Carl Maria Webers Oberon (Teil 1/3)

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Ueber Musik und Musikverwandtes.
Mit Bezug auf die eigenen Umgebungen
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Von Dr. R. O. Spazier in Dresden. (Fortsetzung.)

VI. Carl Maria Webers Oberon.

Selbst in diesen Blättern wurde schon erwähnt, wie bis jetzt über den Werth dieses lezten, mit so viel Schonung von dem deutschen Publikum erwarteten, Kunstwerkes eines unserer volksthümlichsten Componisten, eine getheilte Meinung ausgesprochen worden sei*. Es geschah dies ausdrücklich in jener ersten, von dem Redakteur dieser Blätter* mitgetheilten, von ihm an der Universität zu München gehaltenen, bis jetzt leider noch nicht fortgesezten, Vorlesung über Musik und musikalische Composition*, und zwar, um aus dieser getheilten Meinung über ein gar so ausgezeichnetes Werk die Nothwendigkeit einer Musikwissenschaft zu erweisen. Nehmen wir Cassel aus, wo die Meinung des Publikums gewaltsam bevormundet sein soll, so wurde diese Oper bis jezt noch in Leipzig, in Frankfurt und in Dresden aufgeführt, und fassen wir die Resultate des Eindruckes den sie hervorbrachte kurz zusammen, so war man in Leipzig auf das Aeusserste entzücktT, sie sprach in Frankfurt gar nicht an, und in Dresden fühlt der, ohne gerade grosser Musikkenner zu sein, sonst gebildetere Theil des Publikums das Ausgezeichnete der Einzelnheiten, ist nach zehnmaliger Aufführung fast noch von der Pracht der Scenerie betäubt – indessen von einem durch den Totaleindruck innerlich erzeugten Enthusiasmus ist wohl nicht die Rede. Ja, wie jeder aus dem über den Oberon, von dem als gründlichen Musikkenner mit Recht so geschätzten Herrn von Miltiz, in der Abendzeitung mitgetheilten Aufsatz ersehen kann, selbst die eifrigsten Anhänger Webers glauben nicht blos mit Erklärungen, was sie leicht aus der der Menge nicht gleich verständlichen Grösse des Werkes herleiten liesse, sondern mit Vertheidigungen dem Werke zu Hülfe kommen zu müssen, und zwar nicht mit an die dem Pomp der Scenerie noch immer bis zum Erdrücken im Hause zuströmenden Menge, ¦ sondern an den durch diese Dinge nicht bestochenen gebildeteren Theil des Publikums gerichteten Vertheidigungen.

Versuchen wir zuerst durch nähere Beleuchtung dieser Resultate, ob sich aus ihnen etwas auf den Werth des Stückes schliessen lassen könne.

Vor allen Dingen muss hier erwähnt werden, dass dem Publikum in Leipzig in Sachen der Musik eine höhere Intelligenz durchaus nicht vor dem hiesigen zuzugeben ist, so sehr es auch eine solche seit geraumer Zeit hat geltend machen wollen. Referent hat sich so frei über das, was hier zu tadeln, ausgesprochen, dass man ihn einer Partheilichkeit nicht wird zeihen wollen. Leipzig hatte allerdings eine Glanzperiode der Musik, verdankte dieselbe aber nur dem zufälligen Zusammenfluss von Männern wie Apel, Rochlitz, Schicht, Schneider, Schulz u. s. w., von denen nur noch in Amadeus Wendt, und in dem seines Alters wegen wenig Theil mehr nehmenden Rochlitz Einiges übrig geblieben ist. Wie gross die Einwirkung des Zufälligen auf die Stimmung des dortigen Publikums ist, beweist die unbegränzte Verehrung, der Spohr eine Zeitlang mit seinen Opern sich erfreute, ein Musiker, der doch nach dem einstimmigsten Urtheil zum dramatischen Componisten den wenigsten Beruf hat, da immerwährende Lyrik, obendrein immer die eine und dieselbe Gattung, und ein, wenn auch in noch so schönen Uebergängen, ewiges Moduliren durch alle Tonarten, nicht Förderungs- sondern Hemmungsmittel dramatischer Wirksamkeit sind. Gerade die am meisten an diesen Fehlern leidende Oper, seine Jessonda, ward in Leipzig am meisten gepriesen; sie war die einzige, die durch die rastlosen Bemühungen des hier lebenden Dichters dem hiesigen Publikum geboten wurde*, ward aber von dessen richtigerem Takte entschieden zurückgewiesen, wiewohl nicht zu läugnen ist, dass Spohr desshalb, weil seine bessere Sachen, wie sein Faust, nie auf der hiesigen Bühne erschienen, zu wenig hier beachtet ist. Es ergab sich merklich hier, dass sehr viel an denen liege, die das Repertoir zu bestimmen haben, wenn dem Musikfreunde hier so manches Werk vorenthalten wird, als in dem letzten grossen, von ¦ der Kapelle zur Unterstützung der Wittwen und Waisen ihrer Mitglieder jährlich, gegebenen Concerte die unsterbliche Ouverture von Beethoven aus C moll*, mit ungemeinem Enthusiasmus von dem Orchester ausgeführt, mit einem Jubel von den Zuhörern aufgenommen wurde, der sonst hier fast unerhört ist. Der Theilnahme an den Beethoven’schen Sachen, die wir hier selten hören, auf welche eben die Leipziger sich so viel zu Gute thun, kann die entgegengesezt werden, die hier jedesmal noch nach unzähligen Aufführungen, von dem, bis zum Erdrücken vollen Hause, der Weber’schen Euryanthe wird, einem Werke, das nicht zu den dramatisch effectvollsten, aber zu den innigsten gehört, die wir haben. Wegen der langen Wirksamkeit Webers hier ist anzunehmen, dass man zu dem Verstehen seiner Weisen von ihm selbst herangebildetet, eher eine für als gegen ihn vorurtheilvolle Stimmung zu seinen Opern mitbringt.

