Carl Maria Webers Oberon (Teil 3/3)

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Ueber Musik und Musikverwandtes.
Mit Bezug auf die eigenen Umgebungen
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Von Dr. R. O. Spazier in Dresden.
(Beschluss.)

VI. Carl Maria Webers Oberon.

Aber wir müssen, um auf jene Erfordernisse der allgemein verbreitetsten und verschiedensten Wirksamkeit zurück zukommen, wohl unterscheiden, dass diese Vermischung und Zusammenstellung der verschiedenen und entgegengesetzten Theile der Kunst doch stets nur Theile einer und derselben Gattung sind. Es wird in der Oper und in jedem grössern Musikstük, das eine ganze Handlung oder ein ganzes Leben darstellt, fast nothwendig sein, dass z. B. neben tiefen fugenartigen Chören, leichte Liedchen, und selbst frivolere Melodien sich finden, die einem Theile des Publikums ganz besonders gefallen, ja die Menge ganz allein fast zum Ganzen hinziehen können, wie es mit den Italienern beim Don Juan sich zutrug. Da die Oper ein musikalisches Kunstwerk ist, gehört jede Art der Musik zu ihr, und verletzt keine die Einheit und Harmonie des Ganzen, gehörig motivirt, versteht sich, und verknüpft. – In der Oper ist ferner Musik nie ein Hülfsmittel, immer Hauptzweck, und hier kann und muss es sogar sich ereignen, dass einzelne Theile erst vorzugsweise hervortreten, dann immer mehr, dann das Ganze, und in diesem erst nach und nach Verständlichwerden, das sich nach langer Wirkung endlich auch auf die Menge hin erstreckt, liegt die genauere Bezeichnung jener oben erwähnten Eigenschaft eines neuen, grossen originellen Werkes. – Plastik ist hier aber ein entschiedenes Hülfsmittel, es ist die Verzierung an dem Gebäude, während die Poesie Sparrwerk ist; wo jene Verzierungen so angebracht sind, dass die grosse Form des Ganzen, und die grosse Ausführung ganz aus den Augen sich verliert, oder das Sparrwerk überall hervorsieht – da wird von einem grossartigen, harmonischen Eindruck, von einem behag¦lichen, erhebenden Gefühle nicht die Rede sein können. – Es wir die Oper der Plastik und Scenerien darum nur so weit sich bedienen können, als es unumgänglich nothwendig ist, wie oben angezeigt wurde, der geringern und weniger geübten Auffassungskraft, die selbst in Verbindung mit der Poesie oft noch sehr unklar wirkende Musik zu veranschaulichen, dadurch dass an die äussern Darstellungen der Wirklichkeit die Töne sich gewissermassen anlehnen, und dadurch selbst verkörpert und verwirklicht werden. Geht die Oper über diese Nothwendigkeit hinaus, beschäftigt sie das Auge allein, und unterstützt nicht blos durch Aeusserlichkeit das Ohr, – dann versündigt sie sich an der Kunst, deren reinste und grösste Priesterin sei sein soll. Darum wird immer jeder Componist, der etwas Grosses vermag, statt sich zu nützen, sich auf das Empfindlichste schaden, der jenen Lockungen, der Menge auf anderm Wege als durch seine Kunst nur etwas zu sein, nachgiebt; er wird mit Recht den Verdacht auf sich laden, dadurch seine Blössen verdecken zu wollen. Liess sich Weber durch irgend eine Rücksicht bestimmen, sei es durch Geldgewinn, sei es durch Ruhmsucht, seine Musik zu einem Spektakelstück auf irgend einer Bühne in der Welt herzugeben, so hat er seine Würde und seinen Beruf verkannt, er hat seine Kunst verläugnet. Wir müssen des grossen Beispiels wegen das ohne Scheu, ohne Furcht vor Missdeutungen laut aussprechen, wir müssen hinzufügen, dass Weber dadurch verschuldet, dass seine Musik, wesentlich an jenen Canevas von Coulissen und Wolken gebunden, im Ganzen mit jenen Dingen zusammenfallen wird, wenn auch einzelne Lieder fortleben werden, wenn sich die Menge an jenen Dingen satt gesehen hat; er hätte es selbst erlebt, dass nur wenig grossen Bühnen es möglich geworden wäre, seine Musik vor das Volk zu bringen, und hätte, wie der Erfolg lehrt, stets um den Ausgang bange sein müssen, weil er nie sicher sein konnte, ob die Coulissen ordentlich gemalt, die Tänze ordentlich ausgeführt, oder eine Wolke nicht an einem Stricke des Maschinisten hängen bleiben würde. Das Volk also – sein deutsches Volk, hätte von seiner Arbeit fast nichts gehabt. – ¦

Nach diesen Auseinandersetzungen wird es genügen, wenn wir kurz erwähnen, dass auch die Einheit des Oberon auf das Auffallendste durch das Ueberwiegen der blos redenden Schauspieltheile gestört wird, und darinn ein fast noch grösserer Grund von dem Missbehagen liesst, dass jede Erhebung, jede Rührung und Freude, die die Musik in uns hervorbringt, begleitet. Von 4 Stunden, welche das Ganze ausfüllt, gehören 1 ¼ Stund höchstens der Musik. Die Poesie, wissen wir ja, soll nur das Skelett zur Oper hergeben, selbst wenn man das Reden zwischen dem Singen in ihr im Allgemeinen zugiebt. Die Poesie in der Oper darf eben so wenig allein für sich bestehen können, als die Plastik, und der Umstand, den man so oft zum Beweis für die Vortrefflichkeit der Metastasio’schen Operntexte anführte, dass sie auch ohne Musik mit Erfolg aufgeführt worden wären, ist wohl missverstanden worden. Es kann damit nur die Vortrefflichkeit des Plans, des Sujets, und die Verwickelung der Intrigue im Allgemeinen gemeint gewesen sein, welche, in Prosa ausgeführt, zu redenden Dramen leicht umgebildet werden konnten, im Gegentheil zu unsern meisten Texten ohne Sinn und Verstand. Denn sonst fiele auf die Musik zu diesen redend aufgeführten Texten – und ihre Componisten ein zu schlechtes Licht, und wären die letzten sogar dem Manne ähnlich, der ein Zeitungsblatt in Musik zu setzen sich erbot. – Ist diese überwiegende Rede in der Oper so Sitte bei den Engländern, was nöthigte einen grossen fremden Componisten dieser Sitte zu fröhnen? – Die Masse des hierzu nöthigen Personale, das wenn es das Ganze nicht verderben soll, aus ordentlichen Schauspielern bestehen muss, macht nur die Aufführung dieser Oper von noch grössern Zufälligkeiten abhängig. –

Apparat

Generalvermerk

Der gesamte Oberon-Bericht ist Teil 6 der Reihe: „Ueber Musik und Musikverwandtes. Mit Bezug auf die eigenen Umgebungen“

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Ziegler, Frank

Überlieferung

  • Textzeuge: Münchener allgemeine Musik-Zeitung, Jg. 1, Nr. 33 (17. Mai 1828), Sp. 524–526

    Einzelstellenerläuterung

    • liesstrecte „liegt“.

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