Carl Graf von Brühl an Friedrich Wilhelm III., König von Preußen
Berlin, Montag, 19. März 1821
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Seiner Majestät dem Könige!
Euer Königliche Majestät haben durch Allerhöchste Kabinetsordre die Einweihung des neuen SchauspielHauses im Monat May festzusetzen geruht, und alle Arbeiten sind darnach eingerichtet, daß diesem Allerhöchsten Befehl Genüge geleistet werden kann.
Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht unterlassen Euer Könglichen Majestät meine Gedanken in Hinsicht auf die Einweihung selbst allerunterthänigst vorzutragen und um Allerhöchste Sanction zu bitten. |
Die Bestimmung als Schauspielhaus macht es wohl unerläßlich, dasselbe auch mit einem Schauspiele und nicht mit einer Oper einzuweihen. Unter den deutschen Dichtungen ist in der gegenwärtigen Zeit kein Werk erschienen, welches einer solchen Auszeichnung würdig wäre, und gegen welches nicht die Kritik mit der gewohnten Bitterkeit und mit Recht ankämpfen würde. Es scheint deshalb unerläßlich, ein älteres Schauspiel zu wählen, dessen Dichter schon durch seinen Namen und Ruf imponiren könnte. Auch müßte es wohl weder ein Trauerspiel noch ein eigentliches possenhaftes Lustspiel seyn. Die in der deutschen Literatur hochverehrten Namen Göthe und Schiller dürften wohl hier am sichersten allen Tadel zum Schweigen bringen; – und ich schlage daher allerunterthänigst vor, am ersten Tage eine kurze Rede sprechen, | dann "Iphigenia" von Göthe folgen zu lassen, und die Feierlichkeit durch ein kurzes Ballet "Die Rosenfee", von Sr. Hoheit dem Herzog Carl verfaßt, zu beschließen. Das Schauspiel "Iphigenia" ist kurz, hat einen würdigen Inhalt, einen heiteren Schluß, giebt Gelegenheit zu einer sehr angenehmen Decoration, würde unbedingt den Kenner und Nichtkenner befriedigen, und in der litterarischen Welt einen dauernden Ruhm über das Einweihungsfest, dieses schönsten neuern Kunsttempels bringen.
Sollte diese meine allerunterthänigste Bitte und Vorschlag indeß nicht genehm seyn, so könnte ich, nach reiflicher Berathung mit mehreren Sachverständigen, nur noch "Turandot" dramatisch romantisches Mährchen von Schiller, vorschlagen. Jedoch müßte dasselbe da es bedeutend lang ist, ohne nachfolgendes Ballet gegeben werden. |
Da für das neue Haus ohnehin neue Decorationen angefertigt werden müssen, so habe ich alles so eingeleitet, daß gewissermaßen auch ein zweiter und dritter Einweihungstag stattfinden, und jeder derselben auf eine würdige Art durch neue Stücke von möglichst guter Auswahl begangen werden, und so das Publikum auch verschiedenartige Darstellungen in gedrängter Kürze nacheinander sehen könne. Ich habe deshalb eine von dem Hofrath Kind in Dresden verfaßte und von dem Kapellmeister Maria von Weber componirte sehr geistreiche und schöne Zauber-Operette unter dem Namen "Der Freischütz" aus Apels Gespensterbuch* entlehnt, kommen und ausschreiben lassen, auch bereits die nöthigen Decorationen dazu anfertigen lassen.
Als drittes Einweihungsstück gedenke ich ein vorzüglich schönes | neues Trauerspiel vom Herrn von Houwald, genannt „Das Bild“ vorstellen zu lassen, wozu bereits die nöthigen Decorationen gleichfalls fertig sind, und alles Uebrige vorbereitet wird*.
Wenn diese drei verschiedenartigen Vorstellungen mehreremale in einer Woche abwechselnd wiederholt würden, so dürfte dies vollkommen den Zweck entsprechen, allen Bewohnern Berlins, welche nicht am ersten Tage das Schauspielhaus besuchen können, dem ungeachtet das Vergnügen zu verschaffen sämmtliche drei zur Einweihung bestimmt gewesene Stücke nacheinander sehen zu können. Die Kasse würde dabei einen sehr bedeutenden Gewinn haben, und das Vergnügen des hiesigen Publikums durch Abwechselung sehr erhöht werden.
Da wir gegenwärtig an guten | Lustspieldichtern durchaus den größten Mangel leiden, so dürfte es schwer, wo nicht unmöglich seyn, auch ein gutes neues deutsches Lustspiel, als viertes Einweihungsstück aufzufinden; doch werde ich deshalb noch nach Möglichkeit nachforschen und mit Kunstverständigen deshalb zu Rathe gehen, und dürfte sich vielleicht irgend ein aus dem Spanischen überseztes Lustspiel dazu eignen, indem wie bemerkt, die deutschen Lustspieldichter nicht mehr vorhanden sind, und mit Herrn von Kotzebue für den Augenblick ausgestorben scheinen.
Berlin,
den 19ten März
1821.Graf Brühl
Apparat
Zusammenfassung
Brühl unterbreitet dem König Programm-Vorschläge für die Einweihung des neuen Schinkelschen Schauspielhauses; für den ersten Tag schlägt er Rede, Goethes „Iphigenie“ und Ballet „Die Rosenfee“ vor; für den zweiten Einweihungstag Weber „Freischütz“, als drittes Einweihungsstück Houwalds Trauerspiel „Das Bild“
Incipit
„Euer Königliche Majestät haben durch Allerhöchste Kabinetsordre“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Solveig Schreiter
Überlieferung
Einzelstellenerläuterung
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„… Freischütz " aus Apels Gespensterbuch“Vgl. Gespensterbuch, hg. von August Apel und Friedrich Laun, Leipzig 1810, S. 1–54.
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„… und alles Uebrige vorbereitet wird“Die Einweihung des Schauspielhauses wurde auf einen Tag reduziert und fand am 26. Mai 1821 statt mit dem von Brühl für den ersten Tag vorgeschlagenen Programm. Die UA des Freischütz fiel auf den 18. Juni 1821.