Wir müssen daher einen grossen Theil des Enthusiasmus, der in Leipzig, gleich bei der ersten Vorstellung von Seiten des gebildeteren Publikums sich aussprach, der allerdings an sich nicht unehrenwerthen Eitelkeit, zuerst in Teutschland ein von Allen lang vergeblich erwartetes grosses Werk, auf das Glänzendste ausgestattet, auf der Bühne zu haben, zuschreiben, und können für den Werth desselben an sich durchaus daraus kein Resultat ziehen.

Und es ist ja auch einer der wahrsten und einleuchtendsten Sätze, dass je größer, und, was in der Kunst wenn sie schon bedeutende Fortschritte machte dasselbe ist, je orgineller ein Kunstwerk, je mehr es ein eine neue Bahn beschreitendes ist, desto später es allgemeine Theilnahme bei dem Publikum finden müsse, und dass umgekehrt das Kunstwerk ein nicht zu der höchsten Klasse gehörendes sei, das sogleich dort überall anspräche, weil es alsdann ja dasselbe mit dem Maasstabe, den es bereits in sich trägt, ganz zu messen vermag, und sich nicht, wie es doch soll, an dem Werke durch allmähliges Hinaufheben zu ihm zu steigern genöthigt ist. Wir haben in der Musik selbst ein zu einleuchtendes Beispiel dafür, den Don Juan, der, anfangs fast durchfallend, mit jedem Jahre sich tiefer in die Herzen des Volkes eingräbt. So sehen wir auf der andern Seite die Leute bei dem ¦ ersten Anhören einer Rossinischen Oper am mehrsten lebendig, gleichsam vor Lust schmelzen, und den sonst so schwerfälligen ehrlichen deutschen Bürger mit Kopfniken, Hände- und Fussbewegen, Trommeln und Trillern in einem Meere von Wonne schwimmen. Aber süsser Kuchen schmeckt dem kleinsten Kinde, der Mann verschmäht ihn; an dem Nerven und Gehirn stählenden Weine findet der gesunde Mensch erst in spätern Jahren Geschmack, wenn Geist und Körper zur Aufnahme dieses Männerwerkes gereift sind. –

Aber auch diesen Satz unbedingt auf den Oberon anzuwenden, verbieten die Resultate; denn es war ja der Tross der Menge gleich bei der ersten Vorstellung auf das äusserste in Leipzig entzückt, und ist es noch in Dresden. Dann ist aber wieder entschieden, das dieses Entzücken der Musik nicht gilt, weil nur ein sehr aufmerksamer, einer gewissen Geistesstärke fähiger Mensch – und das ist ein von Niemanden geläugnetes, von den in die grössten unbedingtesten Lobpreisungen ausbrechenden Berichterstattern aus Leipzig selbst zu gegebenes Factum – so viel Gewalt über seine Sinne haben kann, nur das ewig mit Maschinerieen, mit Farben und Kleidern geblendetes Auge dem Ohr unterzuordnen, und einer, doch bei einem so grossen Kunstwerke nothwendig tiefen, Musik die gehörige Aufmerksamkeit zu schenken. (Fortsetzung folgt.)

Apparat

Generalvermerk

Der gesamte Oberon-Bericht ist Teil 6 der Reihe: „Ueber Musik und Musikverwandtes. Mit Bezug auf die eigenen Umgebungen“

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Ziegler, Frank

Überlieferung

  • Textzeuge: Münchener allgemeine Musik-Zeitung, Jg. 1, Nr. 30 (3. Mai 1828), Sp. 476–479

Textkonstitution

  • „herangebildetet“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • „… getheilte Meinung ausgesprochen worden sei“In derselben Zeitschrift heißt es in Nr. 1 (6. Oktober 1827), Sp. 16: „Weber’s Oberon gefällt in Frankfurt a/M nicht. Wer die Schuld hat, ob Weber oder Frankfurt, liegt am Tage.“ In Nr. 24 (15. März 1828), Sp. 384 findet sich ein kurzer Hinweis auf die geplante Berliner Einstudierung.
  • „… von dem Redakteur dieser Blätter“Herausgeber der Zeitung war Franz Stoepel.
  • „… über Musik und musikalische Composition“Abgedruckt in dieser Zeitung in Nr. 18 (2. Februar 1828), Sp. 273–283. Dort heißt es in Sp. 277: „[…] dennoch darf es eine Kritik, die freilich eigentlich unter aller Kritik ist, wagen, zu behaupten: Weber’s Oberon sey schlechter als der Wranitzky’sche, man sehe das Werk nur aus gewohntem Respect nicht mit so scharfem Auge an – man merke am Ganzen, dass der Meister krank gewesen u. s. w., während von anderen und von den achtbarsten Seiten einstimmig behauptet wird, es sey sein höchstes, ein wahrhaft sublimes Kunstwerk u. s. w. […]“.
  • „… dem hiesigen Publikum geboten wurde“In Dresden kam Jessonda am 30. November 1824 auf den Spielplan, wurde aber nach der fünften Vorstellung (2. Mai 1825) bereits abgesetzt. In Leipzig gab es zwischen 9. Februar 1824 und 16. Juli 1826 immerhin 18 Aufführungen.
  • „… von Beethoven aus C moll“Im Dresdner Palmsonntagskonzert am 30. März 1828 erklang unter Reissigers Leitung Beethovens Sinfonie Nr. 5 c-Moll; vgl. die Ankündigung in: Leipziger Zeitung, 1828, Nr. 67 (18. März), S. 736.

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