Friedrich Wilhelm Jähns an Marie Lipsius in Leipzig
Berlin, Samstag, 25. März 1871

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Mein sehr geehrtes und liebes Fräulein

Was werden Sie von mir gedacht haben, daß ich nach unserer freundlichen Begegnung im Dezember die mir Ihre schöne Beethoven-Arbeit* brachte, trotz meines Versprechens Ihnen das kleine Buch* meines Sohnes zu senden, dennoch vollkommen stumm geblieben bin und erst jetzt nach 3 Monaten bei Ihnen erscheine, wo der treue liebenswürdige Freund, der uns beide zusammen geführt, nun schon still und sanft schläft, um nie zu irdischem Lichte mehr zu erwachen. Wie schmerzlich beklage ich den Verlust des edlen gütevollen herrlichen Mannes; er hatte etwas selten Herzgewinnendes; so spät er in mein Leben hineintrat, so | wird er eine der theuersten und geliebtesten Erinnerungen bis zu meinem Lebensende mir bleiben. – Sie haben ihn ja mitverloren; wie schön aber, daß Sie der theuren Hinterlassenen, dieser seltnen Frau, in der sich alle Eigenschaften einer edlen Frauenseele im Einklange mit ihrer äußeren Erscheinung vereinigt zu haben scheinen, daß Sie dieser ein ähnliches reiches Freundesherz entgegentragen können! – Daß ist ein Trost, eine erfrischende Freude für uns Alle! –

Wenn Sie Ihre von mir so hochverehrte Freundin sehen, so sagen Sie, bitte, derselben alles nur Erdenkliche Liebe und Gute von mir; Ihrem treuen feinfüh|lenden Herzen wird es nicht schwer fallen, mir Fürsprecherin zu sein. –

Doch da habe ich nur über unseren Verlust geschrieben und noch nicht einmal entschuldigt habe ich mich, daß Sie so lange auf diese Zeilen haben warten müssen. – Ich habe keine weitere Entschuldigung als meine vielseitige Arbeit, deren Hauptkern der Schluß meines Weber-Werks* war, von denen ich heut die letzten Bogen Correctur zu empfangen denke, so daß es also in 14 Tagen etwa das Licht der Welt erblicken dürfte, nachdem es grade vor runden 8 Jahren begonnen wurde. | Der Schluß, das Registerwesen mit seinen Tausenden von Zahlen, war noch eine recht herbe abspannende Arbeit; doch jetzt ist alles vorüber. Eine Episode daraus, der "Oberon" in ästhetischer und historischer Rücksicht, ist mir von dem Redacteur der Grenzboten, Hrn. Hans Blum, für diese Zeitschrift abgewünscht worden, gewiß zum Vortheil meines Buchs, weshalb auch wohl der Verleger seine Zustimmung gegeben, da dergl. eigentlich unseren contractlichen Bestimmungen zuwider läuft. Mein Aufsatz steht Grenzboten Heft: 12 u. 13*; in Heft 11, 12, 13 u. ff steht eine kleine obwohl bedeutungsvolle Arbeit meines | ältesten Sohnes Max, der Hauptmann in unserem "Großen General-Stabe" ist. Diese Verbindung von Vater und Sohn so unmittelbar unter einem Dache trifft sich wohl nicht oft. Vielleicht blättern Sie in der Arbeit meines Sohnes, obwohl ich da was Ungehöriges sage, denn es ist eine streng durchgeführte Gestalt, an der einzelne Theile herauszunehmen, nicht wohl thunlich. Der Aufsatz heißt: „Deutsche Feldzüge gegen Frankreich“, er wird auch Sie interessiren, welch einen Feind wir an den Franzosen haben, übersieht man erst, wenn Ihre ganze Schuld, wie hier, auf eine Stelle übersichtlich zusammengetragen ist. Der Hauptkern der Arbeit war Gegenstand einer Vorlesung hier | im sogenannten wissenschaftlichen Verein, der unter der Protection des Königs und der Königin* steht. Es ist ein hoher Vorzug, dort zu lesen. Jedesmal nach der Vorlesung wurde am anderen Tage mein Sohn beim König zur Tafel geladen, nun schon 3mal, diesmal bei der Königin, die sich sehr für seine Arbeiten interessirt. Seine kleine Gedichtsammlung „Ein Jahr der Jugend“ einst von der Schillerlotterie angekauft u. verspielt, sende ich Ihnen versprochenermaßen anbei; es ist eine Auswahl aus einer wohl 5mal stärkeren Menge von Gedichten; das Büchlein sollte aber nicht größer sein, als Sie es in Händen halten und so wurde denn manches Gute | erdrückt und einiges weniger bedeutende mußte hingefügt werden um die Übergänge zu vermitteln. Auch die Einleitung empfehle ich Ihnen; aber auch die meine zum Weber. Unser verehrter Freund hatte ja darauf subscribirt, so wird es gewiß bald in Ihren Händen sein; zuerst also empfehle ich Ihnen: Einleitung dann die Opern davon zuerst Freischütz, Euryanthe, Oberon, dann alles andre; Sie werden sehr vielerlei finden; für alles d. h. jedes war ein neuer Standpunkt zu gewinnen; es war oft recht schwer, den richtigen Ausdruck zu ergreifen. – Darin haben Sie meine vollste Bewunderung in Bezug auf das, was Sie schreiben; es war dies schon | in Ihren musik. Studienköpfen der Fall und ist es nun noch mehr in Ihrem Beethoven. Namentlich bei einer so gedrängt gehaltenen Arbeit ist diese Eigenschaft besonders schwer inne zu halten – es ist Ihnen aber vortrefflich gelungen. Mit dem höchsten Interesse habe ich den Beethoven gleich nach meiner Rückkunft von Leipzig gelesen und habe Ihrer Wärme, aber besonders Ihrer Geschicklichkeit zu ordnen, zu gestalten, zu verknüpfen und schließlich zu beleben meine aufrichtigste Anerkennung und Freude entgegenbringen müssen. Wie in den Studienköpfe[n] bei Weber sind hier manche ganz eigne | und wahrhaft eigenthümliche Züge in den Contouren, in denen Sie hier das Wesen des Meisters entwerfen, so daß die Contour zum wirklichen Bilde wird. –

