Über das Sujet des Oberon als Grundlage für ein Operntextbuch (Teil 2 von 3)

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Ueber Weber’s Oberon.

(Fortsetzung.)

Ich gehe nun zu Beurtheilung der einzelnen Musikstücke über: Die Ouvertüre gehört in ihrer sinnig romantischen Einleitung und ihrem hinreißenden Schlusse zu dem Feurigsten, Schwungvollsten, Phantasiereichsten, was Weber je geschrieben hat, und erregte bei den oftmaligen Wiederholungen große Begeisterung. Die Ouvertüre zur Euryanthe steht ihr nach, nur der Freischütz kann den Wettkampf mit ihr aufnehmen. Sehr charakteristisch ist auch der erste Elfenchor. Man muß diese Gesänge der Geister mehrmals hören, um ihren sanften wundersamen Reiz ganz zu verstehen und zu genießen. Daß Puck bei den Aufführungen zu Dresden und LeipzigT so leicht in zwei Personen, von denen die eine singt, die andere spricht, hat getheilt werden können, darf uns nach dem, was ich oben über die Genesis des Stücks sagte, nicht sehr wundern. In einer kunstgerechten dramatischen Dichtung, in welcher das Personenverhätniß genau bestimmt und berechnet ist, wäre dies unmöglich. Der darauf folgende Gesang Oberon’s scheint mir das schwächste Stück der Oper. Er ist, als einzige Arie Oberon’s, zu kurz, entbehrt eines sanften Mittelsatzes, der sich durch Erinnerung an Titania’s Liebe leicht hätte bilden lassen, und die jetzt in den musicalischen Zeitungen so oft wiederholte Frage, ob es für das Theater dankbar sey, die Schmerzen reingeistiger Wesen zu schildern, macht sich dabei auch geltend. Der londoner Oberon mag ein schwaches Subject gewesen seyn, darum ist er auch in der ganzen Oper so spärlich bedacht. Von guter theatralischer Wirkung ist die darauf folgende ¦ Scene mit Rezia. Das Orchester drückt den belebenden Zauber Oberon’s schön aus. Auch Rezia’s Cavatine ist um so richtiger gehalten, als sie einfach und nachdrucksvoll in die Seele des Träumenden klingen soll. Nur hätte es der Rezia erlassen werden mögen, von sich selbst zu sagen:

die Schönheit Dir winkt.

Der Feenchor: Ehre und Heil! scheint mir nicht im Charakter der andern Elfenchöre. Er klingt jedoch voll und gut, etwa wie ein Chor aus Euryanthe. Weber war gewiß treuer Charakteristiker; aber er fühlte wohl, daß die Geisterchöre, immer in demselben Tone gehalten, zu viel Eintöniges in das Ganze bringen würden. Auch ist das Chor ein Chor der Feen genannt. Die Worte Oberon’s:

Es küst die Sonne den Purpursaum,

sind besonders zart anmuthig componirt, und ein für allemal bemerke ich hier, daß, so oft auch im Oberon bei den Verwandlungen und dem Erscheinen des Geisterkönigs selbst ein Zwischenmusik ertönt, diese stets sehr gut berechnet ist und von Weber’s sehr großer Theaterkenntniß zeigt. Der Gesang Scherasmin’s, Hüon’s und Oberon’s, nebst Chor, scheint mir vom Dichter, der überhaupt über die musicalische Anlage eines Operntextes keine Erfahrungen haben mag*, nicht als Terzett angelegt, ist aber von Weber, der diesen Mangel fühlte, in die Form eines Terzetts gezwungen worden, was auch in der Musik sehr fühlbar wird. In Hüon’s großer Arie zeichne ich besonders den sanften herrlichen Mittelsatz aus. Er gehört wieder zu den Melodischsten, was Weber je geschrieben hat. Vortrefflich ist auch die steigernde Declamation bei den Worten:

Doch seyn ohne Ehre!

