stachel der Eifersucht und der Reue gereizt in selbstverderbliche Wuth ausbricht. Aber hier geht’s wieder nicht nach außen. Da knistert’s und prasselt’s nur bei den gewöhnlichen Phädraspielerinnen. Hier schmaucht’s, glüht’s, lodert’s nur wie ein in sich selbst zusammenstürzender Pallast. Man glaubte im vorigen schon alle ihre Mittel erschöpft. Aber als habe sie noch gar nichts gethan, entwickelt sie nun erst mit freischaltender Willkühr die unaussprechliche Tiefe ihrer Leiden. Es ist die letzte Unterredung mit Oenonen am Schluß des 4ten Akts, wo sie die Furien ihres erwachten Gewissens ergreifen. Hier ist der Scheitelpunkt ihrer Kunst. Eine Linie weiter wäre Unnatur. Aber sie bleibt unwandelbar diesseit der Linie. Die Vision, wie sie die Schrecken des Todtenreichs anwandeln, ist zugleich alles, was man Malerei in Geberden und Darstellung nennen knan. Es versteht sich, daß von der kleinlichen Malerei, die in der Mimik leicht eben so lächerlich ausfallen kann, als in der Musik, bei einer Schröder gar nicht die Rede seyn kann. So, wenn sie früher die Mauern und Bogen Sprache bekommen sieht, gnügt ihr ein einziger schneller Blick auf die Umgebung und die folgenden vier Verse, die alle noch von diesem stummen Zeugnisse sprechen, wurden gar nicht mehr nach außen gesprochen. Aber hier trat wirklich in immer mehr zur Erde gebognen Körperhaltung, im graushaft niederstarrenden Auge, im Niederdruck der Hand, das Todtenreich, mit dem zürnenden Minos vor uns, und als sie nun die Schreckensurne des Richters Hand entfallen sieht, und nun selbst niederfällt und sich in den Händen der Oenonen windet, ihr fluchbelastetes Haupt allein noch zu größeren Qualen emporhaltend, da durchrieseln stygische Schauer alle Anwesende. Iffland war ein großer Meiser im Sterben. Die unvergeßliche Bethmann nicht weniger. Aber wie diese Phädra stirbt, das ist kein Theatertod. Durch Wahrheit, ohne alle krampfhafte verzerrende Nothbehelfe, übertraf sie hier alles, was wir je in dieser Art sahen. Die Kunst besteht hier eigentlich darin, daß sie schon sterbend eintritt, was, da noch eine so lange Rede zu sprechen, ein so hartes Sündenbekenntniß abzulegen ist, ungewöhnliche Kraft und Fantasieaufwand fodert, aber auch nun erst Glauben findet. Man sah im letzten Brechen des Auges und Knie’s wirklich das Gift zum Herzen steigen. Aber so etwas machte jeden Entwickelungsversuch zum Bettler!

Ueber den Umfang ihres herrlichen Organs, das ja der Willkühr ihrer ächt-plastischen Fantasie sich fügend, doch zur Hälfte auch ihrem unendlichen Studium angehört, und eingeübt wurde, über die unbegränzte Biegsamkeit desselben, über die Kraft und Leichtigkeit, sich in jede beliebige Tonleiter umzusetzen, ist von allen schon gesprochen wurden, die ihrer Kunst bis jetzt huldigten.

(Der Beschluß folgt.)

[Originale Fußnoten]

  • *) Es ist ein silberner Relief-Medaillon in der Bronzi d’Ercolano, T. V. p. 257 ff. Es ist bis jetzt sehr ungereimt für eine sterbende Cleopatra erklärt worden.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Phädra“ von Schiller (Teil 2 von 3)

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 168 (15. Juli 1819), Bl. 2v

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