Gewiß hat Ihr schaffendes Talent Neues ergriffen und Sie melden mir gelegentlich, was. Nicht wahr?! – Mit Nächstem sende ich Ihnen ein Lied auf unsern Kaiser auf ein schönes Gedicht von meinem Sohn*. Es wird eben bei Röder gestochen; erscheint aber hier. Ein paar Festmärsche* sende ich jetzt mit; sie erfordern gute Spieler; Sie werden leicht einen Zweiten neben sich zur Hand haben; die schwierigere und bedeutendere Parthie hat der Secondo; der 2te Marsch „Heeres-Heimkehr“ ist der populärere; der erste ist | schwerer und vornehm. – Sehen Sie sie beide freundlich an und verwerfen Sie No 1. nicht allzufrüh; er kommt einem nicht entgegen, ist aber doch kein nichtsnutziges Individuum.

Und nun leben Sie recht, recht wohl und empfehlen Sie mich der Frau GeneralConsul in der obenbemerkten Weise, darum bitte ich Sie recht herzlich, der ich in ausgezeichneter Verehrung mich nenne Ihren
sehr ergebenen
F. W. Jähns.
Prof.

Apparat

Zusammenfassung

Reflektiert den Tod eines gemeinsamen Freundes. Berichtet von der Beendigung seines Weber-Werkverzeichnisses; er sei mit letzten Korrekturen beschäftigt; empfiehlt ihr die Lektüre der Opern-Kapitel, dasjenige über Oberon sei auch separat in den Grenzboten erschienen. Lobt ihre Arbeiten, besonders die über Beethoven ihm geschenkte. Legt eigene Kompositionen zweier Märsche und einen Gedichtband seines Sohnes bei.

Incipit

Was werden sie von mir gedacht haben, daß ich nach unserer freundlichen Begegnung im Dezember

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: Leipzig (D), Stadtgeschichtliches Museum, Bibliothek (D-LEsm)
    Signatur: A/807/2010

    Quellenbeschreibung

    • 5 Bl. (10 b. S.)

Textkonstitution

  • „mir“über der Zeile hinzugefügt
  • „nun schon 3mal“über der Zeile hinzugefügt
  • „empfehle“über der Zeile hinzugefügt
  • Oberonüber der Zeile hinzugefügt
  • „d. h. jedesüber der Zeile hinzugefügt
  • „wirklichen“über der Zeile hinzugefügt
  • „an“über der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • „… mir Ihre schöne Beethoven -Arbeit“La Mara, Ludwig van Beethoven: biographische Skizze, Leipzig: Herm. Weißbach 1870. 107 S.
  • „… Versprechens Ihnen das kleine Buch“Max Jähns, Ein Jahr der Jugend, Dresden 1861.
  • „… Hauptkern der Schluß meines Weber-Werks“Carl Maria von Weber in seinen Werken. Chronologisch-thematisches Verzeichnis seiner sämmtlichen Compositionen, Berlin 1871.
  • „… Grenzboten Heft: 12 u. 13“Ueber Carl Maria von Weber’s Oper „Oberon“, in: Grenzboten, Jg. 30, 2. Sem. 1. Bd. (1871), S. 460–472 u. 498–508.
  • „… des Königs und der Königin“Königin Augusta (1811–1890), seit 1829 mit Wilhelm vermählt, war ab 1861 Königin von Preußen und ab Januar 1871 bis 1888 Kaiserin.
  • „… schönes Gedicht von meinem Sohn“Hohenzollern „Land, wo treue Herzen schlagen“ für eine Singst. u. Klav. (1849), F. W. Jähns WoO 30 mit Text von Klöden; 1851 neuer Text von Klöden unterlegtz, 1871 wiederum neuer Text von Max Jähns für den Druck bei Schlesinger unter dem Titel: Deutschland 1871.
  • „… aber hier. Ein paar Festmärsche“Op. 49 Deutscher Festmarsch: Heeres-Auszug für Klav. zu 4 Hd. Berlin, Schlesinger (Lienau)1871; op. 50 Deutscher Festmarsch: Heeres-Heimkehr für Klav. zu 4 Hd., Berlin, Schlesinger (Lienau) 1871.

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