Nur scheint mir in den bewegteren Sätzen der Arie die Stimmführung etwas gewaltsam zu seyn. Nicht Alles schmilzt hier fein und lind in einen Harmonieenfluß zusammen. Gerade dieses Abgerissene gibt aber Weber’s Werken mit den pikanten Reiz, den die jetzige Welt liebt. Die Schönheit der Antike, bei der jede Einzelnheit sanft und unmerklich in das Ganze verschmilzt, rührt nicht mehr. Der Antike! Hier ist der Ort, zu bemerken, daß Wieland seinen Oberon nicht blos mit Talent für romantische Poesie schrieb, sondern auch Rezia’s Bild mit hellenischer Anmuth und geläutertem Gefühl für das classische Schöne entwarf. Er nennt sie selbst:

ein göttergleiches WeibIm großen Aug’ des Himmels reinste Milde,Der Liebe Reiz um ihren ganzen Leib. |

Hüon beschreibt sie:

Denk’ Dir ein Weib im reinsten JugendlichtNach einem Urbild von dort obenAus Rosenglut und Lilienschnee gewoben.Ein stilles Lächeln schweb’ auf ihrem Angesicht,Und jeder Reiz von Majestät erhoben.

Diese stille Majestät der Tochter des stolzen Orients ist in Weber’s Musik, dem freilich der Dichter hier gar nicht vorgearbeitet hatte, nicht ausgedrückt, und ich muß mich sehr wundern, daß dies von den vielen, zum Theil gelehrten Musikern, die über Oberon sprachen, so wenig herausgefühlt worden ist. So sind nun diese Kenner! In den wahren Geist einer Dichtung (hier der Wieland’schen) können sie sich nicht versetzen, und ohne das Urbild des Schönen in der Brust sprachen sie ihre Worte kalt hin, das nüchterne Geschlecht! Sieht man von Wieland’s Charakteristik ab und gestattet der Rezia, in romantischen Weisen zu singen, wie die holdselige Euryanthe, so muß man die Innigkeit des zärtlichen Gefühls in Rezia’s erster Arie und die angenehme Melodie, die auch zum Schlusse sich zu dem nöthigen theatralischen Effect verstärkt, recht sehr loben. Eben so ist Fatime’s Duett mit Rezia mit den Webern eigenthümlichen Gesangsfiguren sehr anmuthig gehalten. Die beiden Soprane greifen wirksam in einander, und es ist eine gute Idee im Finale des ersten Acts, die schläfrigen Haremswächter mit der wachen Liebesglut Rezia’s zusammenzustellen. Große Finales, in welchen alle Strahlen der Musik vereint flammen, darf man in diesem „Singspiele,“ wie es Planché nennt, nicht erwarten. Der zweite Act scheint mir in musicalischer Hinsicht bedeutender, wie der erste und schließt sich dem Gedankenreichthum der Ouvertüre glänzender an. Der Eingangschor ist ganz trefflich. Als Charakterstück zähle ich ihn zu den besten Chören der Oper, und es ist dabei der Umfang von Weber’s Talent für romantische Musik zu bewundern. Nicht leicht möchte sich ein Componist finden, welcher zugleich die zarten Elfenchöre und die orientalische Wildheit, das Mährchenhafte so gut zu treffen wüßte, wie Weber. Wäre es auf eine große Oper angelegt gewesen, welch herrliches Ensemblestück hätte die folgende Scene zwischen Babekan, dem Kalifen, Hüon, Scherasmin, Rezia und Fatime gegeben! So groß gedachten und reichhaltigen musicalischen Situationen begegnen wir um Oberon nicht. Dagegen ist Fatime’s Cavatine sehr zart, gefühlvoll und anmuthig. Auch das darauf folgende Quartett zeichnet durch liebliche Melodie und eine ungemeine Klarheit aus. Es sind reine Naturlaute, die hier aus bewegtem Menschenherzen im Angesichte ¦ des Weltmeeres und der Freiheit dringen. Offenbar besser wäre es gewesen, wenn in der vierten Scene, statt Puck’s, Oberon selbst seine Geister zusammengerufen hätte. Man begreift nicht, warum Planché, wie absichtlich, diese großartige Situation vermied, in welcher sich der Geisterkönig zeigen und uns zugleich einen tieferen Blick in sein Herz thun lassen konnte. Weber’s Musik ist aber auch hier sehr ausdrucksvoll, und der darauf folgende Meeressturm mit Kraft und Geist geschildert. (Der Beschluß folgt.)

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Schreiter, Solveig

Überlieferung

  • Textzeuge: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 28, Nr. 86 (2. Mai 1828), Sp. 683–686

    Einzelstellenerläuterung

    • zeigtrecte „zeugt“.
    • „… Operntextes keine Erfahrungen haben mag“James Robinson Planché hatte vor der Zusammenarbeit mit Weber bereits Erfahrungen mit Opernwerken; vgl. S. Schreiter, Kritische Textbuch-Edition zum „Oberon“, München 2018, S. 240–244.

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